Kirche auf dem Weg | Documento Nº 115 | Lugar/Ort:Broschüre | Fecha/Datum:1984 | | Resumen/Skopus: Broschüre, veröffentlicht im November 1985 in Deutschland durch die Evgl. Kirche der Unión. | | Der Bericht über die Evangelische Kirche am La Plata wurde von Pfarrer Karl Schwittay, der ab 1955 Pfarrer in Argentinien und ab 1982 im Ruhestand ist, verfaßt. Das Heft wurde mit Hilfe der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union - Bereich Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West - Jebensstrase 3, 1000 Berlin 12, hergestellt. November 1985 Kirche auf dem Weg Als sich um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts die erste deutsche evangelische Gemeinde am La Plata, und zwar in Buenos Aires, bildete, der im Laufe der nächsten Jahrzehnte noch manche andere folgen sollte, ging es nicht ausschließlich und allein um das, was nach heutigem Verständnis das Zentrum einer christlichen Gemeinde ausmacht. Es ging nicht um das Evangelium von Jesus Christus allein. Es ging auch um die Erhaltung der Kultur, der Sitten und Gebräuche, für viele ebenfalls um die Bewahrung des deutschen Volkstums und der deutschen Sprache. Alle diese Werte, die im damaligen neuprotestantischen Weltverständnis eine gewisse religiöse Eigenbedeutung erhalten hatten, waren von den Einwanderern aus Europa mitgebracht worden und boten einen gewissen Schutz gegen eine anfänglich als fremd und sogar feindlich empfundene Welt. Diese Werte galt es auch für die Kinder zu erhalten. Darum war mit einer Gemeindegründung normalerweise auch die Gründung einer deutschen Schule verbunden. Von Anfang an wurden die so entstandenen und weiter entstehenden Gemeinden helfend begleitet von der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, und zwar finanziell und durch Zurverfügungstellung von Pfarrern. Auch die Hilfe durch das Gustav-Adolf-Werk war entscheidend für die Entwicklung der Gemeinden. Allerdings kam ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den hier entstandenen Gemeinden nur sehr schwer auf. Und noch Jahrzehnte nach der Gründung der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode im Jahre 1899, die nur nach Überwindung größter Schwierigkeiten zustande kam, konnte ernsthaft gefragt worden, ob diese Synode eine Kirchwerdung ermögliche oder nur einen religiösen und kulturellen Zweckverband darstelle. Rückblickend kann aber gesagt worden, daß in den Gemeinden der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode, die die drei Länder Argentinien, Uruguay und Paraguay umfaßt, sich immer mehr das Wichtigste und das Zentrale durchsetzte. Der Weg, den wir beschritten hatten, führte uns zur Kirchwerdung. Die gefährliche Verbindung von Evangelium und Volkstum und Sprache und Kultur ist unter den besonderen Umständen der Einwanderung eine Hilfe dafür gewesen, daß Gleichgesinnte aus Europa sich zu einer Gesinnungsgemeinschaft zusammenschlossen und darum in einer oft unverstandenen Welt sich nicht verloren fühlten und vor allen Dingen in einer katholisch geprägten Welt die eigene evangelische Identität bewahrten. Die Deutsche Evangelische La Plata-Synode blieb nach ihrer Gründung weiterhin in engster Verbindung mit der preußischen Landeskirche, ja, sie verstand sich als ein Teil von ihr, was auch in der Bezeichnung "Synode" zum Ausdruck kam. In den folgenden Jahren intensivierte sich die Gemeindearbeit, und viele neue Gemeinden entstanden. Eine harte Prüfung mußte die ganze La Plata-Synode durchstehen, als der erste Weltkrieg ausbrach. Die helfenden Beziehungen zur Mutterkirche wurden unterbrochen. Die finanzielle Grundlage vieler Gemeinden, jetzt aller Hilfen beraubt, wurde aber trotzdem gefestigt und die Eigenverantwortung gestärkt. Die enge Verbindung zwischen Evangelium und Volkstum führte zu einer ernsten Krise. Da in den Gemeinden sich nach und nach Schweizer, Rußland- und Bessarabien-deutsche mit den direkt aus Deutschland Eingewanderten zusammentaten, konnte sich eine allgemeine Kriegsbegeisterung für Deutschland nicht breitmachen, zumal jede Gruppe an ihre jeweiligen Familien in den verschiedenen Ländern Europas dachte, die sich dort feindlich gegenüberstanden. Das führte allerdings zu keinem Bruch. Bald nach der Beendigung des Krieges wurden die Beziehungen mit der Heimatkirche wieder aufgenommen. Viele Gemeinden nahmen zahlenmäßig zu, und es wurden neue gegründet, und zwar