Persönliche Erinnerungen u. Gedanken eines 82-jährigen Pfarrers | Gespräche Nº 165 | Lugar/Ort:Buenos Aires | Fecha/Datum:1999 | | Resumen/Skopus: Gespräche von Alejandro Zorzin
mit Karl Schwittay | | PERSOENLICHE ERINNERUNGEN UND GEDANKEN eines 82-jährigen Pfarrers Gespräche von Alejandro Zorzin mit Karl Schwittay * Pastor Schwittay, wann und wo sind Sie geboren und woher stammten Ihre Eltern? Im Jahre 1917 am Ende des ersten Weltkrieges wurde ich in Gelsenkirchen im Industrie-Ruhrgebiet geboren. Meine Eltern Wilhelm Schwittay und Eva geb. Kopatz kamen vom Lande aus der Provinz Ostpreussen. Das Gebiet (Masuren) gehört heute zu Polen. * Welche Beschäftigung hatte Ihr Vater und wie war das soziale Umfeld in dem Sie groß wurden? Mein Vater arbeitete als Bergmann auf der Zeche Bonifatius in Essen-Kray. Ich wuchs in der Familie mit weiteren 3 Schwestern und 2 Brüdern auf. Das Ambiente bestand in einer von der Bergwerks-Gesellschaft gebauten Siedlung mit vielen weiteren Bergmanns-familien, jedes Haus mit einem kleinen Garten. Das Charakteristische war, dass sich unser Leben zwischen Fabriken, Zechen, und Bergarbeitersiedlungen abspielte, aber immer auch dazwischen und um uns her die ständig zurückgehende Landwirtschaft und leicht zu erreichen eine schöne Landschaft mit Wald, Fluss und Parkanlagen zwischen Ruhr und Lippe. Meine Mutter, die die Arbeit mit uns 6 Kindern kaum bewältigen konnte, liess uns sehr viel Freiheit in der Gestaltung unseres Lebens. Mein Vater brauchte seine Zeit nach der Arbeit, um sich von dieser schweren Tätigkeit in der Grube als "Hauer vor Kohle" zu erholen. Meine Kindheit war auch dadurch sehr stark geprägt, dass mein Vater "unter Tage" einen schweren Unfall erlitt, ein massiver Stein über ihm löste sich und schlug ihn nieder. Unter grössten Schwierigkeiten konnte er sich von seinem Wirbelsäulenbruch wieder erholen, aber er litt sein Leben lang darunter und war nur bedingt arbeitsfähig. * Wie kamen Sie mit dem christlichen Glauben und dem Leben der Kirche in Kontakt? Was hat sie in Ihrer Jugend geprägt? Wir Kinder waren in unserer Freiheit zu einer gewissen Selbstverantwortung gezwungen und lebten sehr stark in einer geistigen Spannung, die dadurch gekennzeichnet war, dass meine Mutter zu einer sehr engen pietistischen Gemeinschaft gehörte, die nicht viel von der evangelischen Kirche wissen wollte, aber zu ihr gehörte. Mein Vater war Mitglied der Sozialistischen Partei (SPD) und Atheist, ein Bruder von mir war in der Ausbildung als Diakon, ein anderer war Funktionär bei der ANTIFASCHISTISCHEN AKTION. Mehrere Jahre nahm ich am sonntäglichen Kindergottesdienst teil und mit 12 Jahren begann der 2-jährige Konfirmandenunterricht. Nach der Konfirmation gehörte ich zur Jugendgruppe und spielte mit im Posaunenchor. Behalten von diesem Unterricht habe ich allerdings nur, dass ich einmal als Strafe die Bergpredigt 5x abschreiben musste. Ferner weiss ich noch, dass wir anstelle einer Unterrichts-stunde mit dem Pfarrer an einer Versammlung der Gottlosenbewegung teilnahmen, die Propaganda für den Atheismus machte und dazu gehörte auch die Propaganda für die Feuerbestattung. Dieser Propagandazug durch Deutschland wurde immer begleitet und auf der gleichen Versammlung bekämpft von einem Vertreter der Evangelischen Apologetischen Zentrale in Berlin-Spandau. Als die ersten Biergläser bei den heftigen Auseinandersetzungen flogen, sagte uns unser Pfarrer, dass wir jetzt doch den Saal verlassen müssten, es würde langsam für uns gefährlich. So wenig wichtig für mich der Konfirmanden-Unterricht war, so entscheidend und wichtig war für mich, dass ich durch diesen Unterricht in Verbindung mit der Evangelischen Jugend dieser Gemeinde kam, zunächst mit der Jungschar des Evangelischen Jungmännervereins. Unsere Stunden fanden statt im Gemeindehaus am Markt in Gelsenkirchen-Rotthausen, 100 Meter von den Öfen der Kokerei der Zeche Dahlbusch entfernt. Oft umgab uns bei der Löschung der Öfen eine feuchtheisse giftgrüne Wolke. Noch 1929 grüsste uns am Eingang des Evangelischen Gemeindehauses ein Gips-Relief vom letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. * Die Jahre Ihrer Jugend waren ja auch die Zeit harter politischer Auseinandersetzungen zwischen den Parteien und politischen Gruppierungen in Deutschland, wie haben Sie das erlebt? Es war die Zeit der Auseinandersetzung zwischen rot (Kommunisten) und braun (Nationalsozialisten). Wie oft erlebten wir es, dass in einer Woche während unserer Zusammenkünfte wir bewusst gestört wurden durch die kommunistische Jugend mit ihren Schalmeien und in der anderen Woche durch die Hitlerjugend mit ihren Fanfaren, immer auch mit Einschlagen der Fensterscheiben verbunden. Im Kreis der Evangelischen Jugend, die sehr mit der Gemeindearbeit verbunden war und deren Leiter für uns junge Menschen sehr offen war für alles, was das Leben lebenswert machte, allerdings nicht für den immer mächtiger werdenden Nationalsozialismus, kam ich in der Bibelarbeit mit Jesus Christus in Berührung. ER liess mich nicht mehr los. Diese Verbindung hat auch in der Zukunft mein ganzes Leben geprägt und gehalten. Was mir besonders eindrücklich beim Bibelstudium erschien, war, dass die Nachfolge Jesu immer mit einem Ruf zu einem Dienst in seinem Reich verbunden ist. * Dennoch fiel damals bei Ihnen noch nicht der Entschluß, Pfarrer zu werden. Auf welchen Beruf haben Sie sich vorbereitet? Nach Beendigung der Volksschule begann ich eine Lehrzeit bei der damaligen Deutschen Reichspost. Während dieser Zeit bekam ich entscheidende Impulse für mein Leben, besonders was den Umgang mit fremdem Geld angeht. Neben diesem Dienst besuchte ich die Kaufmännische Berufsschule in Essen-Steele. * Wie erlebten sie als junger Mann den Kirchenkampf innerhalb der Evangelischen Kirche vor Ort? Bald nach meiner Konfirmation verliess mein Konfirmator die Gemeinde und es kam der junge Pfarrer Ernst Käsemann an seine Stelle. Mit ihm waren wir als Evangelische Jugend sehr verbunden. Er war der Vertreter der Bekennenden Kirche und vertrat sie in unserer Gemeinde, die ein deutsch-christliches Presbyterium hatte. Das entmachtete er in einem vorher bekanntgegebenen Gottesdienst, trotz aller Drohungen der Nationalsozialistischen Partei und der Geheimen Staatspolizei mit Aufmärschen der SA. Inzwischen war ja Adolf Hitler an die Macht gekommen; er hatte sich öffentlich bei der Gemeindevertreterwahl der Evangelischen Kirche für die Deutschen Christen eingesetzt. Diese Deutschen Christen waren Vertreter der Ideologie des nationalsozialistischen Partei-programms, die Adolf Hitler wie einen Jesus Christus in den Mittelpunkt stellten. Die Folge seines Einsatzes für die Bekennende Gemeinde war Pfarrer Käsemanns Verhaftung. Während seines Gefängnisaufenthalts in Gelsenkirchen haben wir ihm an jedem Sonntagmorgen nach dem Gottesdienst mit dem Posaunen-chor vor dem Gefängnis Choräle gespielt, die ihm sagten, dass wir hinter ihm stehen. Trotz allen Widerständen und Verhinderungs-versuchen konnten wir während seines ganzen Gefängnisaufenthalts dieses Bekenntnis zu ihm durchhalten. * Wurde die Tätigkeit der Evangelischen Jugend von den Nationalsozialisten denn überhaupt nicht verhindert? In vielen Formen wurde die evangelische Jugendarbeit gestört und verhindert, Freizeiten verboten und Jugendlager auseinander-getrieben und zum Schluss alle Arbeit an der Jugend unter 18 Jahren der Hitlerjugend überführt und dieses alles mit der Unterschrift des deutsch-christlichen Reichsbischofs Müller. Wir als Evangelische Jugend von Gelsenkirchen-Rotthausen nahmen an dieser Überführung nicht teil, sondern setzten unsere Arbeit geheim fort, aber jetzt unter der ausschließlichen Schirmherrschaft der Bekennenden Kirche als kirchlichen Unterricht. Inzwischen hatte ich durch meine Arbeit bei der Post in Essen-Kray den Kontakt mit der Bekenntnisgemeinde dort aufgenommen. Auch da war der Kirchenkampf im vollen Gange. Es kam zu einem persönlich Kontakt mit dem Bekenntnispfarrer Hack, dem vom deutsch-christlichen Presbyterium die Kirche für den Gottesdienst verschlossen blieb. Trotzdem wurden die Gottesdienste gehalten, nun aber in anderen Sälen, immer an anderen Stellen. Die evangelische Gemeinde Gelsenkirchen-Rotthausen gehört zur westfälischen Landeskirche und ist uniert-lutherisch geprägt, die evangelische Gemeinde in Essen-Kray war Teil der rheinischen Landeskirche und ist uniert-reformiert. In der schwierigsten Zeit hat oft Pfarrer Heinrich Held aus Essen-Rüttenscheid hier den Gottesdienst gehalten, der (was wir später erfahren haben) während der ganzen Nazizeit unter grösster eigener Gefahr und der seiner Familie den ehemaligen jüdischen Mitarbeiter des Oberbürgermeisters von Essen im Pfarrhaus versteckt gehalten hat. Pfarrer Heinrich Held (1897-1954), Pfarrer in Essen-Rüttenscheid, nach dem Kriege Kirchenpräsident der Evgl. Kirche von Rheinland, Vater des ehemaligen Präsidenten unserer Evangelischen Kirche am La Plata. * Welche weiteren Kontakte knüpften Sie noch in der neuen Gemeinde Essen-Kray? Dort kam ich auch in einen engen Kontakt mit einem pensionierten Missionar der Basler Mission, Georg Kehrer, und seiner Tochter, einer aus China heimgekehrten Missionsärztin, die nun hier am Ort ihre Praxis ausübte. In Essen-Kray, entstand ebenfalls ein sehr freundschaftliches Verhältnis mit der Familie meiner späteren Frau. Ich wurde zu ihrer Konfirmation als 13-jähriges Mädchen eingeladen, die am Weihnachtstag 1939 stattfand, unvorhergesehen in der Nachbargemeinde Essen-Steele, und zwar durch den Superintendenten von Essen, weil ihr Pastor Hack kurz vorher von der Geheimen Staatspolizei (GeStaPo) Redeverbot für ganz Deutschland bekommen hatte. Er war aber bei der Konfirmation dabei. Der Superintendent war gewissermaßen sein Mund. * Hat Ihnen diese Einbindung in Gemeinden, die zur Bekennenden Kirche gehörten, nicht Schwierigkeiten als Angestellter bei der Post gebracht? Natürlich konnte mein Verhältnis zur Evangelischen Jugend und zur Bekennenden Kirche meiner vorgesetzten Behörde nicht verborgen bleiben. Ich galt als einer, "der sich nicht rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einsetzen würde"; auch wurde ich nicht zur Prüfung zugelassen. Als solch ein unsicherer Kandidat wurde ich zu einem 14-tägigen Kursus vom Amt für Beamte der NSDAP zur Gauschulungsburg Mühlheim/Ruhr-Menden einberufen. Er war speziell für Beamte des Staates der verschiedenen Arbeitsgebiete und Laufbahnen gedacht, die unter Verdacht standen, sich nicht rückhaltlos für den NS-Staat einzusetzen. Hier waren wir zu ungefähr 50 Beamten und Beamtenanwärter. Es begann eine radikale Doktrinierung in der nationalsozialistischen Weltanschauung, besonders aber in der Rassenlehre, bzw. im Rassenhaß und in der Herausstellung des Gegensatzes zum christlichen Glauben. Was mir noch in Erinnerung geblieben ist, sind folgende Parolen: "Die 10 Gebote sind so viel Wert wie der Dreck unter den Fingernägeln." Oder: "Die Geschichte vom Getreidewucherer Josef." Auf einem Ausmarsch wurde uns vom Leiter zugerufen: "Kopf hoch, Kameraden, Jesus lebt; seht Ihr nicht, wie er gerade gen Himmel auffährt?" Als Beispiel des politischen Denkens gerade in der Zeit der internationalen Münchner Konferenz (29. September 1938) über das Sudetenland und über die Tschechoslowakei, habe ich noch folgende Worte in Erinnerung: "Wehe Euch, wenn Ihr in dieser Zeit wagt, zu sagen, dass bald die deutsche Fahne über Prag und ganz Tschechoslowakei wehen wird. Wehe aber Euch auch, wenn Ihr nicht glaubt, dass bald die deutsche Fahne über Prag wehen wird!" Als Fazit dieses Kursus wurde uns allen mitgegeben, dass daran nicht zu rütteln sei, dass als Beamter des NS- Staates nur der tragbar sei, der rückhaltlos die national-sozialistische Weltanschauung akzeptiert und dafür eintritt. Wer das nicht tun kann oder nicht tun will, der müsse sich schon eine andere Lebensstellung suchen. Für mich war da die Entscheidung klar. Und, wie ich schon erwähnte, war bei meiner Entscheidung für Jesus diese verbunden mit einem Dienst in der Nachfolge. * Wie reifte Ihre Entscheidung weiter, diese Nachfolge in Form eines konkreten Dienstes anzutreten? In der Zeit, da ich Klarheit brauchte für meinen Weg, kam ich durch Schriften und Büchern und Missisonskonferenzen und -vorträgen mit dem Missionsauftrag in Berührung und suchte Kontakte mit verschiedenen Missions-Gesellschaften. Ich dachte damals an China als Arbeitsfeld und als Begegnung mit Chinas Kultur. Es kam dann zu vielen persönlichen Kontakten mit der Rheinischen Mission in Wuppertal-Barmen. Schliesslich führten diese Kontakte dazu, dass ich nach meiner Volljährigkeit und nach Überwindung mancherlei Schwierigkeiten am 1. April 1939 in das Rheinische Missions-Seminar in Wuppertal-Barmen eintrat, das auch durch die Bekenntnisbewegung geprägt war. Leider dauerte dieser Einstieg nicht lange, da ich schon im Februar 1940 zum Kriegsdienst eingezogen wurde. * Sie konnten also nur knapp ein Jahr Theologie studieren, bevor Sie in den Krieg mussten; hat das etwas an Ihrer Einstellung zum Dienst an der Waffe geändert? Wenn auch die Zeit des Anfangs meines Theologiestudiums nur sehr kurz war, hatte sie mir doch in einer gewissen Weise eine Grundlage geschaffen, um meinen Glauben auch beim Militärdienst, zu bewahren und zu stärken. Den Militärdienst lehnte ich im Innersten meines Herzens ab, nicht nur wegen des Missbrauchs durch Hitler, sondern auch weil ich ihn, wie ein deutscher Dichter, als STAATSTIER-DRILLANSTALT empfand und verstand. Gleichfalls gab mir diese theologische Grundlage die Möglichkeit, weiter an der theologisch-wissenschaftlichen Erfassung des christlichen Glaubens, der durch den Pietismus und durch die kirchliche Verkündigung geprägt war, zu arbeiten. Da ich als Soldat bei der Nachrichtentruppe war, blieb mir viel Zeit, besonders Karl Barth