Kirchenjahr 1953/54 - 17 - | Lugar/Ort:Gelsenkirchen-Buer-Hassel
Fecha/Datum:16/04/1954 | Otros Lugares/Weitere Predigtorte:
| Año Eclesiástico/Kirchenjahr:Karfreitag 1954 | Libro Bíblico/Buchbezeichnung:Micha 6, 1-8 | | |
Skopus: Gottes Wort halten und Liebe üben | | Kirchenjahr 1953/54 - 17 - Micha 6, 1 - 8 "Höret doch, was der Herr sagt: Mache dich auf und rechte vor den Bergen und laß die Hügel deine Stimme hören! Höret, ihr Berge, wie der Herr rechten will, und ihr starken Grundfesten der Erde; denn der Herr will mit seinem Volk rechten und will Israel strafen. Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich beleidigt? Das sage mir! Habe ich dich aus Ägyptenland geführt und aus dem Diensthause erlöst und vor dir her gesandt Mose, Aaron und Mirjam. Mein Volk, denke doch daran, was Balak, der König in Moab, vorhatte und was ihm Bileam, der Sohn Beors, antwortete, von Sittim an bis gen Gilgal; daran ihr ja merken solltet, wie der Herr euch alles Gute getan hat. Womit soll ich den Herrn versöhnen, mich bücken vor dem hohen Gott? Soll ich mit Brandopfern und jährigen Kälbern ihn versöhnen? Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausen Widdern, an unzähligen Strömen Öl? Oder soll ich meinen ersten Sohn für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für die Sünde meiner Seele? Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demüttig sein vor deinem Gott."
Eine düste und entsetzliche Stimmung liegt über unserem Text. Kein Lichtschein will zu uns hereindringen. Wenn wir fragen, was ist denn da los? Was meint denn der Prophet Micha? Dann müssen wir erkennen, daß Micha verkündigt: Der Termin Gottes gegen sein Volk hat begonnen. "Der Herr spricht: Mache dich auf und rechte vor den Bergen und laß die Hügel deine Stimme hören. Höret, ihr Berge, wie der Herr rechten will und ihr starken Grundfesten der Erde; denn der Herr will mit seinem Volk rechten und will Israel strafen." Daher also diese unheimliche Stille, die wir eben meinten fetsstellen zu können. Und das kann man in der Tat schon sagen, wo Gott seine Kirche, sein Volk, vor die Schranken seines Gerichtes lädt, da weicht alle Freude und aller Gesang. Da verstummen die frohen Gesänge und Trauerlieder werden angestimmt. Gott ist in diesem Gericht nicht der gute alte Herr, mit dem wir machen können, was wir wollen, sondern wo Gott mit uns Gericht hält, da schlägt er mit seiner Faust zu, da erstirbt alles Leben, da verliert die Sonne ihren Schein. Denken wir an das Gericht Gottes auf dem Hügel Golgatha, da alle Menschen ohne Ausnahme vor Gott als die Angeklagten stehen, weil sie den Messias, den Sohn Gottes, ermordet haben. Denken wir daran, was uns berichtet wird, daß eine große Finsternis über das Land hereinbrach und die Sonne ihren Schein verliert und der Vorhang des Tempels zerreißt. Unheimlich sind die Gerichte Gottes. Auch der Hebräerbrief zeugt davon: "Der Herr wird sein Volk richten; schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen." Aus dem Satz, den Gott spricht: "Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich beleidigt? Das sage mir!" können wir erkennen, daß das Volk, das durch den Prophet Micha die Aufforderung erhalten hat, bei der Gerichtsverhandlung Gottes zu erscheinen, mit dieser Gerichtsvorladung gar nichts anzufangen weiß. Wir Menschen, damals wie heute, meinen, was will Gott eigentlich von uns, er sollte zuerst einmal dafúr sorgen, daß es uns besser geht, dann kann er wiederkommen, aber so? Warum läßt er all das Elend, das über sein Volk gekommen ist, zu? Ja, er hätte sich zuerst darum kümmern müssen. Schwirrt nicht ebenfalls in unserer Zeit eine Anklage nach der anderen gegen Gott in der Luft herum?! Wenn es einen Gott geben sollte, wie könnte er all das Elend im Krieg und in der Nachkriefszeit zulassen? Wie kann Gott es zulassen, daß da Wasserstoffbomben hergestellt werden, die ganze Landstriche in ein Chaos verwandeln und alle Lebewesen vernichten? Wie oft hören wir doch diese Reden und zum Teil haben wir alle in ähnlicher Weise gleichfalls gefragt, wenn irgendein trauriges Ereignis, ein Leid oder eine Not auf uns einstürmten? Gott würde nicht Gott sein, wenn er solch einem Fragen sich versperren