und Rudolf Bultmann zu lesen. Und es gab innerhalb der Kompanie viele Kontakte und Gespräche, da wir zum grössten Teil mit Akademikern der verschiedensten Ausprägungen zusammengesetzt waren, darunter 5 Pfarrer. * Sie haben den Krieg aber dennoch in seiner ganzen Grausamkeit und Härte erlebt? Der Krieg führte mich zuerst nach Königsberg in Ostpreussen, von dort über den Truppen-Übungsplatz Arys nach Luxemburg, Holland, Belgien und Frankreich. Nach Beendigung des Frankreich-Feldzuges ging es wieder zurück nach Ostpreussen. Nach einer Ruhepause mit Beginn des Russlandkrieges über Litauen, Lettland, Estland ging es nach Russland in die Nähe der Stadt (damals) Leningrad. Durch das Erlebte, was ein Krieg alles verursachte, besonders bei der Zivilbevölkerung, wuchs noch mehr meine Aversion und mein Widerstand gegen jede Form von Kriegshandlungen. Diese innere Abneigung veranlasste mich, eine Möglichkeit der Vorbereitung für eine höhere Karriere bei den Soldaten abzulehnen, und sie brachte mich auch durch Äusserungen vor Kameraden vor ein Kriegsgericht in Krasnogwardeisk bei Leningrad. Das war allerdings wohlwollend und unterrichtete mich vor der Verhandlung, was ich sagen müsste, damit ich nicht wegen Meuterei verurteilt würde. Mein Kompaniechef war extra direkt von der Front im härtesten Winter zur Gerichtsverhandlung gekommen, um für mich zu sprechen. Er besuchte mich auch vorher in meiner Zelle. Das Schwerste für mich allerdings war das Gespräch mit einem zum Tode verurteilten Kameraden, den ich nach meinem Freispruch zu einer ärztlichen Untersuchung in ein Lazarett begleiten musste. Das Gespräch habe ich nicht mehr in meinem Leben vergessen können. * Worin Bestand Ihre Soldatentätigkeit bei der Nachrichtentruppe? Schon bei der Vorbereitung für den Russlandkrieg wurde eine Gruppe unserer Funkkompanie für den Abhorchdienst des russischen Militärfunks ausgebildet, zu der ich auch gehörte; die versah dann in Russland selbst ihren Dienst etwas hinter der direkten Front. Das gab mir die Möglichkeit, direkt in Verbindung mit der russischen Bevölkerung die russische Sprache zu erlernen. Trotzdem waren die Jahre bis zu unserer Kapitulation nur schwer zu ertragen. Sie erreichte uns eingeschlossen im Kurlandkessel (Lettland). Wir wurden als Gruppe von unserem Offizier zu einem offiziellen Akt zusammengerufen, nach dem wir noch alle Fahrzeuge, Waffen und Spezialgeräte für die Übergabe reinigen mussten. Uns wurden die Wehrpässe übergeben und mitgeteilt, dass wir mit diesem Tage aus dem Dienst der Deutschen Wehrmacht entlassen seien und jetzt machen könnten, was wir wollten. Auf uns warteten schon die russischen Soldaten. Und so endete für mich eine 5-jährige Kriegsdienstzeit und es begann in verschiedener Hinsicht eine noch schwerere 2-jährige Kriegsgefangenschaf * Wie ging es für Sie in Deutschland weiter, als Sie aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen wurden? Körperlich total geschwächt (43 kg Körpergewicht), kam erst im Juli 1947 der Heimtranssport im Viehwagen. Bei der Ankunft erfuhr ich, dass mein Vater inzwischen mit anderen bei einem Brand ums Leben gekommen war. Meine Mutter tat alles, damit ich wieder zu Kräften kam. Sie verkaufte Gegenstände aus unserem Haushalt, um mein Essen zu verbessern und hat oft selbst um meinetwegen gehungert. Aber das ganz Aussergewöhnliche in dieser Zeit, das mich sehr schnell wieder auf die Beine brachte, war, dass meine spätere Frau, Esther Meier, trotz der langen Ungewissheit, auf mich gewartet hatte. Das hat das Einleben nach 5 Jahren Soldaten- und 2 Jahren Kriegsgefangenenzeit nicht nur erleichtert, sondern erst überhaupt ermöglicht. Meine Verlobte stand bei meiner Heimkehr bereits im Schlussexamen an der Bibelschule in Bad Salzuflen. Als sie die Nachricht von mir bekam, dass ich auf dem Wege nach Hause sei, war sie gerade bei der schriftlichen Arbeit über "Rechtfertigung nach dem Römerbief", die ihr Schwierigkeiten bereitete und war dann durch meine Nachricht so beflügelt, dass sie doch noch eine sehr gute Arbeit schreiben konnte. Sie arbeitete dann in der Gemeinde Duisburg als Gemeindehelferin. Sie hatte nach dem Abitur Musik studieren wollen, war aber durch die Begegnung mit mir auch zur Theologie gekommen. So konnte ich schon Ende August 1947 ganz neu und ganz von vorne wieder das Theologiestudium am Missisonsseminar in Wuppertal-Barmen, das inzwischen im engen Kontakt mit der Kirchlichen Theologischen Hochschule im selben Gebäudekomplex stand, beginnen. * Wie haben sie diese Studienzeit als damals 30-jähriger in Erinnerung und wie wirkte sich die schweren Last der Jahre des Naziregimes und des verlorenen Krieges aus? Ich kann wohl sagen, dass insgesamt die 4 Jahre meines Studiums eine sehr schöne Zeit gewesen war. Die Vorlesungen über das Neue Testament durch Dr. Georg Eichholz und über das Alte Testament von Dr. Hans Walter Wolff haben mir die Botschaft der Heiligen Schrift immer wichtiger werden lassen, als Massstab für das kirchliche, aber auch für das soziale und politische und persönliche Leben. Man darf nicht vergessen, dass das ganze öffentliche Leben in Deutschland, das von den Alliierten und den Russen besetzt war, vor der Notwendigkeit stand, das verbrecherische Geschehen des besiegten Naziregimes aufzuarbeiten, wie Judenverfolgung und -mord, die nicht nach Recht und Gerechtigkeit fragende Diktatur und die in der ganzen Welt verursachten Schäden und Zerstörungen und die Millionen von Kriegstoten und -verletzten auf allen Seiten. Das alles scheint bis heute beim Jahrtausendwechsel nicht abgeschlossen zu sein. Und diese für Millionen von Menschen entsetzliche und grausame Zeit der Diktatur wird wohl nie aus der deutschen Geschichte gelöscht werden können und kaum einer von uns Deutschen, die damals in Deutschland gelebt haben, kann behaupten, dass er völlig schuldlos durch diese Zeit gegangen ist. * Haben Sie den Eindruck, daß sich diese Erfahrungen auf die Evangelische Theologie der Nachkriegszeit auswirkten? In dem Zeitraum des Theologiestudiums nach dem Kriege wurde der Schwerpunkt der Theologie immer mehr von Karl Barth auf Rudolf Bultmann und seine Schule gelegt, was nach meinem Ermessen eine grössere und erweiterte Möglichkeit gab, auf die Probleme dieser Welt und des Menschen in dieser Welt einzugehen. Ich sehe auch darin die Voraussetzung der später aufkommenden lateinamerikanischen Theologie der Befreiung. Es ging also nicht mehr darum, das Evangelium vor den Unbilden oder vor dem Hass der Welt zu schützen und rein zu erhalten, sondern darum, die konkreten Nöte der Menschen in dieser Welt ernst zu nehmen und sie mit dem Evangelium zu konfrontieren und von daher eine Hilfe zu erwarten. Dieses machte sich selbstverständlich auch bald deutlich in den Gottesdiensten und in der ganzen Gemeindearbeit und führte in Deutschland zur Bildung der sogenannten "Bekenntnisbewegung", die Front machte gegen die neue Theologengeneration. * Damit wurde ja die im Kirchenkampf geprägte Bezeichnung einer Bekennenden Kirche, nun von eine evangelikalen, politisch konservativen Linie innerhalb der Evangelischen Kirche besetzt. Blieben die Erfahrungen, die die Kirche zwischen 1933 und 1937 in der Auseinandersetzung mit den Deutschen Christen gemacht hatte ohne Wirkung? Leider wurden auf dem konfessionellen Gebiet die Erfahrungen der Bekenntnisgemeinden während der nationalsozialistischen Diktatur nicht beachtet und die neue Ordnung der Evangelischen Kirche gestaltete sich in einer restaurativen Weise. Es setzte dabei der fanatische Kampf der lutherischen Landeskirchen ein, die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland (die zusammengesetzt ist aus lutherischen, unierten und reformierten Gemeinden), zu einer evangelisch-lutherischen Kirche umzuformen, was ihnen jedoch nicht gelang. Dieser Versuch ist allerdings bis heute noch nicht beendet und hat seine Auswirkungen bis in unsere Kirche am La Plata. Ob die lutherischen Landeskirchen besonders damit kompensieren wollten und wollen, dass sie mit dem Verständnis der lutherischen Bekenntnisschriften (Zweireichelehre zum Beispiel) die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Staat nicht in der gebotenen Weise haben führen können oder wollen? Vergessen kann ich nicht, dass bei einer Tagung von Theologiestudenten verschiedener Universitäten und Missionsseminare es unmöglich war, das Heilige Abendmahl gemeinsam zu feiern, weil es den lutherischen Studenten von ihren kirchlichen Autoritäten verboten war, selbst auch mit den unierten Lutheranern, zu denen ich mich selbst zähle, gemeinsam am Abendmahl teilzunehmen. * Welche zusätzliche Ausbildung kam bei Ihnen im Hinblick auf die angestrebte Tätigkeit als Pastor und Seelsorger noch hinzu? Wann war Ihre Ausbildungszeit abgeschlossen? Während des Studiums nahm ich an verschiedenen Kursen über Psychologie und Seelsorge und auch über psychosomatische Medizin teil. Jeder von uns hatte in seiner Obhut einen Kindergottesdienst, oder leitete eine Bibelstunde oder einen Jugendkreis in Wuppertal oder in der näheren Umgebung des Bergischen Landes. Wir suchten auch Kontakte und Gespräche mit den zahlreich entstandenen evangelischen Kreisen, die ins Sektierertum abzugleiten schienen. Ende Oktober 1951, nach dem Schlussexamen, waren wir, meine Verlobte und ich, sehr froh, weil wir dachten, bald nach einem Vikariat im Siegerland, an unsere vorgesehene Arbeit auf einer Missionsstation in Südwestafrika (jetzt: NAMIBIA) gemeinsam gehen zu können. Leider kam es zum Bruch mit der Missionsleitung, weil wir nicht akzeptierten, dass wir nach der langen Verlobungszeit und ich schon mit 34 Jahren noch mit der Heirat warten sollten, bis die Missionsleitung das erlaubte; eventuell sollte meine Verlobte erst nach einer gewissen Zeit nach Afrika nachkommen. Wir heirateten am 19. November 1951. * Wann konnten Sie mit dem Dienst als Vikar in einer Gemeinde begannen? Trotz aller Schwierigkeiten mit der Missionsleitung setzte mich der Superintendent meiner Heimatsynode, Ernst Kluge, schon gleich im Januar 1952, in eine Vikarsstelle in der Gemeinde Gelsenkirchen-Buer-Hassel (Westfälische Landeskirche) ein. Hier lernte ich, was es heisst, pfarramtlichen Dienst in einer Bergarbeitergemeinde zu versehen, die immer noch schwere Not unter den Folgen des Krieges litt und die aus ihrer Ablehnung jeglicher kirchlichen Arbeit keinen Hehl machte, wohl in Notfällen Hilfe forderte und in Anspruch nahm. Mit dem Ortspfarrer hatte ich ein sehr feines und vertrauensvolles Verhältnis und eine gute Zusammenarbeit. Als Vikar wurde ich zu allen pfarramtlichen Diensten herangezogen, ausser Abendmahlsfeiern und Konfirmationen, die waren den ordinierten Pfarrern vorbehalten. Besonders schwer war die Arbeit mit den jugendlichen Bergarbeitern. Ich gab auch Religionsunterricht an der bergmännischen Berufsschule. Man brauchte viel Geduld, um mit ihnen in einen näheren Kontakt zu kommen. Als ich am Anfang einer neuen Jugendarbeit mit ihnen die Bibel aus meiner Aktentasche holen wollte, sagten sie mir einstimmig, ich solle die "Schwarte" (altes wertloses Buch) ruhig wieder einstecken, da stehe für sie als Jungbergleute doch nichts drin. Erst nach einem mehrmonatigen Miteinander mit Spielen, Wälzen von Problemen und Freizeiten und Radtouren und Wanderungen, kam auf einmal von den jungen Leute die Frage, wie es denn komme, dass sie, trotzdem sie eine evangelische Jugendgruppe seien, von mir als einem Geistlichen noch nichts von Jesus gehört hätten. Und jetzt, da die Frage von ihnen selbst kam, war der Weg zu einer intensiven und fruchtbringenden Bibelarbeit nicht nur möglich, sondern erwünscht, sie wollten in mir zuerst den Menschen kennen lernen. * Wie brachte sich Ihre Gattin in die Gemeindearbeit ein? Meine Frau hatte inzwischen eine Krankenpflegeausbildung in Bielefeld wegen einer Erkrankung abbrechen müssen und arbeitete inzwischen wieder als Gemeindehelferin in Gelsenkirchen-Schalke, ebenfalls in einer Arbeitergemeinde. Hier waren es Fabrikarbeiter. Unter ihrer Verantwortung standen besonders die Jugendlichen und die Frauengruppe und die chorische Arbeit. Gelsenkirchen-Schalke hatte damals den Ruf wie heute hier der Ortsteil BOCA von Buenos Aires. Bekannt war dieser Ort in ganz Europa durch den Fussballklub SCHALKE O4. * Wann wurden Sie ordiniert und wie kam es für sie beide zum Wechsel in den Pfarrdienst unserer Deutschen Evangelischen La Plata-Synode? Am 30. Oktober 1954 wurde ich durch den Superintendenten Ernst Kluge in Gelsenkirchen-Buer-Hassel ordiniert. Meiner Frau und mir war es aber von vornherein klar, dass unsere Lebensarbeit nicht in Deutschland sein würde, darum traten wir bald in Kontakt mit dem Kirchlichen Aussenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland in Frankfurt am Main, um die Möglichkeit eines pfarramtlichen Dienstes in einer deutschen Gemeinde im Ausland zu erkunden. Anfänglich dachten wir an Brasilien. Aber dann kam die Nachricht vom Kirchlichen Aussenamt, ich möchte sofort nach Frankfurt (2. Juni 1954) ins Aussenamt kommen, es sei dort Propst Martin Marczynski von der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode, der dringend einen Pfarrer suche für eine Gemeinde in Argentinien. Durch diese Begegnung war es nach Rücksprache mit meiner Frau klar, dass wir das Angebot annehmen würden, obwohl wir von der politischen Situation keine Ahnung hatten, auch nicht von den kirchlichen und gemeindlichen Gegebenheiten, auch nicht viel verstanden von dem, was Propst Marczynski uns von seiner Sicht erklärt hatte. Wir wollten einfach den Sprung ins Ungewisse wagen. Wir gehörten damit zu den Ersten, die überhaupt wieder vom Kirchlichen Aussenamt aus Deutschland ins Ausland ausgesandt werden konnten. Es folgten die Vorbereitungen für eine Ausreise im November 1954. Inzwischen war im August 1954 unsere Tochter Ruth geboren worden. Weil meine Frau danach an einer Brustentzündung erkrankte, verlor sie vorübergehend die Tropentauglichkeit und wir mussten bis zum 9. März 1955 mit unserer Ausreise nach Argentinien warten. So kamen wir, meine Frau und unsere Tochter Ruth und ich Anfang April 1955 im Hafen von Buenos Aires an. * Dieser -wie Sie sagen: "Sprung ins Ungewisse"- stellte Sie doch relativ unvorbereitet einer total anderen Situation als in Deutschland gegenüber. Hat Sie das anfangs nicht verunsichert? Selbstverständlich waren wir voller Fragen, was uns nun in Argentinien und in der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode und in der Gemeinde "General Alvear" in Entre Ríos erwarten wird. Allerdings fragten wir auch uns selbst, ob wir als Pfarrfamilie dem entsprechen, was sich die Kirche und die Gemeinde von uns erhofft und erwünscht hatten. Jedenfalls wurden wir im Hafen von Buenos Aires am Schiff LAENNEC von Propst Hans-Jürgen Ostrowski aufs herzlichste, ja aufs liebevollste empfangen. Propst Marczynski war ja inzwischen verstorben. Während dieser ganzen ersten Zeit machten Propst Ostrowski, seine Frau, ja, sogar die ganze Familie, uns das Einleben in der Metropole sehr verständlicher und leichter. Auch der Sekretär unserer Synode, Herr Grünwedel, stand uns zu jeder Hilfe bereit. * Wie waren die ersten Eindrücke in der neuen Umgebung? Da schon abzusehen war, dass bis zur Erlangung des argentinischen Personalausweises einige Wochen Aufenthalt in Buenos Aires notwendig sein würden, hatte uns der Synodalvorstand in das Hotel Viena in der Lavalle einquartiert. Es war nicht leicht, nach der verwöhnenden Schiffüberfahrt in der ersten Klasse, die Situation im Hotel Viena zu durchstehen. Vergessen habe ich nie, wie Propst Ostrowski uns ins Gastzimmer führte und mit einem harten Fußschlag und den Worten: "Was ist das doch für ein schönes Zimmer!" eintrat. Zum Glück hatte meine Frau in diesem Augenblick Ruth auf dem Arm, nicht bemerkt, dass er mit dem Fussauftritt 2 dicke CUCARACHAS [Kakerlaken] schon gleich an der Tür zertreten hatte. Das Problem für uns alle fing aber erst richtig an, als wir dann allein auf dem Zimmer zurückblieben. Ausser dem unbekannten Phänomen "Cucaracha" musste meine Frau das Zimmer reinigen und den Fussboden aufwischen. Ich forderte die Hotelleitung auf, sofort das Klosett in Ordnung zu bringen, denn man konnte das Badezimmer nur in Gummistiefeln betreten. Als meine Frau in der Küche des Hotels das Essen für das Kind vorbereiten wollte, waren wir allerdings entschlossen, wieder nach Deutschland zurückzufahren. Sie war der festen Überzeugung, dass man um des Kindes willen diese Unreinigkeit des Kochgeschirrs einfach nicht werde hinnehmen können. Aber nicht nur Propst Ostrowski und seine Familie und Glieder aus der Gemeinde standen uns helfend zur Seite. Wir wurden meistens zum Mittagessen dann auch von Gemeindegliedern eingeladen. Auch der Trost, dass in Aldea Protestante, unserem zukünftigen Pfarrsitz, alles anders sei, gab uns Mut, die Tage bis zur Weiterreise auszuhalten. Es wurden auch andere Möglichkeiten gefunden, um unser Kind mit dem Essen zu versorgen. Jedenfalls ist uns das Hotel Viena mit noch anderen Erlebnissen als Trauma in unserem Leben haften geblieben. * Die Eindrücke der Großstadt Buenos Aires ließen Sie sicherlich mit Spannung den Beginn der Arbeit auf dem ruhigeren Land erwarten? Wir sehnten uns den Tag herbei, da wir die Fahrt nach Entre Ríos dem GELOBTEN LAND, werden antreten können. Inzwischen hatte ich auch das erlebt, dass man mir am Schalter des Hauptpostamtes 5 Centavos-Briefmarken für 5 Pesos verkaufte und dass man meiner Frau am Schalter im Bahnhof RETIRO beim Lösen einer Fahrkarte ihren Geldschein wegschnappte und im Nu war der Junge mit dem Pesos-Schein im dollen Gedränge verschwunden. Das alles hat sich auch heute [1999] noch nicht geändert. Allerdings gab es auch nette Begegnungen, so eine mit einem Polizisten auf der Strasse. Heute sieht man sie ja kaum noch auf der Strasse. Beim Versuch, das Stadtinnere kennen zu lernen, fand ich nicht zurück ins Hotel. Ich sah den Polizisten und stammelte vor ihm meine Frage nach diesem Hotel. Ich tat es mit den spanischen Worten, die ich aus dem Büchlein "30 Stunden Spanisch" auf dem Schiff gelernt hatte. Das muss entsetzlich gewesen sein! Ein Sprachkursus war ja in Deutschland nicht vorgesehen, auch später wurden mir und meiner Frau von der Synode kein Intensivkursus zugebilligt. Es war kein Geld vorhanden. Als ich so stotterte vor dem Polizisten, sah er mich ruhig an und sagte: "Sprechen Sie ruhig Deutsch, denn Ihr Deutsch verstehe ich besser als Ihr Spanisch." * Erinnern sie sich noch, wo Sie das erste Mal in Argentinien Gottesdienst hielten? In der Gemeinde Villa Ballester hielt ich am Karfreitag 1955 den ersten Gottesdienst in Argentinien, natürlich in der deutschen Sprache. Wir gehörten zu den ersten Pfarrfamilien, die nach dem Kriege wieder von der Evangelischen Kirche in Deutschland ausgesandt werden konnten. Ich war so der 16. Pfarrer in unserer Synode. * Wie haben sie die erste Fahrt auf Ihre neue Landgemeinde in Erinnerung? Der Tag, den wir so sehnlichst erwartet hatten, kam nun doch endlich herbei. Es fiel uns wirklich nicht schwer, Buenos Aires hinter uns zu lassen. Nicht mit einem Omnibus ging die Fahrt nach Diamante, sondern mit einem Flußschiff. Damals bestand noch eine reguläre Schiffahrtslinie auf dem Fluss Paraná. Für diese Möglichkeit waren wir sehr dankbar, konnten wir doch wenigstens ein klein wenig mehr von Argentinien sehen als bisher und meine Frau konnte unser Kind Ruth besser versorgen. Wir spürten etwas von der Weite des Landes, obwohl das, was wir sahen, nur ein ganz kleiner Ausschnitt war. Ab Rosario wurde es auf der entrerrianischen Seite etwas hügeliger und interessanter. Wir hatten in der Tat bis zu unserer Ausreise nicht viel von Argentinien gewusst. So kamen wir im Mai 1955 im Hafen von Diamante an. Wir waren erstaunt, in welch einer liebevollen Weise wir von der Gemeinde Aldea Protestante empfangen wurden. Fast die ganze Gemeinde war auf den Beinen. * Es handelte sich damals noch um ein kleines durch die russlanddeutsche Einwanderung geprägtes Dorf? Ja, Aldea Protestante war ein kleines Dorf mit 2 Lehmstrassen und kaum 1.000 Einwohnern, das einem Dorf in Hessen ähnelte, das ich selbst noch erlebt hatte. Vom Hafen aus ging es über die damalige einzige Asphaltstrasse in Entre Ríos bis zur Einfahrt in das Dorf. Dort erlebten wir, was es heisst, auf schlammigen Wegen mit dem Auto hin und her zu rutschen. Es hatte am Vortage sehr stark geregnet. Im Dorf gab es nur wenige Autobesitzer, fast alle anderen hatten als Bauern Pferdewagen, die auch durch den grössten Matsch einigermassen sicher fahren konnten. Das habe ich im Laufe der nächsten Jahre zur Genüge kennenlernen können. Die Wege und Strassen erinnerten mich sehr an die Wegeverhältnisse in Russland. Nach einem grossen Festessen wurden wir natürlich in das Pfarrhaus geführt, ein um die Jahrhundertwende gebautes Gebäude, ohne jede Bequemlichkeit, das aber für viele Gemeindeglieder im Verhältnis zu ihren eigenen Häusern als Fortschritt galt. Wir legten sofort Hand an, UNSER Haus wohnlich zu gestalten, zuerst die hässlichen Lila-Wände zu überstreichen. In den nächsten Wochen kamen notwendige Möbelstücke dazu, die wir in Paraná kaufen konnten oder durch einen Schreiner aus dem Dorf hergestellt wurden. Jetzt waren wir da angelangt, wo wir unsere Kräfte zur Gestaltung des Gemeindelebens einsetzen sollten und wollten und konnten. Meine Frau als ausgebildete Gemeindehelferin hatte sich bald die Sympathie des Dorfes dadurch erworben, dass sie mit einer grossen Begeisterung die Chorarbeit übernahm, die in der pfarrerlosen Zeit nur notdürftig weitergeführt werden konnte, sodass der Chor schon einige Tage später am Himmelfahrtstage bei meiner offiziellen Einführung durch Propst Ostrowski singen konnte. Es ging meiner Frau darum, den Chor und die Gemeinde an das neue Liedgut aus Deutschland heranzuführen. * Wie kamen sie ohne Kenntnisse der Landessprache in der neuen Gemeindearbeit aus? Das Besondere war, dass im Dorf allgemein die deutsche Sprache gesprochen wurde und überhaupt aller Dienst, auch in den Filialgemeinden, in der deutschen Sprache geschah. Nur eine Schweizergemeinde, Colonia Nueva, die unserer Gesamtgemeinde General Alvear angeschlossen war, war schon ganz in die spanische Sprache übergegangen, und wurde in meiner ersten Zeit durch meine Vorgänger P. Otto Faber und P. Friedrich Hoppe, in der spanischen Sprache betreut. Für mich war es klar, dass ich eine längere Zeit überhaupt brauchen würde, um die Situation der Gemeinde und ihr bisheriges Leben zu verstehen, auch um in ein näheres Verhältnis zu den anderen Gemeinden unserer Kirche in Entre Ríos und im ganzen Arbeitsgebiet unserer Kirche in Uruguay, Paraguay und Argentinien zu kommen. Wir versuchten auch in der ersten Zeit, uns an die Gepflogenheiten der Gesamtgemeinde strikt zu halten. * Auf welche Schwierigkeiten stießen sie zu Anfang? Mein Tatendrang war am Anfang sehr stark gebremst dadurch, dass ich kein Fahrzeug hatte und durch die schlechten Wege, die bei Regenwetter und danach sogar nur mit dem Pferdewagen befahrbar waren. Das bedeutete, dass ich schon bei ganz schwachen Unwetterdrohungen von den Filialgemeinden zu den Gottesdiensten nicht abgeholt wurde. Ganz selten wurde dazu ein Auto benutzt, weil in verschiedenen von ihnen es höchstens 1 oder 2 Autobesitzer gab. Die Filial- oder auch Teilgemeinden genannt, waren ca. 10, 15, 30, 50 und 120 km vom Pfarrsitz Aldea Protestante entfernt. Wenn ich z.B. in der kleinen Gemeinde Meroú einen Gottesdienst am Sonntagmorgen halten wollte, musste ich mich am Samstagmorgen schon auf den Weg machen. Ein Abholen von Seiten dieser kleinen Gemeinde mit dem Pferdewagen war schwer möglich. Die Fahrt ging normalerweise so vor sich: Vom Pfarrhaus wurde ich von einem Glied von Aldea Protestante mit dem Pferdewagen abgeholt und bis zu der Asphaltstrasse gebracht, die nach Paraná führt, wo ich einen Omnibus nahm. Dort stieg ich in einen anderen Omnibus, der mich auf dem Erdweg nach Crespo brachte, wo die Gemeindegelieder der Filialgemeinden Reffino und Meroú normalerweise ihre Geschäfte machten. Und dort nahm mich ein Glied von Meroú, der dort seine Einkäufe und Verkäufe getätigt hatte, mit seine Pferdewagen bis zu seinem Hof in Meroú. Wie oft waren wir während der ganzen Fahrt in einer starken Staubwolke gehüllt. Das war nicht nur mit dem Pferdewagen so, sondern auch, wenn ich mit dem Auto abgeholt wurde. Hier im Bauernhaus konnte ich mich frisch machen und es kam zum persönlichen Kontakt mit der ganzen Familie. Waren Kinder vorhanden, sangen und spielten wir. Am anderen Morgen ging es dann mit der ganzen Familie auf dem Pferdewagen zum Gottesdienst. Nach dem Gottesdienst nahm mich ein anderer Familienvater mit zum Mittagessen und danach hatte ich die Gelegenheit zu einem Mittagsschlaf. Den Nachmittag benutzte ich, die Kranken zu besuchen oder machte allgemein Hausbesuche, die oft mit einem Hausgottesdienst verbunden waren. Anschliessend ging es den selben Weg, den ich auf der Hinfahrt gemacht hatte, wieder zurück, sodass ich spät am Abend wieder zu Hause war. Was meine Frau zu Hause inzwischen schwer verkraften konnte, war, dass das ganze Dorf durch das Vieh, das zum Melken ins Dorf getrieben wurde, bei den Lehmstrassen in eine Staubwolke eingehüllt wurde und damit auch das Innere des Pfarrhauses. Interessant war von Anfang an, dass die Gesamtgemeinde aus einer Dorf-, einer Stadtgemeinde und 4 Kampgemeinden bestand. Zu den letzteren gehörte auch die bereits erwähnte Schweizergemeinde in Colonia Nueva. Diese Zusammensetzung sollte sich allerdings in den folgenden Jahren noch verändern und erweitern. * Das Jahr 1955, in dem Sie und Ihre Familie an den Río de la Plata kamen, war gezeichnet durch den Sturz der für Argentinien epochenprägenden Regierung Perón durch einen Militärcoup, der sich selbst als >Revolución Libertadora< bezeichnente. Wie haben Sie, diese politischen Umwälzungen in Erinnerung? Vielleicht kann das erwähnt werden, dass während unseres ersten Aufenthalts in Buenos Aires, uns auffiel, dass sehr viel Propaganda für und um JUAN PERON, den Präsidenten von Argentinien, und seiner bereits verstorbenen Ehefrau EVITA gemacht wurde. Überall in der Öffentlichkeit erklang der Peronistenmarsch. Die Stadt war voller lebensgrosser Bilder von den Beiden. In jedem Omnibus oder Zug grüssten sie uns. Besonders Evita wurde fast wie eine politische Heilige verehrt. Eine gewisse Ähnlichkeit in dem allen mit dem, was unter Hitler in Deutschland geschah, lag auf der Hand. In der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Buenos Aires allerdings war eine sehr reservierte Haltung gegen Peron und gegen den Peronismus zu spüren, gleichfalls wie bei den Militärs und in den höheren Kreisen Argentiniens. Nicht zu verkennen aber ist, dass beide Perons, mag auch aus nicht zu erkennenden Gründen, viel für die ärmere Bevölkerung und für die Arbeiter getan hatten. Obwohl uns das alles auffiel, haben wir das alles zunächst als eine lateinamerikanische Mentalität etwas bei Seite geschoben. Es gab ja so viel Anderes und Neues. Doch schon in der ersten Woche am Pfarrsitz in Aldea Protestante wurden wir von einem Vorstandsmitglied der Gemeinde zum Mittagessen eingeladen und dabei herzlich und dringend gebeten, unter keinen Umständen öffentlich Kritik an Peron und Evita und der peronistischen Bewegung und am peronistischen Staat zu üben, das würde uns und der Gemeinde teuer zu stehen kommen; er selbst habe schon bittere Erfahrungen machen müssen. Man kann sich vorstellen, dass uns manches klar wurde, denn wir hatten es schon zur Genüge in Deutschland kennen gelernt. Schon kurze Zeit danach war alles zusammengebrochen