würde. Gott kann solchen Fragen gerade ins Auge sehen. Er braucht nicht zu verstummen. Er ruft seinem Volk, das ihn anklagt, gegen ihn meutert und rebelliert, zu: Habt ihr wirklioch alles richtig gesehen und beobachtet? Wer bringt Leid und Elend über euch? Bin ich es oder seid ihr es nicht selbst? Hat Gott Schuld, daß im letzten Krieg solch ein furchtbares Morden unter uns geschah und heute zum Beispiel in Indochina geschieht, oder haben wir es nicht selbst verursacht? Kann es aber da noch einen Zweifel geben? Wir alle miteinander sind es selbst daran schuldig, daß soviel Leid und Morden und Angst über uns hinwegbraust. Wo Gott der Gehorsam aufgekündigt wird, da ist der Durcheinderbringer am Werk, der am liebsten die ganze Erde in die Luft fliegen lassen möchte. Unser Ungehorsam gegen Gott macht dieses Leben auf der Erde zu einem Jammertal. Haben wir es denn nicht gemerkt, mit welch einer unendlichen Geduld Gott in all den vielen Jahren, die hinter uns liegen, am Werke war, um uns in seiner Güte an sich zu ziehen? Es würde entsetzlich gewesen sein, wenn Gott nicht doch noch immer, trotz unserer Zerstörungswut, seine Liebe erwiesen hätte. Martin Luther in seiner Erklärung zum 1. Artikel will uns daran erinnern, in welcher Weise Gott uns immer noch Tag für Tag seine Güte erweist: "Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat, samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält." Wir könnten ja keine Sekunde Leben, wenn Gott uns nicht seine Güte erweisen würde. Gott erinnert sein Volk an die große Güte, die er ihm gewährt hatte: "Habe ich dich doch aus Ägyptenland geführt und aus dem Diensthause erlöst und vor dir hergesandt Mose, Aaron und Mirjam. Ihr sollt daran erkennen, wie ich euch alles Gute getan habe." Durch unseren Text erinnert uns Gott selbst daran, daß er uns Tag für Tag mit seiner Liebe und Barmherzigkeit überschüttet. Aber merkwürdig, die Finsternis, die über der Gerichtsverhandlung geschwebt hat, weicht ein wenig. Das haben wir doch noch nicht erlebt, daß ein Gericht darin besteht, daß uns jemand, der uns angeklagt hat, seine Liebe zu uns in den Mittelpunkt stellt. Wir sind es doch so gewohnt, daß in einer Gerichtsverhandlung lang und breit darüber gesprochen wird, was der Angeklagte getan und verbrochen hat. Hier bei dieser merkwürdigen Gerichtsverhandlung in Sachen Gott gegen sein Volk, kommt nur Gottes Güte zu uns zur Sprache. Heute am Karfreitag, wo Gottes Gericht gegen sein Volk mitten unter uns sich vollzieht, dürfen und können wir in gleicher Weise bekennen: In dieser Gerichtsverhandlung in Sachen Gott gegen uns steht im Mittelpunkt nicht unsere Schuld, als die Schuld eines Angeklagten, sondern es steht im Mittelpunkt Gottes Güte zu uns. Und es geschieht das im Volke Gottes, worauf Gott schon solange gewartet hatte, Gottes Volk bricht vor dem gnädigen Gott zusammen und tut Buße in Sack und Asche. Unser Reformator hat etwas von diesem Geheimnis erfahren dürfen, als er vor dem zürnenden und richtenden Gott nicht weiter kam als bis zu einem furchtbaren Grauen und einer entsetzlichen Angst. Erst vor dem liebenden und gnädigen Gott erlebte er eine getroste Verzweiflung, die ihn aber zu einem neuen Leben aufstehen ließ. So kann es nicht anders sein, als daß wir immer wieder zu dem gnädigen Gott unseren Blick aufheben und uns von seiner Liebe zurechtrücken lassen. Allerdings ist es beim Volke Gottes so, daß es diese Liebe in ihrer vollkommenen Gestalt nicht erkennen kann, denn es meint, in der Erkenntnis seiner Schuld, durch den Anblick der Liebe, seine Schuld vor Gott wieder gutmachen zu können: "Womit soll ich den Herrn versöhnen, mich bücken vor dem hohen Gott? Soll ich mit Brandopfern und einjährigen Kälbern ihn versöhnen? Wird wohl der Herr Gefallen haben an viel tausend Widder, an unzähligen Strömen Öl? Oder soll ich meinen ersten Sohn für meine Übertretung geben, mein KSeele?" Sehr viel möchte das alte Volk Gottes, das Volk Israel, zur Wiedergutmachung seiner Schuld opfern. Es möchte sich die Güte Gottes etwas kosten lassen. Es ist bereit, Gott sogar den erstgeborenen Sohn darzubringen, damit es aus dieser merkwürdigen Gerichtsverhandlung frei hervorgehen könnte. Das