oder durch das Militär "zusammengebrochen worden ", obwohl der Peronismus immer wieder im Hintergrunde brodelte und dann auch wieder politisch offen bis heute zu Tage trat. Das Militär ging allerdings gegen jede demokratische politische Macht in Argentinien vor und suchte den diktatorischen Staat als eine Normalität einzusetzen und zu fördern. Wir, meine Frau und ich, hatten es bald gemerkt, dass sich unsere Gemeindeglieder, mit wenigen Ausnahmen, ziemlich apolitisch verhielten, aber in einer überhöhten Weise staatstreu waren. Das kommt sicher aus ihrer Situation als Immigranten, die doch nur geduldet würden, wie sie meinten. Sie nahmen damals kaum am politischen Leben teil und das hatte sich für viele weitere Jahre auch nicht geändert, weil sie einmal noch lange an der deutschen Sprache festhielten und darum die ganze Realität nicht erfassen konnten. Mit einer Zeitung in der Landessprache wussten sie nichts anzufangen. Langsam durch die Kinder in den Regierungsschulen und durch die örtlichen Radiosendungen wurden ihnen nach und nach das Leben ausserhalb ihres Gesichtskreises immer etwas näher gebracht. So habe auch ich selbst in den ersten Jahren ohne Auto nicht erfahren, dass die Bewohner der Hafenstadt Diamante am Fluss Paraná, in der sich eine kleine evangelische Gemeinde bildete, zur Hälfte in Hütten ("ranchos") wohnen, die man aber normalerweise nie zu Gesichte bekommt. * Hing diese Abschottung von der Umwelt mit einer schleppenden Integration der deutschsprachigen Einwanderer aus Russland und ihrer Nachkommen in die argentinischen Gesellschaft zusammen? Ja, die Heirat unserer Gemeindeglieder mit Argentiniern wurde anfänglich sehr geächtet. Viele unserer Gemeindeglieder waren am Anfang unserer Zeit nicht ein einziges Mal in ihrem Leben in der Provinzhauptstadt Paraná (30 km von Aldea Protestante entfernt) gewesen. Eine kleine Gemeinde besteht auch dort. * Wie gestaltete sich die pastorale Tätigkeit in diesen Landgemeinden? Welches waren die Schwerpunkte, die sie in ihrer Arbeit zu setzen versuchten? Da unter den damaligen Verhältnissen der Dienst in den verschiedenen Teilgemeinden nur für die dringenden Fälle, das heisst Krankenbesuche und Beerdigungen, und für den Gottesdienst einmal im Monat möglich war, haben wir den Dienst in der Gemeinde am Pfarrsitz intensiviert. In jeder Woche ohne Sonntagsgottesdienst gab es am Donnerstagabend einen Wochengottesdienst, in dem fortlaufend ganze Bücher der Heiligen Schrift ausgelegt wurden, wie z.B. das Markus-Evangelium, die Propheten Amos und Jona, oder der Kolosserbrief. Diese Wochengottesdienste wurden sehr gut besucht. Es konnten dabei auch die textkritischen und theologischen Schwierigkeiten angesprochen werden, von denen leider normalerweise die Gemeindeglieder nichts erfahren. Der schon bestehende Chor konnte ganz neu aufgebaut und mit dem damaligen neuen Liedgut aus Deutschland vertraut gemacht werden. Fast die ganze männliche und weibliche Jugend war im Chor vertreten, auch ältere Frauen und Männer nahmen daran teil. Diese Chorarbeit lag ganz in den Händen meiner Frau, auch die Kindergottesdienstarbeit, desgleichen die Bildung von 2 Blockflötenkreisen. Sie bildete auch 3 Mädchen in der Begleitung des Gemeindegesangs mit dem Harmonium aus, die dann später als Organistinnen für den Gottesdienst zur Verfügung standen. Bei unserer Ankunft tat noch ein Deutscher in einer primitiven Weise Deutsch-Unterricht in Anlehnung an den Kleinen Katechismus Martin Luthers. * War es Ihnen möglich, diesen neue Ansatz auch für die umliegenden Filialgemeinden nutzbar zu machen? Um die Arbeit in den Teilgemeinden zu intensivieren, wurden die Fahrten zu einem vollen Dienst am ganzen Wochenende geplant. Er begann schon am Freitagabend und wurde ausgefüllt mit Kranken- und normalen Hausbesuchen, evtl. Hausgottesdiensten, mit Lichtbild-vorträgen; um die Gemeinde mit dem, was ums her und in der Welt und in der Kirche geschah, vertraut zu machen, und es fanden dann auch regelmässig Bibelstunden statt. Besonders wurde der 14-tägige oder 3-wöchige Konfirmanden-Unterricht für die Gemeinde benutzt. Ich wohnte dabei auf einem Bauernhof in der Gemeinde. Normalerweise kam jeden Abend die Gemeinde zu einer Bibelstunde oder einem Lichtbildabend oder zum Einüben der Gesangbuchlieder zusammen. Hausbesuche waren selbstverständlich. * Bestand nicht die Möglichkeit auch Laienmitarbeiter für die Ausweitung der kirchlichen Arbeit zu gewinnen? Leider wurde der Dienst eines Lektors für Lesegottesdienste zur Belebung der Gemeindearbeit nicht angenommen, trotzdem ich gleich am Anfang einige willige Männer zu diesem Dienst ausgebildet hatte. Der Grund der Ablehnung lag in den schlechten Erfahrungen, die man allgemein in unseren Gemeinden in Entre Ríos mit den ähnlichen Diensten gemacht hatte, die durch Glieder der sogenannten BRÜDERBEWEGUNG durchgeführt wurden. * Welches war das zentrale Anliegen Ihrer damaligen Verkündigung in diesen Gemeinden? Wie konnte es anders sein, als dass die ganze Gemeindearbeit unter dem Bekenntnis: JESUS CHRISTUS allein ist der HERR! stand. Wir sangen zum Schluss jedes Gottesdienstes das Lied: 1. Jesus Christus, König und Herr, sein ist das Reich, die Kraft, die Ehr! Gilt kein anderer Name, heut und ewig. Amen. 2. In den Jüngsten Tages Licht, wenn alle Welt zusammenbricht, wird zu Christi Füssen jeder bekennen müssen: 3. Jesus Christus, König und Herr, sein ist das Reich, die Kraft, die Ehr! Gilt kein anderer Name, heut und ewig. Amen Ebenfalls galt für uns, was durch das Barmer Bekenntnis bezeugt wird. * Sie spürten also, daß auch hier in den deutschsprechenden evangelischen Gemeinden, auf der Linie der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, gegen die Verquickung von christlichem Glauben und Deutschtum Stellung zu beziehen war? So nach und nach spürte man bereits im Kontakt mit Gemeindegliedern und Kollegen, die hier in der Nazizeit ihren Dienst getan hatten, eine gewisse Ratlosigkeit heraus, mit dieser ihrer Vergangenheit fertig zu werden, die einmal dazu führte, über diese Zeit zu schweigen, manches bewusst zu verschweigen. Unter den Kollegen spürte man auch Spannungen, die das Miteinander später noch immer belasteten. So habe ich erst in diesem Jahre erfahren, was zufällig herausgekommen ist, dass sich damals in unserer Kirche die Vereinigung DEUTSCHE CHRISTEN gebildet hatte, mit namhaften Kollegen an der Spitze. Es wurde später alles versucht, in neuen Statuten und Kirchenordnungen diese Vergangenheit zu überwinden oder wenigstens zu verbergen, wenn auch heute noch hier und da diese Vergangenheit zu merken ist. Da ich mich zuerst in das Ambiente hier einleben musste und mich ganz der Gemeindearbeit widmete und wegen der weiten Entfernungen, blieb keine Möglichkeit, mich mit dem gerade erwähnten Aspekt mit den Kollegen auseinanderzusetzen. * Welches waren hauptsächlich die Herausforderungen, denen sich diese Landgemeinden damals zu stellen hatten? Die evangelischen Gemeinden in Entre Ríos standen unter einer doppelten Anfechtung: 1. Die Glieder, die zum grössten Teil Russlanddeutsche oder Nachfahren von Russlanddeutschen waren, hatten in den Siedlungen in Russland erlebt, dass in einer nicht guten Weise dort Pfarrer und Polizist zur Aufrechterhaltung der Ordnung und der Sitte zusammen arbeiteten, was sie innerlich im Grunde ihres Herzens ablehnten und als sie hier in Argentinien ankamen, und die Freiheit genossen, wollten sie sich nicht mehr durch die Vertreter der Kirche in irgendeiner Form bändeln lassen, hier waren sie ja nicht mehr dazu gezwungen. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis sie merkten, dass keine Kirche mehr ihnen zur Seite stand. Und zwar baten sie erst um einen Pfarrer aus Deutschland, nachdem sich die ADVENTISTEN im Raum unserer Gemeinde in Puiggari niederliessen und sie durch ihre Propaganda in Unruhe brachten. Ihren tradionellen Glauben wollten sie sich durch sie dann doch nicht nehmen lassen. Dieses Zentrum der Adventisten hat sich im Laufe des Jahrhunderts immer mehr ausgebreitet mit Sanatorium, mit Primär- und Sekundärschulen und verschiedenen Universitätsfakultäten und Krankenpflege und bleibt immer noch eine Anfechtung für unsere Gemeinde. Die ersten Adventisten in Argentinien waren Russlanddeutsche gewesen. 2. Weitere Anfechtung kam durch die Spaltung der Gemeinde in Aldea Protestante bei einem meiner Vorgänger, verursacht durch einen befreundeten Lehrer, der im Osten Deutschlands arbeitete, den ein Vorgänger aus Deutschland zur Unterstützung seiner Arbeit geholt hatte. Nach kurzer Zeit sammelte dieser Lehrer sich unter unseren Gliedern eine Personalgemeinde und machte sich zum Pastor. Diese Personalgemeinde ging später zu der Kongregationalkirche über und erschwerte die ganze Gemeindearbeit. Ähnliches geschah in vielen anderen Gemeinden unserer Kirche in Entre Rios, dass durch die Propaganda und durch Versprechungen Glieder der Gemeinden unserer Kirche zu der Kongregationalkirche oder zu der Lutherischen Missourierkirche übertraten, und unsere Gemeinden in grosse Schwierigkeiten brachten. * Neben diesem >Abwerben< von Gemeindegliedern durch andere (deutschsprechende) evangelische Glaubensgemeinschaften setzte doch in jenen Jahre auch ein verstärktes Abwandern von Gemeindemitgliedern in die großen Städte und Ballungszentren Argentiniens ein. Fanden sie dort den Anschluß an evangelische Gemeinden? Auch das ist eine Realität, dass viele unserer russlanddeutschen Gemeindeglieder aus Entre Ríos und aus dem Inneren unseres Landes, die in Buenos Aires oder in anderen Städten Arbeit gefunden hatten, weil das zur Verfügung stehende Land für die ganze Familie zu klein geworden war oder auch durch Heirat, sich der römisch-katholischen Kirche anschlossen, oder einer anderen evangelischen Denomination, ja, sogar zu Sekten übergingen, wie den ERNSTEN BIBELFORSCHERN, oder ganz einem christlichen Leben fernblieben. Die meisten von ihnen waren für ein Leben in der Stadt nicht vorbereitet, auch nicht in Kenntnis gesetzt worden, wo überall unsere Kirche Gemeinden gebildet hatten oder dass sie sich also in der Freiheit von der Kirche sehr wohl fühlten. Natürlich war und ist es noch heute die Aufgabe der russland-deutschen Gemeinden, ihre Glieder auf die Situation in Buenos Aires und in anderen Städten aufmerksam zu machen und vorzubereiten. Allerdings kann das nicht verteidigt werden, damals nicht und auch heute nicht, was der russlanddeutsche Pfarrer Riffel damals in einem Vortrag in Aldea Protestante als Massstab für die Russlanddeutschen aufstellte: "Ihr seid als Russlanddeutsche für die Landarbeit bestimmt, auf dem Lande habt ihr zu leben und da ist eure Arbeitsstelle, da hat Gott euch hingestellt. Wenn ihr in die Stadt geht, seid ihr verloren!" * Damit sahen Sie sich einer Reihe von Herausforderungen gegenübergestellt, die Ihnen und Ihrer Familie das Einarbeiten in die neue Umgebung sicher nicht einfach gemacht haben. Welche Probleme traten auf? Die Arbeit in der Gemeinde wurde schon nach 3 Jahren (1958) dadurch gebremst worden, dass ich bei einem Unfall im Pfarrhaus, die Petroleums-lampe in der Hand, (wir hatten noch keinen Strom im Dorf) eine Netzhautablösung am rechten Auge erlitt, die zu einer völligen Erblindung des Auges führte, das linke war auch bereits in Mitleidenschaft gezogen. Die nötige Behandlung mit Operationen in Buenos Aires und in Tübingen (in Deutschland) hielten mich für einige Monate von der Gemeinde fern. Allerdings konnten die notwendigen Dienste in der Gemeinde durch die Nachbarpfarrer, durch den Propst und auch durch meine Frau aufrechterhalten werden. Ein Gutes hatte diese leidvolle Geschichte. Nach Wiederaufnahme der Arbeit wurde mir ein Auto für die Arbeit zur Verfügung gestellt, sie wurde dadurch nicht nur normalisiert, sondern sogar intensiviert. * Welche Herausforderungen stellten sich Ihnen damals auf übergemeindlicher Ebene durch die Einbindung der Landgemeinde in den größeren, kirchlichen Rahmen der Deutschen La Plata-Synode? Eine Auseinandersetzung begleitete uns hier vom Anfang bis heute, der Versuch, unsere Kirche, die in ihrer Zusammensetzung eine unierte Kirche war und ist, ganz in das lutherische Lager zu überführen, wie es in Brasilien gelang. Der Versuch ging einmal von der Vereinigten Evagelischen Lutherischen Kirche in Deutschland und zum anderen vom Lutherischen Weltbund aus. Bereits Dezember 1958 besuchte der amerikanische Vertreter des Lutherischen Weltbundes mit unserem Propst Gemeinden unserer Kirche, so auch unsere Gemeinde in Aldea Protestante, um durch Vorträge den Beitritt zum Lutherischen Weltbund schmackhaft zu machen. Es hat dabei immerhin in Aldea Protestante eine harte Auseinandersetzung gegeben. Zum anderen kam dieses Bemühen selbst aus der eigenen Kirche, konnte doch dadurch wenigstens etwas vom propagierten und verteidigten Deutschtum gerettet werden, indem man den "deutschen" Luther zum Symbol erhob. Heute kann man sagen, dass dieses ganze Konfessionsproblem in unserer Kirche einen gewissen Abschluss gefunden hat und wir unseren unierten Charakter stark bekräftigten und zwar dadurch, dass wir die Leuenberger Konkordie für uns bindend erklärten und dass wir gleichzeitig als volle Mitglieder dem Lutherischen und dem Reformierten Weltbund beitraten. Dass das vom Lutherischen Weltbund akzeptiert wurde, ist sehr erstaunlich gewesen. Erfreulich ist es auch, dass auf unserer letzten Synodal- und Generalversammlung (1998) wieder stärker neben den lutherischen die reformierten Bekenntnisschriften in unseren Statuten und in der Synodalordnung zum Ausdruck gebracht worden sind. Man kann wohl sagen, mit allen Vorgegebenheiten, die vorhanden waren, brauchten wir die ganze erste Periode von 6 Jahren, um die komplette Situation der Gemeinde, des Bezirks Entre Ríos, der Kirche und des Landes mit seiner Politik zu erfassen und daraus Schlüsse zu ziehen, wie eine Gemeindearbeit auszusehen hat, und zwar durchaus auch mit der Respektierung der bestehenden Traditionen. * Wie selbständig waren diese Landgemeinden evangelisch-russlanddeutscher Prägung? Konnten sie es sich leisten, ihre konfessionelle Identität nicht aufzugeben durch die Notwendigkeit wirtschaftlicher Unterstützung von aussen ? Die finanzielle Lage konnte auf eine etwas sichere Basis gestellt werden und durch das Auto wurden die Dienste in den Filialgemeinden vermehrt. Wir erlebten eine gewisse Aufbruchsstimmung, die dazu führte, dass neue Filialgemeinden entstanden, wie Diamante, Grabschental und General Racedo. Während meiner ganzen Dienstzeit in der Gemeinde stand für die Konsolidierung der Gemeinde das Bestreben der Nachbargemeinde CRESPO, Glieder aus unserer Gemeinde abzuwerben, im Wege. Es kam ihr dabei gut zustatten, dass sie durch ihre Gemeindesituation die Möglichkeit hatte, ihren Gemeindebeitrag sehr niedrig zu halten und darum für unsere Glieder immer eine grosse Anfechtung bedeutete. Selbst eine Absprache vom 28.9.1976 der Vorstände und Pfarrer der Gemeinden von Crespo, General Ranírez und General Alvear zur Beachtung der Gemeindegrenzen und über Fragen der Mitgliedschaft wurde nicht beachtet. In der Konsolidierungsphase mit einer Aufbruchsstimmung, zu der auch gehörte, dass die Bauern von ihrer Monokultur abgingen und sich mehr nach den Bedürfnissen des Marktes richteten und die Regierung ihnen etwas mehr als üblich vom erhaltenen internationalen Preis der Produkte übrig liess, konnten sie ihren Hausstand verbessern und ihre Arbeitsgeräte erneuern. Sie fühlten sich nach langer Zeit eines sehr engen Lebensstiles etwas wohler und waren auch gebefreudiger für die Gemeindearbeit und für gesamtkirchliche Aufgaben. Sie stellten fest, dass die Räume für die Gottesdienste und sonstigen gemeindlichen Zusammenkünfte nicht mehr ihrer eigenen Lebenssituation entsprachen. Als dann für die neu gegründete Filialgemeinde Diamante die Kirchenleitung sich für den Bau einer Kirche beim Gustav-Adolf-Werk in Deutschland einsetzte und eine finanzielle Hilfe zur Verfügung stellte und der Kirchbau in Diamante "wuchs", waren auch anderen Filialgemeinden nicht zu halten, neue, den heutigen Verhältnissen entsprechende Gotteshäuser zu bauen. Ausser der Beihilfe vom Gustav-Adolf-Werk in Deutschland und der Evangelischen Kirche von Westfalen haben die Gemeinden Aldea Protestante, Camarero/Puiggari, Grabschental und Reffino das meiste Geld selbst dazu beigetan, um ihre gottesdienstliche Räume zu bauen, auch ihr Arbeitseinsatz beim Bauen war einfach erstaunlich. Auf Initiative der Kirchenleitung wurde zum Schluss das alte Pfarrhaus in Aldea Protestante durch ein neues direkt neben der Kirche ersetzt. * Diese Verbesserung der wirtschaftlichen Lage für die Kleinbauern in Entre Ríos war jedoch kein anhaltender Prozeß. Wie begann sich die allgemein unruhiger werdende soziale und politische Lage im Süden Südamerikas während der sechziger Jahre bemerkbar zu machen? In diesem Jahrzehnt der Kirchneubauten und des Pfarrhausbaues in unserer Gemeinde, da es den Kleinbauern etwas besser ging, nahm nicht nur in der ganzen Welt die Armut zu, sondern auch auf unserem Kontinent und in unserem Land Argentinien. So hörte auch für unsere Kleinbauern die gute Zeit wieder auf. Der Peronismus hatte sich schon vorher der Arbeiter und der Armen angenommen, wurde allerdings von den Militärs durch Staatsstreiche an die Wand gedrückt und machtlos gemacht. In dieser Ratlosigkeit sahen viele Kreise in einem revolutionären Sozialismus die einzige Möglichkeit, eine Lösung der anstehenden Probleme zu finden. Das geschah nicht nur in unserem Lande, sondern in der ganzen Welt. Besonders waren die Studenten davon erfasst, auch die Theologiestudenten der verschiedenen evangelischen Denominationen und der römisch-katholischen Kirche, die durch einen Aufklärungsfeldzug (proceso de concientización) die Bevölkerung auf die Situation der Armen und Unterdrückten in der Welt aufmerksam machten. * Was brachte da die Ausbildung eigener, aus den südamerikanischen Gemeinden stammender junger Menschen zum Pfarrdienst in Bewegung? Bei der Kirchwerdung der Evangelischen La Plata-Synode in den fünfziger Jahren war von vornherein klar, dass diese Kirchwerdung nur möglich sein wird, wenn die Pfarrer nicht mehr aus der deutschen Heimatkirche, sondern aus unseren eigenen Gemeinden kommen. Darauf haben schon gleich nach Beendigung des Weltkrieges die aus Deutschland ausgesandten Pfarrer hingewiesen. Es standen uns bereits die Evangelische und die Lutherische Theologische Fakultät in Buenos Aires zur Verfügung. Dass natürlich die junge Theologengeneration, die aus den hiesigen Fakultäten kamen, dann hier und da Unverständnis entgegennehmen mussten und vielleicht sogar Unruhe hervorriefen, war klar. Zumal die verschiedene Sicht von reich und arm, Norden und Süden, Kolonialismus und Ausbeutung, Versklavung und Unterdrückung, Stellung der Kirche und der Christen in solchen Situationen, um nur einige wenige Stichpunkte, zu nennen, des Kommunismus verdächtigt und diffamiert wurde. Der Peronismus mit seiner arbeiterfreundlichen Haltung hatte ja jahrzehntelang den kommunistischen Eingang in Argentinien aufgehalten, weil er viele Ziele des Sozialismus zu seinen eigenen Zielen gemacht hatte. So wurde jetzt der Kommunismus wie der Peronismus gleichermassen als Unruhefaktoren in Argentinien angesehen und von den Gutsituierten angegriffen und Militär und Polizei auf sie angesetzt. Die Bewusstseinsbildung ("concientización") der Bevölkerung über das, was in unseren Ländern Argentinien. Uruguay und Paraguay und überhaupt in ganz Lateinamerika geschehen war und noch geschieht, war schon sehr weit fortgeschritten. Allerdings, wie schon erwähnt, hatte die junge Theologengeneration in unseren Gemeinden mehr Widerstand als Erfolg. Unsere Gemeindeglieder hatten von ihrer Vergangenheit als Immigranten her wenig Verständnis für die allgemeine Situation und sie hatten auch Angst vor den Folgen, die sie daraus hätten ziehen müssen. * Die Theologie der Befreiung war das Stichwort für diesen neuen Ansatz. Wie machte er sich innerhalb Ihrer Gemeinden bemerkbar? In dieser Zeit, da durch Misswirtschaft und Korruption im eigenen Land und durch politischen und wirtschaftlichen Druck von Nordamerika und Europa, das Leben immer beschwerlicher und die Armut immer grösser wurde, geschah an den evangelischen und katholischen Fakultäten etwas, was man fast nicht glauben konnte, es entstand ein neues christliches Liedgut, das melodisch nicht abhängig war von der überlieferten pietistischen Form, aber auch nicht mit den Maßstäben, sagen wir, des deutschen Chorals, gemessen werden konnte. Dieses Liedgut ist geprägt durch die alten und neuen Stilelemente unserer lateinamerikanischen Länder und hat als Hintergrund das hier gelebte Leben. Es wollte Zeugnis sein von unserem Herrn Jesus Christus, der allen Menschen, nicht nur einigen wenigen, auf dieser Erde eine Lebensmöglichkeit vorbereitet hat und uns befreit von aller Sklaverei und Bindung jeglicher Art und von der Unterdrückung und uns wieder als wahre Menschen leben lassen will, also das in Ordnung bringen will, was wir zum Teil willkürlich ausser Kraft gesetzt hatten. Wenn wir das verstanden haben, haben wir etwas verstanden, von dem, was THEOLOGIE DER BEFREIUNG bedeutet. Das ganze Tun Jesu Christi ist ja geprägt durch seinen Einsatz für die Unterdrückten und an die Seite gedrückten und versklavten Menschen. Er will ihr Heiland, ihr Helfer und ihr Befreier von allen sklavischen Bindungen sein. Er kämpfte ja dafür, dass wir auf dieser Erde wieder als Menschen menschlich leben können. * Die Theologie der Befreiung hat somit auch für Sie neue Impulse gebracht? Ja, denn alle theologischen Voraussetzungen meines Lebens und meines Studiums gaben mir die Möglichkeit, offen für die Probleme und Nöte unserer Länder und des ganzen Kontinentes zu sein; auch meine Frau begleitete mich in dieser meiner Haltung. Sie war es denn auch, die durch ihre chorische Arbeit in Aldea Protestante de Gemeinde selbst, übrigens als erste Gemeinde in Entre Ríos, für das neue Liedgut öffnete und vorbereitete. Das war nicht immer leicht. * Wie bekamen die Gemeindemitglieder in Ihrer Landgemeinde diese Probleme und Nöte Lateinamerikas konkret zu spüren? Da der grösste Teil der Gemeinde General Alvear Kleinst- und Klein-Bauern sind, und die Zeit, da es auf den internationalen Märkten für ihre Produkte einen annehmbaren Preis gab, nur sehr kurz war, der Kampf durch die ausländischen Grosskonzerne immer härter wurde und unsere Regierung die Landwirtschaft nicht in den Griff bekam, litten unsere Bauern sehr grosse Not. Und sie wussten sich nicht zu wehren. Ich will nur 2 Beispiele nennen, durch die viele Bauern in den Ruin gezogen wurden. In unserer Zone hatten viele kleine Bauern angefangen, durch die Hühnerzucht einige gute Erfolge zu erzielen, die Eier hatten einen guten Preis, auch das Hühnerfleisch. Und durch die Erweiterungen der Anlagen hatten sie Hoffnung, ihr Leben als Bauern zu ermöglichen oder sogar zu verbessern, auch mit wenig Land. Da setzte ein ausländischer Konzern zur Eroberung dieses Marktes an. Er kaufte zu einem äusserst überhöhten Preis alle zu erreichenden Eier auf und setzte sie in seine Frigoríficos (Kühl- und Schlachthäuser). Und als er nach etlichen Monaten die Zeit für gekommen hielt, überschwemmte er den Eiermarkt mit einem Preis, der die Hälfte eines normalen Preises ausmachte. Mit diesem Preise konnten unsere Hühnerzüchter nicht mithalten und blieben völlig verschuldet auf der Strecke. Inzwischen hatte der Konzern an anderer Stelle die grössten eigenen Hühnerzuchtanlagen eingerichtet. Und dazu kamen noch nach einer gewissen Zeit die Agenten des Konzerns zu den ehemaligen selbständigen Hühnerzüchtern und boten ihnen die Möglichkeit an, für den Konzern zu arbeiten, und zwar für die Hähnchenproduktion. Der ehemalige Bauer sollte nur seine Stallungen zur Verfügung stellen und seine Arbeitskraft, alles andere wurde frei Haus geliefert, die Küken, das Futter und die Medizin und auch das Abholen der schlachtreifen Hähnchen. Der Lohn wurde kiloweise gemäss den abgelieferten Hähnchen berechnet, der aber so niedrig war, dass der ehemalige Bauer jetzt zum einfachsten Landarbeiter geworden war, mit einem Erlös, womit er nicht leben und nicht sterben konnte. Aus Not haben eine ganze Reihe von ehemaligen Hühnerzüchtern dieses schmähliche Angebot angenommen, andere in Entre Ríos haben ihr Bauernsein verschuldet aufgeben müssen. Der andere Fall sah so aus. Die Bauern, die in unserer Zone Milchwirtschaft betrieben, lieferten die Milch an einen bekannten internationalen Konzern in die Stadt Nogoyá, der sie normalerweise sogar vom Bauernhof abholte. Die Milch wurde nach ihrem Fettgehalt bezahlt, den die Fabrik selbst feststellte. Aber unsere Bauern konnten nicht verstehen, dass dieser immer, bei günstiger oder bei schlechter Weide, sehr niedrig war. Sie hatten keine Möglichkeit, die Richtigkeit der Feststellung des Fettgehalts selbst nachzuprüfen. Verschiedentlich haben sie die Milch von Spezialisten der INTA (# Instituto Nacional de Tecnología Agropecuaria) kontrollieren lassen und dabei gesehen, dass sie schon seit langem übers Ohr gehauen wurden. Die Bauern waren oft ratlos. Es war jahrzehntelang niemand da, der den kleinen Bauern zu ihrem Recht verhalf, die grösseren landwirtschaftlichen Betriebe hatten mehr Möglichkeiten, auch von Seiten des Staates. * Ergaben sich für Sie als Gemeindepastor Möglichkeiten in dieser Richtung etwas in die Weg zu leiten? Gerade in dieser Zeit begann die internationale Organisation FAO, die sich besonders um die armen Landarbeiter und die kleinen Bauern bemühte, ihre Arbeit auch in Argentinien. Sie, in Verbindung mir der römisch-katholischen Kirche, bildete junge Menschen für diesen Hilfsdienst aus, damit diesen Landarbeitern und den kleinen Bauern eine wirkliche Stelle der Hilfe zur Verfügung stand. Und so stand einer von diesen jungen Leuten vor der Pfarrhaustür in Aldea Protestante und warb um Verständnis für die Gründung der Ligas Agrarias Entrerrianas (# = Entrerrianische Bauernverbände) , denen er als Generalsekretär der Organisation Impulse gab, die im Raume der Gemeinde bei den Bauern der Gemeinde ein gutes Echo fand. Er selbst als ein bekennender Katholik suchte weiterhin den Kontakt mit mir und wir fanden uns oft im Pfarrhaus zusammen und berieten, wie den kleinen Bauern geholfen und sie vor den Manipulationen der grösseren landwirtschaftlichen Betriebe usw. geschützt werden könnten. Bei Streikvorhaben gingen die Überlegungen vor allem dahin, alles zu vermeiden, was Sachschaden, besonders aber Körperverletzungen, bedeuten könnte. Die Landbevölkerung bekam neuen Mut, wenn es auch Gemeindeglieder gab, denen diese Ligas nicht gefielen. Allerdings habe ich wegen meiner bejahenden und fördernden Haltung gegenüber dieser Arbeit nie in der Gemeinde Schwierigkeiten gehabt, nur ein Pfarrkollege aus der Nachbarschaft klagte bei "Brot für die Welt" in Deutschland an, die die Arbeit als förderunswürdig anerkannte, dass ich eine kommunistische Organisation unterstützen würde. Der Kollege soll aber eine harte Antwort von "Brot für die Welt" bekommen haben. * Wann kam es zur Unterbrechung dieser ökumenische Zusammenarbeit bei der Unterstützung der Ligas Agrarias Entrerrianas? Mitten in der guten Arbeit, die geleistet wurde, kam der Militärputsch im März 1976, der alle soziale Arbeit, alles Eintreten für Arme und Notleidende ein Ende setzte. Am Tage vor dem besagten Militärputsch, kam unser Freund von den Ligas Agrarias Entrerrianas ins Pfarrhaus und wir fuhren aufs Land und setzten uns an einem Feldweg nieder und er erzählte, was er von dem Militärstreich am kommenden Tage