Liebste und Beste ist man bereit zu opfern, um wieder Gottes Stimme zu hören, die da ruft: Du bist mein liebes Kind! Auch als evangelische Christen stehen wir dauernd in der Gefahr, durch unsere eigenen Werke, durch Opfer von mancherlei Dingen, unseren Freispruch bei Gott zu verdienen. Es ist aber unmöglich, seine Schuld Gott gegenüber durch Opfer verschiedenster Art wieder gutzumachen. Der Prophet Micha ruft es auch seinem Volke zu: So geht das auf keinen Fall. Er ist genauso entsetzt, wie viele Jahre später Martin Luther über den Ablaßhändler Tetzel entsetzt war, der ein Sprüchlein daher sagte wie: "Sobald das Geld in dem Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer in den Himmel springt." So geht das nicht. Unser Freispruch hängt in keinster Weise davon ab, was wir tun oder opfern und gutmachen wollen. Ja, worauf kommt es dann an? Der Propet Micha tritt auf und verkündigt den allein möglichen Weg, um freigesprochen zu werden, um wieder das eine frohe Wort Gottes zu hören: Du bist mein liebes und geliebtes Kind! Micha ruft: "Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott." So hat Martin Luther den 8. Vers übersetzt. Vielleicht können wir diese Botschaft des Micha auch so übersetzen: Eigentlich weißt du, Mensch, wie du im Gerichtsprozeß freigesprochen wirst. Du weißt doch, was der Herr bei dir sehen möchte, nämlich. daß du in Demut vor ihm stehen möchtest, die Hände zu ihm ausgestreckt, mit der Bitte, daß er sie mit seiner Gnade, die durch alle Schuld ein Strich macht, füllen und dir die Kraft gebe, mit dieser Gabe der Gnade in den Tag hineinzugehen und dich von dieser Gnade Gottes auf den Weg des Gehorsams gegenüber Gott, deinem Herrn, führen lässest. Es geht in der Nachfolge Jesu wirklich auch um das Tun des Kindes Gottes und der Jünger Jesu, aber nicht als ein Mittel zur Erlangung der Gotteskindschaft, sondern der Christ wird als der von Gottes Gnade reich beschenkte Mensch von dieser Gnade einfach so überwältigt, daß er sich in Marsch setzt und Gott gehorcht. In diesem Wort des Propheten Micha ist ein Wort von ganz besonderer Bedeutung. Leider kommt diese Bedeutung in der Übersetzung unserer Bibel nicht ganz zur Geltung. Wo es heißt: "Liebe üben" müßte es besser heißen: "die Gnade Gottes liebhaben". Die Gnade Gottes liebhaben, das ist der springende Punkt für uns, die wir auch Gottes Kinder sein möchten. Das ist der Schlüssel, der uns die Tür aus dem Gerichtssaal als freie Menschen aufschließt. Das Volk meinte, es könnte freigesprochen werden durch eigene Opfer und durch eigenes Tun. Micha aber verkündigt: Nicht durch Opfer werdet ihr frei, sondern durch Gottes Liebe, Gnade und Huld. Gott hat ja sogar das Opfer des Patriarchen Abrahams in der Gestalt seines Sohnes Isaak, nicht haben wollen. Diese Liebe Gottes ist es, die uns zu den Seinen macht. Und diese Liebe, die das Opfer der Menschen ablehnte, ging einen Weg, der für uns immer ein Geheimnis bleiben wird.. Diese Liebe Gottes fand ihren größten Ausdruck, da Gott seinen eigenen Sohn opferte, damit hob er alle Opfer der Menschen auf und gab uns trotzdem eine Rettung aus der flucht vor Gott, die uns dem Tode preisgab. Wir begehen heute am Karfreitag den Tag, da Jesus Christus am Kreuz sein Leben zum Opfer gab. Nun ist es Wirklichkeit geworden: "Wer Jesus im Glauben am Kreuze erblickt, wird heil zu derselbigen Stund." Denken wir zum Schluß noch einmal an die Gerichtsverhandlung, in der wir die Angeklagten sind. Spüren wir es nicht, wie langsam nach und nach alle Finsternis und alles Entsetzen weicht und es langsam aber sicher hell wird. Uns ist durch den Propheten Micha ein Wort verkündigt, das uns die Tür zur Freiheit weist. Es ist das Wort: Schaut auf die Gnade, die Gott mitten unter uns in der Gestalt des Kreuzes mit dem aufgehängten Jesus aufgerichtet hat! Schaut auf dieses Kreuz und ihr werdet heil zu derselbigen Stunde, so wie das wandernde Gottesvolk in der Wüste trotz der giftigen Schlangenbisse nicht sterben brauchte, wenn es auf die aufgerichtete eherne Schlange schaute. Jesus Christus, der Gekreuzigte, ist unser Heiland, unser Erlöser und unser Fürsprecher beim Vater im Himmel.
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