erfahren hatte. Es war uns klar, dass damit die Arbeitsmöglichkeit der Ligas zu Ende sei, da ein Widerstand gegen eine brutale Militärmacht unmöglich und sinnlos ist und der Landbevölkerung nur unnütze Leiden auferlegen würde. Wir hatten gerade in dieser Zeit geplant, in unserer Zone einen Landmaschinenpark einzurichten, da der Kauf dieser Maschinen von einzelnen Bauern einfach unmöglich war, selbst mittlere Bauern wurden durch den Kauf zum Beispiel eines Traktors in den Ruin getrieben. Beim Abschied befahlen wir uns, er als Katholik und ich als Evangelischer, in die Hände unseres Gottes und dankten auch uns gegenseitig für die gute Zusammenarbeit - und warteten der Dinge, die da kommen werden. Gleich am Anfang der Militärregierungszeit wurden mit anderen Organisationen die Ligas Agrarias Entrerrianas verboten, allerdings gab es für sie nur an wenigen Stellen von Entre Ríos Schwierigkeiten. Jedenfalls war ein Versuch der Hilfe für die ärmere Landbevölkerung gescheitert und sie musste ihren Weg allein weitergehen, bis heute. * Kam dieser Staatsstreich im März 1976 überraschend oder gab es Anzeichen, die so einen Umschwung ahnen ließen? Es war schon eine unfähige Regierung, die nach dem Tode des als Idol verehrten Präsidenten Juan Peron (1973), seine 2. Ehefrau Isabelita führte. Es herrschte ein Durcheinander auf allen Gebieten, die Gewaltaktionen nahmen immer mehr zu. Dazu kam, dass die revolutionären Kräfte überall mehr Macht gewannen und so unter Studenten und Arbeitern grossen Anhang fanden. Es war schon so weit, dass in der Provinz Tucumán bereits ein kleiner Teil von den Revolutionären beherrscht und regiert wurde und sie dabei waren, dieses Gebiet als selbstständigen Staat auszurufen. In dieser Zeit dachten viele an einen Staatsstreich, die einen wünschten ihn und die anderen befürchteten ihn. * Wie haben die Leute in den Gemeinden anfangs auf diesen Militärputsch reagiert? Da die Argentinier schon einige Male einen Staatsstreich erleben und erleiden mussten, dachten viele, das sei nicht so schlimm, wie der augenblickliche Zustand. Niemand hatte damit gerechnet, dass er sich diesmal in solch grausamer Weise vollziehen wird, mit einer Sprachregelung, die alles, wie ein Hohn für den christlichen Glauben, vertuschen und verbergen sollte. Massaker und Morden und das Einbeziehen von unschuldigen Angehörigen der Bekämpften in das Ermorden und das verheimlichte Abgeben von Säuglingen der Frauen, die ermordet wurden an andere Familien, alles das wurde als ein "schmutziger Krieg" bezeichnet und aus meuchlings Hingemordeten wurden "Verschwundene" (desaparecidos). Jegliche soziale Arbeit wurde als Terrorismus verdächtigt und bekämpft. Und was man als Staatsstreich bezeichnen muss, war nicht nur ein bestimmter Augenblick, sondern dauerte jahrelang und machte unzählige Argentinier heimatlos, die als Verfolgte fliehen mussten. * Wie hat sich diese grausame Militärzeit (1976 - 1982) auf Ihre Familie ausgewirkt? Unser Sohn Joachim (geb. 1956) musste sein Psychologiestudium mit den anderen Psychologiestudenten an der Fakultät in La Plata in Gegenwart schiessbereiter Soldaten durchführen. Sein Wohnraum in einem lutherischen Heim wurde von geheimer Militärpolizei in Zivil durchwühlt. Ruben (geb, 1958), während seiner Militärdienstpflicht Sanitätssoldat, bekam die ganze Grausamkeit dieser Militärepoche zu spüren. Wenn Sanitätsgruppen starteten, um nach angeblichen Kämpfen zwischen Militärs und Guerilleros in Aktion zu treten und gefragt wurde, warum sie kein Material mitbekämen, um Verwundeten zu helfen, war die Antwort: Ach das sind ja doch nur die Guerilleros und wenn sie noch nicht tot sind, dann müsst ihr sie noch ganz totschiessen"; psychologisch und körperlich krank, beendete er seine Militärzeit. Ruben hatte in dieser ganzen Zeit wegen des Militärdienstes und wegen des Beagle-Konfliktes und des Malvinen -Krieges drei mal die Aufnahmeprüfung, die jährlich stattfand, für die Universität in La Plata machen müssen. Obwohl alle bestanden wurden, konnte er erst nach der dritten Prüfung das Biologie-Studium beginnen. * Wie haben Sie die Auswirkungen dieser Militärregierungszeit auf das Leben der Gemeinden in Erinnerung? In dem vor dem Staatsstreich liegenden Zeitabschnitt waren die verschiedenen Kirchen in die soziale Arbeit eingestiegen, weil die immer grösserwerdende Armut es erforderte. Nun gehörte die gesamte kirchliche Arbeit zu den Terrorismus-Verdächtigen, selbst Teile der Arbeit der römisch-katholischen Kirche. Durch den Staatsstreich sollte auch die Arbeit der christlichen Kirchen unter Kontrolle genommen werden. Gottesdienste, andere Gemeindezusammenkünfte, Kurse, Vorstandssitzungen, Jugendstunden und Gemeindefeste sollten erst nach Genehmigung der betreffenden Militärstellen erlaubt sein. Da ich den Dienst der Gemeinde und in der Gemeinde nicht vom Militär abhängig wusste, habe ich mich während dieser Zeit in der ganzen Gemeindearbeit von diesen Anordnungen nicht beeinflussen lassen, was manchmal wohl bei den Verantwortlichen der Gemeinde nur mit Angst akzeptiert wurde. Bei unseren normalen Entre Ríos-Pfarrfamilientreffen tagten wir im Pfarrhaus, waren aber bereit, wenn wir Nachricht bekamen, dass eine Militärstreife in der Nähe sei, uns in die Kirche zu begeben, um zu singen und zu meditieren und zu beten. Probleme entstanden mir dadurch, dass ein junger Chilene, der nach dem Militärputsch dort in Chile verhaftet und gefoltert wurde, dann nach Argentinien floh, von meiner Frau, beim Besuch unseres Sohnes im Studentenheim in La Plata zu einem mehrwöchigen Aufenthalt zur Erholung ins Pfarrhaus eingeladen wurde, dass auch ich einen von den Militärs gefälschten, angeblich von Firmenich-Montoneros, an Pfarrer gerichteten Brief erhielt, dass ich in Vertretung zur Beerdigung eines von einem Wachsoldaten in Crespo aus der Gemeinde von Crespo im Dienst erschossenen Mann, Glied ebenfalls der Gemeinde Crespo, gerufen wurde, dass während dieser Zeit in einer verdächtigen Weise in Crespo der Tempel der Zeugen Jehovas angezündet wurde und verbrannte, ohne dass sich ein Widerstand zeigte, auch nicht von unserer Seite. Die Zeugen Jehovas haben ein zwiespältiges Verhältnis zum Staat und besonders zum Militär und verweigerten auch den geforderten Respekt vor der argentinischen Fahne. * Gab es ausser diesen von Ihnen erwähnten Vorfällen noch weitere erwähnenswerten Schwierigkeiten in der Gemeindearbeit? Allgemein muss man sagen, dass innerhalb unserer Kirche, besonders aber in Entre Ríos, nur vereinzelt Schwierigkeiten aufgetreten sind, was wohl daran lag, wie ich es schon erwähnt habe, dass unsere Glieder wohl apolitisch, aber staatstreu waren. In unserer Gesamtgemeinde ging während dieser ganzen Zeit das Gemeindeleben normal weiter. Selbstverständlich sah ich auch meine Aufgabe darin, sie in Predigten und sonstigen Zusammenkünften auf die furchtbare Situation in unserem Land, ja in ganz Lateinamerika aufmerksam zu machen und versuchte, dass sie das alles im Lichte des Evangeliums sehen und erkennen und ihre Stellung dazu beziehen konnten. Leider gab es im Beagle- Konflikt (1978 mit Chile) und im Malvinen-Krieg (1982 mit Großbritanien) nationalistische Kräfte, die sich in einer gewissen Kriegsbegeisterung gegen die Engländer auswirkten und es gab dadurch auch einige Schwierigkeiten, weil wir als Pfarrersleute diese Begeisterung nicht mitmachen konnten. Diese Schwierigkeiten lösten sich aber bald auf, als der Malvinen-Krieg schmählich endete. Durch dieses Ende war auch das Ende der grausamen Militärdiktatur eingeläutet. Und dieses Ende fiel auch zusammen mit dem Ende meines Dienstes als Pfarrer in der Gemeinde General Alvear durch meine Pensionierung vom 1. Juli 1982. Wir schieden im vollen Einvernehmen mit der Gemeinde, in der wir 27 Jahre unseren Dienst taten. Wir taten ihn sehr gerne, auch in und durch alle Schwierigkeiten und Probleme hindurch. Aber wir waren etwas müde geworden und so zogen wir bald nach Buenos Aires in den Vorort ITUZAINGO, wo uns unsere Kirchenleitung eine Wohnung für unseren Ruhestand zur Verfügung gestellt hatte. * Welchen neuen Aufgaben widmeten Sie sich nach Antritt ihres Ruhestandes? Nach ungefähr 1 ½ Jjahren wirklichen Ruhestands in Ituzaingó, in dem wir, meine Frau und ich, uns ganz der Familie und des Einrichtens des Hauses und des Gartens widmeten, formierte sich die oekumenische Kommission (CODEC) unserer Kirche, zu deren Koordinator mich die Kirchenleitung berief. Diese Kommission war die Fortsetzung der Kommission, die 1984 im Auftrage der Kirchenleitung das LIMA-Dokument des Weltrates der Kirchen für unsere Kirche beriet und eine Stellungnahme dazu erarbeitete. Einen Einblick in die ca. 10-jährige Arbeit der Kommission des Oekumenismus gibt uns ihr Bericht für die Synodaltagung unserer Kirche im Jahre 1992 "INFORME de la COMISIÓN de ECUMENISMO Motivación del Ecumenismo Describir en pocas palabras la tarea de la Comisión de Ecumenismo -CODEC- en los últimos 3 años, según el sentido de nuestra Junta Directiva, no es solamente fácil, sino casi imposible. Esta tarea tiene su causa en lo que una iglesia, queriendo ir su camino en la obediencia a su Señor, no puede marchar sola. Independiente de los motivos de esta realidad que existen en el mundo tantas iglesias diferentes, sabiendo empero, que Jesucristo en el primer Pentecostés en Jerusalén fundó una única Iglesia Cristiana, se puede escuchar hace algunos, ya hace decenios de años, que iglesias y grupos evangélicos diferentes en la Argentina se han creado la posibilidad de contactos mutuos por la Federación Argentina de Iglesias Evangélicas -FAIE-, para tener una plataforma legal en común, especialmente en la relación con el ESTADO, el cual es caracterizado por la fe católica. En esta Federación participan, lo que es muy importante, también iglesias y grupos pentecostales y fundamentalistas. En los últimos años se formó la Comisión Ecuménica de Iglesias Cristianas en la Argentina -CEICA- con la importancia significativa que, además de Iglesias Evangélicas, también comprende las diferentes Iglesias Ortodoxas y la Iglesia Católica Romana. Tampoco podemos olvidar que, además en la Argentina, se formaron en Paraguay y en Uruquay semejantes organizaciones ecuménicas. Especialmente las Iglesias Evangélicas en el ambiente del Río de La Plata que han firmado la Concordia de Leuenberg y aceptado la Comunión Eclesial, las cuales son Iglesia Luterana Unida -IELU-, Iglesia Valdense del Río de La Plata -IEVRP-, Iglesia Reformada Argentina -IRA- y nuestra Iglesia Evangélica del Río de La Plata -IERP-, que hacen muchos esfuerzos para aceptar en el sentido de la unidad las consecuencias de una colaboración muy estrecha. Por la aceptación de la Concordia de Leuenberg también del lado de la Iglesia Evangélica Metodista Argentina -IEMA- existe la posibilidad que este grupo de las Iglesias de Leuenberg con una colaboración estrecha se amplía. Nuestra iglesia participa también en la Comisión Teológica con la Iglesia Católica Romana y la Iglesia Luterana Unida. Esta comisión busca soluciones para problemas teológicos entre nuestras iglesias, como ya se realizó con el Bautismo o en la aceptación de la Bendición Nupcial Ecuménica o en el tratamiento del entendimiento de la Santa Cena o del Evangelio. Igualmente hemos aceptado como observador la invitación para participar en los diálogos por la unidad entre Iglesias y Congregaciones Luteranas del Río de La Plata. Nuestra iglesia fue invitada también a participar en los diálogos por una unidad orgánica entre las Iglesias Metodistas de la Argentina, de Uruguay -IEMU- y la Iglesia de Discípulos de Cristo -IDC-. Además de estos esfuerzos por la unidad en el área mundial, continental y ambiental juegan un rol muy importante, como cuarto punto, la colaboración en los grupos y organizaciones ecuménicas que cumplen conjuntamente trabajos y tareas especiales. Pensamos en este sentido en la Facultad Evangélica de Teología y de Música -ISEDET-, en la cual las iglesias participantes dejan formarse sus pastores, colaboradores y organistas. Pensamos en este sentido en la Junta Unida de Misión -JUM- que trabaja con los paisanos Tobas, también en el Consejo para la Misión Conjunta -CMC- que se centra en Residencia/Chaco con el trabajo con estudiantes universitarios del Norte de la Argentina con sede en Corrientes. Casi en todas las ciudades mayores de nuestros países hay puntos de contactos con otras iglesias, no siempre solamente amistosos. Se debe decir ya que por la democratización de nuestros países con un empobrecimiento muy fuerte de la población, vivimos un estancamiento en el aspecto ecuménico. Bajo ninguna circunstancia podemos olvidar que tenemos una relación muy estrecha con la Iglesia Evangélica en Alemania -EKiD-, nuestra Iglesia-Madre-, igualmente con la Iglesia Evangélica de Confesión Luterana del Brasil -IECLB-, una iglesia hermana que tiene la misma relación con la EKiD. Todo esto debe bastar para aclarar la situación ecuménica de nuestra iglesia, sabiendo que se necesitaría adjuntar muchos trabajos y relaciones más con otras iglesias. Tarea de la Comisión de Ecumenismo Nuestra iglesia vive en relaciones ecuménicas sobredimensionadas que tampoco son estáticas sino dinámicas y siempre en movimiento. Una iglesia hoy no puede vivir sin utilizar todas las fuerzas a favor de la una única Iglesia de Jesucristo. Hoy practicar ecumenismo en una iglesia como "hobby" no es posible más, sino los esfuerzos por la unidad deben ser aceptado como elemento constitutivo para toda la vida eclesiástica. La Junta Directiva de nuestra iglesia nos dio a nuestra comisión la tarea siguiente: 1 A observar todas las relaciones ecuménicas para reconocer la importancia o no para nuestra iglesia y para nuestras congregaciones. 2 En este sentido pide la Junta Directiva nuestro asesoramiento. 3 A presentar y recomendar en preguntas, problemas y dificultades posibles soluciones y contestaciones. 4 Hemos comprendido nuestra tarea también a esforzar en nuestra iglesia, especialmente en las congregaciones y entre nuestros pastores y colaboradores, el pensamiento ecuménico con el fomento de todos los trabajos a favor de la unidad de la Iglesia de Jesucristo. Falta en este aspecto aún mucho. Para poder cumplir, más o menos. nuestra tarea en los últimos 3 años, nuestra comisión se reunió 15 veces en sesiones de 2 días y es formada de Cristine Bösenberg, Jerónimo Granados, Atilio Hunzicker, Bruno Knoblauch, Norberto Rasch, Rodolfo R. Reinich, Juan A. Schvindt, Carlos Schwittay, Dieter Thews, Hartmut Winkler y Rubén Yennerich. Meta para el próximo período. Después de lo que hemos informado sobre lo actuado en los últimos tres años, deseamos exponer lo que vemos como meta para el próximo periodo: 1 Así como hoy nos podemos solamente entender como Iglesia en la zona del Río de La Plata, en su contexto ecuménico vemos como gran necesidad contribuir para que sea más vivo el Espíritu Ecuménico en nuestra Iglesia hasta en las bases también de nuestras congregaciones. 2 Buscar de conseguir un foro en la Revista Parroquial para mantener informado a los lectores con importantes noticias del mundo ecuménico sea nacional como internacional. 3 Seguir entendiendo el trabajo como asesoramiento y una ayuda para el trabajo de la Junta Directiva de la IERP. 4 Fomentando una relación más estrecha con la Junta a través de un delegado asesor en caso de un requerimiento de parte de la Junta o de la Comisión de Ecumenismo. Acompañamiento de nuestros representantes en Instituciones Ecuménicas o en Conferencias. 6. Elaboración de un folleto sobre Ecumenismo para la divulgación en las Congregaciones, para material de trabajo y el conocimiento de nuestra identidad ecuménica y nuestro compromiso ecuménico. Firmado: Comisión de Ecumenismo. (Elaborado por P. Schwittay y P. Thews.) * Welche bedeutende Veränderungen innerhalb der La Plata Synode u. Kirche stellen Sie bei einem knappen Rückblick auf die vierzig letzten Jahre fest? Ich bin schon oft gefragt worden, ob sich seit 1955 in unserer Kirche etwas verändert habe. Allgemein muss man sagen, dass sie sich mehr als nur etwas verändert hat. Aber eine andere Kirche ist sie nicht geworden, denn sie hat immer noch den gleichen Herrn, der Jesus Christus heisst, wenn er auch manchmal in einem für uns unbekannten Gewande erscheint und vielleicht so, wie er erscheint und erscheinen will, von uns nicht erkannt wird oder nicht erkannt werden will. Ich will nun das, was mir als Differenz von damals und heute erscheint, ohne zu entscheiden oder zu unterscheiden, was wichtiger oder was weniger wichtig ist, anführen: Wir sind aus einer Deutschen Evangelischen La Plata-Synode eine Evangelische La Plata-Kirche, aus einer von der Evangelischen Kirche in Deutschland abhängigen eine selbständige, aus einer durch die deutsche Sprache geprägte Kirche eine Kirche geworden, die fast ganz in einem natürlichen Prozess in die nationale Sprache übergegangen ist. Das Letztere ist einfach die Folge der Situation unserer Gemeindeglieder, die den Kontakt mit ihren Kindern nicht und erst recht nicht mit ihren Enkelkindern in der deutschen Sprache aufrecht erhielten, auch nicht aufrecht erhalten konnten. Allerdings müssen wir auch sagen, dass jetzt neben der spanischen Sprache die auslaufende deutsche Sprache, die portugiesische der Glieder, die von Brasilien in unseren kirchlichen Raum kamen und kommen und die Tobasprache der Urbevölkerung (paisanos), von der eine Gemeinde zu unserer Kirche gehört, immerhin beachtet werden müssen. Für alle ist es bereits eine feste Tatsache, dass nicht mehr die ESMERALDA, sondern die SUCRE das Zentrum unserer Kirche ist und dass der Vorsitzende unserer Kirche nicht mehr Propst genannt wird, sondern Kirchenpräsident. Schon 1955 bestanden örtliche Beziehungen zu Gemeinden anderer Kirchen, allerdings von 1956 ab auch direkte ökumenische. Unsere Kirche stellte den Antrag auf Aufnahme in die FAIE (Bund Evangelischer Kirchen in Argentinien), ebenfalls auf Aufnahme in den Ökumenischen Weltrat der Kirchen. Die ökumenischen Kontakte wurden zuerst besonders zu den evangelischen Denominationen hergestellt, dann auch mit der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche. Unsere Kirche hat inzwischen ein Dokument unterschrieben zur Anerkennung der Ordination mit der reformierten, methodistischen, valdenser Kirche und der Kirche der Jünger Jesus Christi (Discípulos de Cristo) und den Presbyterianern. Gleichfalls haben die Leuenberger Konkordie angenommen die IELU, die reformierte, die valdenser, die methodistische und unsere Kirche, die die volle Kirchengemeinschaft ermöglicht. In einer gemeinsamen theologischen Kommission mit der IELU, der römisch-katholischen Kirche und unsere IERP haben wir ein gemeinsames Dokument über die Taufe und über das Abendmahl erarbeitet. Ebenfalls wurden Möglichkeiten über eine gemeinsame Trauung bzw. die Anerkennung der Trauung in der jeweilig anderen Kirche aufgezeigt. Ebenfalls sind wir als eine bewusst unierte Kirche simultan dem Lutherischen Weltbund und der Reformierten Welt-Allianz beigetreten. Auch gehören wir dem lateinamerikanischen Kirchenbund an und arbeiten mit in der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft zur Verteidigung der Menschenrechte (MEDH). Vergessen dürfen wir auch nicht die Mitarbeit beim Lateinamerikanischen Kirchenbund -CLAI-. Ich könnte auch noch die vielen ökumenischen Beziehungen auf gemeindlicher Ebene aufzählen, aber das würde doch zu weit führen. Ein Pfarrer hat einmal etwas ungeduldig gesagt: "Wir sind ökumenisch bereits so verzahnt, dass wir fast alles nur noch zusammen mit einer anderen Kirche machen können." Man kann das allerdings auch in einem gewissen Sinn als einen grossen Hoffnungsschimmer für die Zukunft der Kirchen sehen, wenn wir im Zuge der sich immer mehr ausbreitenden Christus-Gleichgültigkeit, ja -feindschaft und der sonstigen Säkularisierung, immer kleiner werden und einfach zusammenrücken müssen. Uns ist es ja nicht verheissen, die ganze Menschheit zum Christusglauben zu führen, sondern Jesus Christus hat uns ein anderes Kirchenverständnis vor Augen geführt: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen." Unser Verhältnis zur Evangelischen Kirche in Deutschland bedeutet schon etwas mehr als ein ökumenisches Verhältnis, es hat sich ja inzwischen auch grundlegend geändert. Aus einer Mutter-Tochter-Verbindung ist eine Verbindung von Schwesternkirchen geworden. Wir sind gewiesen, unseren Weg als selbständige Kirche zu gehen, wenn auch mit ihrer Hilfestellung. Und nur zu gerne strecken wir immer noch unsere offene Hand nach ihr aus. In der Gestaltung unserer Kirche waren unsere Gemeinden auf die direkte Verbindung mit der Kirchenleitung angewiesen. Nur die Gemeinden in Entre Ríos bildeten einen festen Bezirk. Dadurch hatten sie die Möglichkeit, bestimmte Probleme in eigener Verantwortung zu lösen, auch konnten ihre Fragen gemeinsam an die Kirchenleitung gerichtet werden. Dieses hatte sich so bewährt, dass das ganze Arbeitsgebiet unserer Kirche jetzt in feste Bezirke aufgeteilt ist und diese Bezirke übernehmen immer mehr kirchenleitende Verantwortungen. Unsere Kirche ist in den letzten Jahrzehnten sehr gewachsen. Gemeinden haben sich neu gebildet oder bestehende haben sich geteilt, sodass die ganze Verwaltung nicht mehr nur von einer Stelle aus wahrgenommen werden kann. Wir haben die verschiedenen Kommissionen, die besondere kirchliche Aufgaben übernehmen, wie z.B. Liturgie, Erziehung, Ökumene, Literatur etc., die es früher nicht gab. Als ich 1955 nach Argentinien kam, war ich der 16. Pfarrer unserer Synode, heute zählen wir ca. 93 Pfarrer, einschliesslich der Vikare und pensionierten Pfarrer. Dazu hat sich die diakonische Arbeit von ehemals dem einen Waisenhaus in Baradero in einer Weise vermehrt, dass dadurch ganz neu ein Diakonen- und Diakoninnenstand mit einer besonderen Vorbildung ins Leben gerufen wurde. Zu den Aufgaben gehören jetzt auch ein Sanatorium, Altersheime, eine landwirtschaftliche Schule und ein Schülerheim und anderes mehr. Ich habe nach dem Adressenverzeichnis bereits 14 Diakone bzw. Diakoninnen gezählt. Die Vermehrung der Gemeinden und der diakonischen Arbeit erscheint mir wie ein Wunder. Was ich ebenfalls erstaunlich und als einen Fortschritt empfinde, ist, dass Diakone/innen und Pfarrer/innen gleichgestellt sind im Sinne unserer Kirchenordnung. Sie sind nur verschieden in ihren Aufgaben. Die Gesamtpfarrkonferenz hat daraufhin ihren Namen geändert. Wenn wir die Schar der Pfarrer heute ansehen, dann ist das zu sehen, dass nur noch eine Minderheit von Deutschland ausgesandten Pfarrer ihren Dienst tun, alle anderen sind bereits hier in der Evangelischen Fakultät in Camacuá bzw. in der ehemaligen Lutherischen Fakultät ausgebildete Pastoren. Damit ist das, was wir als ausgesandte Pfarrer damals vor ca. 40 Jahren geplant und vorbereitet hatten, jetzt zum Ziel gekommen: Eine bodenständige Pfarrerschaft. Wir haben bereits den 2. bodenständigen Präsidenten. Dazu ist auch noch zu sagen, dass der Übergang der Prägung der Pfarrerschaft durch die ausgesandten zu den bodenständigen Pfarrern brüderlich abgelaufen ist und von den Gemeinden auch gut akzeptiert wurde. Was etwas schwerer, auch von den Pastoren selbst, die vor 40 Jahren noch sehr männerbetont ("machistisch") eingestellt waren, hingenommen wurde, war die Erweiterung des Pfarrkollegium durch Pastorinnen. Sie haben sich überhaupt selbst durch eigenes Engagement einfach durchgesetzt. Wir zählen heute bereits 16 Pastorinnen und 7 Diakoninnen. Auch wurden durch Pastorinnen und Diakoninnen unsere Gemeinden überhaupt mit dem Kampf der Frauen um ihre Gleichberechtigung im Verhältnis zu den Männern konfrontiert. Das zeigt sich darin, dass Frauen jetzt auch immer mehr in verantwortlicher Stellung in den Gemeinden präsent sind. Leider sind aber in die Junta Directiva unserer Kirche, auch bei der Wahl 1998, nur 2 Frauen gewählt worden, was allerdings dafür durch 3 Reservekandidatinnen ausgeglichen wird. Man muss schon sagen, dass durch die Prägung unserer Kirche durch den bodenständigen Pfarrerstand die ehemalige Isolierung inmitten der realen und politischen Wirklichkeit weitgehend durch ein kritisches Miterleben des Geschehens um uns her, im eigenen Land und auf dem selben Kontinent und in der ganzen Welt aufgehoben worden ist, was allerdings von den Gemeinden nur schwer mitvollzogen wird. Ich denke dabei an die diktatorische Zeit im ganzen Süden Lateinamerikas mit den grausamen Menschenrechtsverletzungen, ebenfalls an den Beagle-Konflikt und an den von Argentinien begonnenen Malvinen-Krieg mit England. Langsam lernen wir auch innerhalb unserer eigenen Kirche, u.z. am eigenen Leibe, was es heisst KIRCHE DER ARMEN zu sein und bekommen immer mehr Verständnis für die Nöte in der Welt, die sich unter dem Namen der GLOBALISIERUNG als Heil für die Zukunft der Menschheit, in einer unbeschreibbaren Weise ausbreitet und für viele Millionen in der Welt die Zukunft vollkommen verdunkelt. Wir sind bereits in eine andere antichristliche Ära übergegangen. Wenn wir nicht Jesus Christus hätten, den wir in unserer Kirche verkündigen wollen, sähe ich auch schwarz für sie in die Zukunft. * Welche Hoffnungen oder Erwartungen haben Sie im Hinblick auf die nächsten 50 Jahre dieser unserer Kirche am La Plata? Worin bestünde die Eigenart ihres Beitrags im Rahmen des ökumenisch-evangelischen Wirkungskreis am La Plata? Es fällt mir nicht leicht, an die Zukunft der christlichen Kirchen in der Welt mit ihrer Botschaft vom Heil in Jesus Christus im nächsten Jahrtausend und damit an die Zukunft unserer Kirche im nächsten Jahrhundert zu denken. Viele Realitäten der jetzigen Zeit werden sich immer mehr durchsetzen und das Christsein und das Gemeinde- bzw. Kirchesein total verändern, bzw. in der alten Form unmöglich machen. Dass dieser Prozess bereits zugange ist, zeigen überall die Gottesdienste, an denen wir Christen uns immer weniger beteiligen, weil wir sie nicht ernst nehmen. Ebenfalls wird kaum noch das Wort, das die Kirchen in die Öffentlichkeit hineinsprechen, wahrgenommen, geschweige denn ernst genommen, höchstens wenn es dieser Öffentlichkeit selbst nützlich erscheint. Von sogenannten Volkskirchen, ganz gleich ob katholisch, evangelisch oder orthodox, kann man schon gar nicht mehr reden. Wir leben in einer Welt, die wieder trotz aller Fortschritte zurückfällt auf das, was im alten römischen Reich das Leben prägte: BROT UND SPIELE, zu mehr bleibt ausser der Arbeit keine Möglichkeit. Werden wir heute als gesamte Menschheit, ohne die wenigen zu rechnen, die sich, ausserhalb dieser Menschheit stehend, als die Herren der Welt aufführen, nicht direkt auch gezwungen, uns mit diesen 2 Notwendigkeiten wie Brot und Spiele, Existenzminimum und Vergnügen, wenn auch noch so primitiv, zu befassen, um dieses sogenannte globale Zeitalter, das uns als einzige mögliche Zukunft angepriesen wird, zu durchstehen, bzw. zu überleben. Und gleichzeitig sind wir ebenfalls auf einem getriebenen Rückzug von einer gewissen Grösse des sogenannten Christentums in die Anfänge unseres christlichen Glaubens, da es noch nicht die so unglückliche Verbindung von Staat und Kirche oder von Thron und Altar gab. Immer, wenn in der Heiligen Schrift von der christlichen Gemeinde bzw. Kirche die Rede ist, handelte es sich um kleine Gruppen von Christen, die Jesus Christus nachfolgten, um Aktionsgruppen, die sich zum Dienst berufen wussten. Das, was wir jetzt allgemein erfahren, ist schmerzhaft und wird noch schmerzhafter werden, aber es führt alle, die es wirklich ernst meinen mit ihrer Nachfolge Jesu, immer näher zu ihm, dem einzigen Herrn dieser Welt. Die Grossartigkeit der Kirchen mit den vielen Erscheinungsformen geht wieder zurück auf die anfängliche Form der Urchristenheit, die kleine Gruppe. Diese kleinen Gruppen könnten für das neue Jahrtausend die Grundlage für eine total neue Entwicklung des christlichen Glaubens sein, durch die Jesus Christus seine Herrschaft ausüben wird. Zunächst aber haben wir das Ende einer Epoche wahrzunehmen und zu akzeptieren. Nun gilt es, diese zukünftige Einzigartigkeit unseres Glaubens allein oder in Gruppen vorzubereiten, zu praktizieren und zu erleiden. Wir haben aber die Verheissung unseres Herrn, die wichtiger ist als aller Glanz und alle Herrlichkeiten und der Erscheinungsformen der bisherigen und der noch bestehenden Kirchen, wir haben das schon erwähnte Wort: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen." Es es gut, kurz darauf einzugehen, wie es zu dieser Ablehnung des Christentums, einschliesslich des echten christlichen Glaubens gekommen ist und noch kommt. Ich sehe das an 3 Fakten: Der Fortschritt (oder wie man es auch nennen mag) der Wissenschaft und der Technik usw., der uns ein vollkommen anderes Bild von der Welt und von uns Menschen gibt, das nicht in Übereinstimmung ist mit dem, was uns die Heilige Schrift überliefert. Das erfordert eine grundsätzliche theologische Auseinandersetzung. Weil das noch nicht oder nur an wenigen Punkten geschehen ist, ohne die Gemeinden damit zu konfrontieren, fühlt sich der Mensch von heute durch den christlichen Glauben nicht mehr angesprochen und verlässt die Kirche und gibt zum grössten Teil seinen Glauben auf. Er gibt sich einer verschwommenen Religiosität hin. Das 2. Faktum, das uns heute und in der kommenden Zeit auf die Probe stellen wird und uns in unserem Glauben an den Herrn dieser Welt, Jesus Christus, ins Wanken bringen will und wird, ist der uns Christen und den Gemeinden und Kirchen gegebene Auftrag, uns der Armen, Notleidenden und Unterdrückten und der auf dieser Erde Zukurzgekommenen anzunehmen und uns für sie einzusetzen, d.h. auch gegen die Ursachen und Mächte, die dahinterstehen, wie auch gegen eine Geldpolitik, die nur auf viel Gewinn aus ist, wie Korruption, Verschleuderung von Staatsgeldern, wie Regierungen und besonders Diktaturen mit ihrem menschenfeindlichen und verbrecherischen Gehabe, wie die Fortschritte, die mit der Vergiftung der Umwelt einhergehen. Das Gleiche gilt für das, was aus diesem allem folgt, Verbrechen jeglicher Art, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit. Zu diesem Kampf sind die wirklichen Nachfolger und Nachfolgerinnen aufgerufen. Aber dieser Kampf führt uns als Christen und als Kirchen in eine grosse Feindschaft und Verächtlichmachung durch die angeführten Mächte. Dadurch werden wiederum im grossen Stile viele schwachen und Namenschristen dazu geführt, besonders natürlich die, die mit diesen Mächten zusammenarbeiten, den christlichen Glauben aufzugeben und die christliche Gemeinde zu verlassen. Die Gemeinden und Kirchen werden immer kleiner. Das 3. Faktum, mit dem in der Zukunft gerechnet werden muss, heisst: Wir werden immer mehr ebenfalls eine "arme" Kirche, die ehemals eine Kirche für mittelständische Gemeindeglieder war, nun aber bereits auf dem Wege ist, eine Kirche zu werden, die aus Gliedern besteht, die an der Armutsgrenze leben und kaum mehr etwas finanziell zur Gemeindeerhaltung, geschweige zur Ausführung des der Gemeinde bzw. der Kirche gegebenen Auftrags finanziell beizutragen in der Lage sind. Dazu kommt, dass die grossen Hilfen aus der Evangelischen Kirche in Deutschland mit den verschiedenen Verzweigungen und anderen Hilfsorganisationen immer geringer ausfallen bzw. ganz eingestellt werden. Sie hat durch die Herrschaft des Neokapitalismus, ausgedrückt auch durch das Wort Globalisierung dieselben Probleme wie wir, wenn auch in einem geringeren Masse. Diese Hilfen haben uns wirklich in mancherlei Hinsicht geholfen, aber gleichzeitig daran gehindert, die wirkliche Situation unserer Kirche zu erkennen oder auch zu akzeptieren und danach zu handeln. Aus dem allem folgt, dass wir die Organisation der Kirche und der Gemeinden, einschliesslich der dazu gehörenden Werke in dem gleichen Umfange wie bisher aus eigenen Mittel nicht mehr halten können. Was geschieht mit den vielen Pfarrstellen und diakonischen Diensten und kirchlichen Gebäuden, die im Stile der mittel-ständischen Epoche entstanden und jetzt auch dementsprechend unterhalten werden müssen? Die Grossgemeinde Buenos Aires z.B. mit ihren 9 Pfarrern, einschliesslich der Gemeindezentren etc. zählt nur 2000 Gemeindeglieder. Und alles das, was wir in unserer ganzen Kirche in Argentinien, Uruguay und Paraguay laufend unterhalten, muss bald aus unseren Gemeinden selbst kommen oder wir müssen vieles aufgeben. Man kann kein Wunder zur Lösung dieser Probleme erwarten. Schier übermenschliche Wunder erwarten zu wollen, grenzt an Verantwortungslosigkeit. Es gibt heute bereits viele Familien, z.B. in Buenos Aires, im Umfeld unserer Gemeinden, die nicht einmal das Fahrgeld für den Omnibus zur Verfügung haben, um am Gottesdienst der nächsten Gemeinde teilzunehmen, geschweige den Gemeindebeitrag zu bezahlen. Wir stehen also bereits in einem Prozess hin zu einer Kirche der Armen und haben ganz neu zu lernen, was es zunächst heisst, eine "arme" Kirche für noch Mittelständler und gleichzeitig für Menschen an der Armutsgrenze zu sein. Wenn wir das bisher Gesagte ernst nehmen, das uns gewissermaßen einen Einblick nicht nur in unsere Kirche, sondern in die meisten Kirchen der Welt, gibt, dann muss uns von vornherein klar sein, dass der Weg einer 2-tausendjährigen Geschichte der Kirche Jesu Christi, den man mit Thron und Altar oder Staat und Kirche charakterisieren, ferner unter dem Aspekt der VOLKSKIRCHE mit ihren verschiedenen Erscheinungsformen sehen kann, sich seinem Ende nähert. In dieser Geschichte sind viele Irrtümer und Abwege, auch Verleugnung des christlichen Glaubens unter einem christlichen Gewand, erkennbar. Allerdings hat es immer wieder aufs neue bis auf den heutigen Tag Beweise eines echten Zeugnisses des Evangeliums von Jesus Christus gegeben und dass seine Stimme gehört und seinem Wort gefolgt wurde. Die Ablösung dieser 2-tausendjährigen Geschichte wird einmal ein langjähriger Prozess sein und zum anderen nicht ohne Probleme und Schwierigkeiten und Nöte selbst innerhalb der Christenheit vor sich gehen. Aber wir dürfen als Christen, die es mit ihrem Glauben an Jesus Christus ernst nehmen, trotzdem getrost nicht nur in die Zukunft blicken, sondern sogar gehen, weil auch in diesem Umbruch Jesus Christus an unserer Seite mit uns den Weg gehen wird. Das Endziel dieses Weges ist noch nicht erkennbar, es liegt ausschliesslich und allein in SEINEN Händen. Aber was erkennbar erscheint, ist, dass wir als Christen, als Kirchen und als gesamte Christenheit an den Ursprung unseres Weges zurückgeführt werden. Dieser Weg begann vor 2000 Jahren dort im Lande Palästina mit den bekannten Orten Bethlehem und Nazareth und Jerusalem, da dieser Jesus von Nazareth wirkte und um sich eine kleine Schar von Nachfolgern sammelte und dieselben wiederum beauftragte, nach seinem Tode und nachdem er sich als lebend erwiesen hatte, ebenfalls Aktionsgruppen zu sammeln, um die Botschaft vom Heil für uns Menschen, das uns die Möglichkeit gibt, als Menschen menschlich zu leben, weiter zu sagen und selbst zu praktizieren. Wenn in dieser ersten Zeit der Urchristenheit von Gemeinden und Kirchen die Rede ist, dann sind eben solche Aktionsgruppen oder auch Hausgemeinden oder Hauskirchen gemeint, in denen Mitläufer sich nicht halten konnten, sondern alles auf echte Nachfolge eingestellt war. Es wird um die echte Nachfolge eines jeden gerungen und das Wort Jesu von jedermann ernst genommen: "Wollt Ihr auch weggehen?" Aber gleichzeitig wird auch das andere Wort Jesu akzeptiert: "Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Das ist etwas anderes als unser Bemühen um jedes Mitglied unserer Gemeinden, um finanziell ihre Strukturen möglichst aufrecht zu erhalten. Wie schon gesagt wurde, der Weg in die erwähnte Zukunft, auf dem wir uns schon befinden, wird ein langer Prozess sein und je nach der Situation sich anders gestalten und unter keinen Umständen in völliger Übereinstimmung von uns allen gegangen werden, mehr gezwungen als freiwillig, der "Not gehorchend und nicht dem eigenen Triebe." Das gilt für die ganze Christenheit, für alle Kirchen in der Welt. Das gilt selbstverständlich auch für unsere Evangelische Kirche am La Plata. * Wie könnte in Ihrer Meinung, die Vorbereitung dieses Weges für alle, die wirklich glauben und Verantwortung zu übernehmen bereit sind, die wirkliche Nachfolger Jesu sein wollen, aussehen? 1. In Zukunft sollte noch mehr als bisher das, was wir als verschiedene Gemeinden gemeinsam tun können, auch getan werden oder wenigstens probiert werden. 2. Das Niveau der theologischen Ausbildung sollte auf alle Fälle, solange es noch möglich ist, auf voller Höhe aufrecht erhalten werden, damit die Auseinadersetzung mit der Modernität in den wissenschaftlichen Erkenntnissen intensiv ausgeführt, bzw. unter Umständen sollten diese Erkenntnisse auch von uns akzeptiert werden und ihren Ausdruck auch in Liturgie, Predigten, Katechesen und sonstigen Verlautbarungen finden. Alle, die Christen sein wollen, sollten damit vertraut gemacht werden. Trotzdem muss aus ehrlichen Gründen bei der zukünftigen Theologenausbildung darauf hingewiesen werden, dass dieser Dienst in Zukunft nur part-time ausgeübt werden kann, vielleicht sogar ganz ohne Bezahlung. Dann wäre zunächst als Bedingung zur Berufung in einen pfarramtlichen Dienst die Erlernung eines 2. Berufes zu stellen. Mit dem diakonischen Dienst ist ja bereits immer als Voraussetzung die Ausbildung in einem sozialen Beruf gegeben, der auch allgemein anerkannt wird. 3. Alles, was zum Verständnis der Botschaft vom Heil für uns Menschen in der Heiligen Schrift dient, sollte in der nächsten Zeit in den Gemeinden intensiviert werden, damit jeder der zur augenblicklichen Form der Kirche gehört und ein Christ sein will, weiss, an wen und was er glaubt und was von ihm erwartet wird. Um das zu ermöglichen, sollten alle Wege genutzt werden. Ziel sollte sein, jeder Christ ein Zeuge Jesu Christi. 4. Das wäre auch eine gewisse Voraussetzung dafür, dass der professionelle Dienst in der "armen" Kirche immer mehr und kontinuierlich aufgegeben werden kann, ja muss, weil diese Dienste einfach in Zukunft finanziell nicht mehr zu halten sind, ebenfalls das nicht, was an Ausgaben für die Erhaltung der Pfarrhäuser, Gemeindezentren, Kirchenleitungs- und auch diakonischen Dienste, die wir nur durchführen konnten, weil wir das Geld aus der Heimatkirche etc. bekommen hatten. Wir können nur das ausgeben, was wir als Christen in einer Gruppe oder in einer Gemeinde oder in einer Kirche durch eigene Mittel auszugeben in der Lage sind und wozu uns unser Herr willig macht. 5. Diese Entwicklung am Ende einer Zeitepoche, gekennzeichnet durch Thron und Altar und Staat und Kirche und was wir unter Volkskirche verstehen, kann und sollte dazu führen, dass jeder, der sich Christ nennt, auch als ein gehorsamer Jünger Jesu lebt. Dazu werden immer nur wenige gehören, die, wenn es hoch kommt, zur Bildung von kleinen Aktionsgruppen führen. Massen in den Kirchen sind Ergebnisse der vergehenden Epoche, die einem echten Jüngergehorsam selten helfen, meistens aber im Wege stehen, unter Umständen sogar verhindern. Ich stehe dem Versuch, sich durch die Entwicklung der sogenannten "charismatischen Bewegung" der angegebenen Entwicklung entgegen zu stemmen und die Massen wieder dem christlichen Glauben näher zu bringen, wie z.B. durch Krankenheilungen, sehr kritisch gegenüber. Letzten Endes geht es doch um die Erneuerung, wenn auch in einer anderen Form, einer Volkskirche. Hoffentlich ist es nicht eine Parallele zu dem, was heute unter der Bezeichnung Pop-Musik oder Pop-Star überall in der Welt hochkommt und Massen begeistert zusammenbringt und im Nu ist alles wieder in ein Nichts zerronnen. Meines Erachtens wird auch der Versuch der römisch-katholische Kirche, krampfhaft an diesem Modell Thron und Altar, sogar mit der Variante KIRCHE IST STAAT (Vatikanstaat) scheitern. 6. Das, was Jesus Christus von einem gehorsamen Jünger erwartet, können wir in einer dreifachen Weise beschreiben, einmal, dass er sein Leben als Einzelner, in der Ehe, in der Familie und in der Gesellschaft als ein Christ im Sinne Jesu führt, zweitens, dass er vor anderen Menschen in Wort und Tat bezeugt, dass er zu dem Herrn Jesus Christus gehört und dass nur in ihm das Heil für sie und alle Menschen liegt, und drittens, dass er da, wo er steht, lebt und arbeitet, sich um die Armen und Notleidenden, Zukurzgekommenen und Kranken bemüht, selbst wenn das nur mit den ihm verliehenen Fähigkeiten und Möglichkeiten geschehen kann, selbst wenn er einem Durstigen nur ein Glas Wasser reichen kann. Dazu gehört auch der Einsatz, wenn er auch noch so klein ist, für die Erhaltung dieser Erde, die bereits durch uns Menschen so geschädigt ist, dass sie als Grundlage für das Leben der Menschen und der Tiere und der Pflanzenwelt in Gefahr ist. Diese angeführten Aufträge im Dienste unseres Herrn sind selbstverständlich leichter auszuführen, wenn einige mehr da sind, die den gleichen Weg mit uns gehen, die eine Aktionsgruppe bilden, sich gegenseitig im Dienst helfen und stützen und auch ermahnen und die vielleicht gemeinsam an die Ausführung ihres Auftrages gehen können und gemeinsam ihren Herrn durch die Heilige Schrift konkret fragen, was sie tun sollen. JESUS SAH EINEN MANN AM ZOLL SITZEN, DER HIESS MATTHÄUS; UND ER SPRACH ZU IHM: FOLGE MIR! UND ER STAND AUF UND FOLGTE IHM. (Matth.9, 9) Buenos Aires, den 31. Dezember 1999
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