durch die Einwanderung von solchen, die in dem verarmten Deutschland für sich und ihre Kinder keine Existenzmöglichkeit mehr sahen. Eine weitere Einwanderung setzte ein, als in Deutschland der Nationalsozialismus die Regierung übernahm, eine Verfolgungswelle über seine Gegner einleitete und politisch Gleichgültige sich unter Druck gesetzt fühlten. Es war für sie nicht leicht, Zugang zu unseren Gemeinden zu finden, wo in ihnen wieder neu in Anlehnung an die Entwicklung in Deutschland Volkstumspflege und deutscher Nationalismus großgeschrieben wurden und eine allgemeine Begeisterung für die Entwicklung in der alten Heimat ihnen entgegenschlug. Diese Entwicklung wurde gefördert durch das Außenamt der neugegründeten Deutschen Evangelischen Kirche, das bald vom Oberkirchenrat der Altpreußischen Union die Aufgabe der Pflege der Verbindung mit den deutschen evangelischen Auslandsgemeinden übernommen hatte, wozu auch die Aussendung von Pfarrern in diese Gemeinden gehörte. In der Deutschen Evangelischen Kirche war der deutsch-christliche Pfarrer Ludwig Müller zum Reichsbischof gewählt worden, der nicht nur eine Synthese von Evangelium und deutschem Volkstum forderte, sondern auch das Evangelium der nationalsozialistischen Weltanschauung unterordnete. Das Außenamt forderte nun von den Gemeinden am La Plata einen formellen Anschluß an die Deutsche Evangelische Kirche, wenn sie auch in Zukunft von ihrem Außenamt betreut werden wollten. Alle Gemeinden stellten den Antrag, und der Anschluß wurde vollzogen. Das Programm des Außenamtes lautete nach den Worten seines Leiters, Bischof D. Heckel: "Das Außenamt will nichts anderes sein als Schützer, Helfer, Ratgeber und Förderer in der Verantwortung für evangelische Kirche und deutsches Volkstum." Es verhinderte bewußt, daß die Auseinandersetzung über die einzige Mitte unseres christlichen Glaubens und einer evangelischen Kirche anhand der Barmer Theologischen Erklärung vom Jahre 1934 offen ausgetragen wurde, die so nötig gewesen wäre. Diese bedeutende Erklärung wurde an keiner wichtigen Stelle am La Plata erwähnt. Das Fehlen dieser Auseinandersetzung ist noch heute in einer völlig anderen Situation und mit anderen Schwerpunkten für manche Gemeindevorstände und -glieder hinderlich, den Weg unserer Kirche zu verstehen und rechte Entscheidungen zu fällen (wie in diesen Wochen für einen Gemeindevorstand, der sich gezwungen sah, die Hakenkreuze auf einer Schlageter-Gedenktafel des Ehrenmals ihres Friedhofes zu entfernen, weil diese Hakenkreuze öffentliches Ärgernis erregt hatten und die Gemeinde deswegen angegriffen wurde). Die Neuordnung des Verhältnisses zur Deutschen Evangelischen Kirche hatte organisatorisch eine Vertiefung des Zusammengehörigkeitsgefühls zur Folge, wie die neue, am 29. Oktober 1934 beschlossene Synodalordnung aufweist. Allerdings kommt darin die geforderte Abhängigkeit zur Deutschen Evangelischen Kirche sehr stark zum Ausdruck. Aber es ist eine gute Sache gewesen, daß in der Synodalordnung fast wörtlich als Glaubensfundament der Text aus der Ordnung der Deutschen Evangelischen Kirche übernommen wurde, der in Deutschland der "Bekennenden Kirche" die gesetzliche Möglichkeit gegeben hatte, den Kirchenkampf gegen das deutsch-christliche Kirchenregiment zu führen. Dieser Text lautete so: "Der gemeinsame Glaubensgrund der Gemeinden der La Plata-Synode ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift offenbart und durch die Reformation neu ans Licht gebracht worden ist." Für unsere Synode bedeutete diese Beschreibung des Glaubensfundamentes einen großen Fortschritt. 1937 folgte die "Ordnung des kirchlichen Lebens", die eine Ordnung des "Lebens und der Sitte" der Synode und ihrer Gemeinden sein sollte, im Gegensatz zur Synodalordnung, die für die argentinische Öffentlichkeit bestimmt war. In dieser "Ordnung des kirchlichen Lebens" kommt die Verbindung zwischen christlichem Glauben und deutschem Volkstum und Sprache und Rasse sehr stark zum Ausdruck, wie zum Beispiel in der Präambel: "Es ist unserer Deutschen Evangelischen Kirche heiliger Dienst, allen evangelischen Christen deutscher Sprache. und deutschen Blutes im Inland und im Ausland mit Gottes Wort zu dienen und sie kirchlich zu betreuen. Wie jeder Deutsche im Ausland zur deutschen Volksgemeinschaft gehört, so steht jeder deutsche evangelische Christ außerhalb des deutschen Reiches in der Gemeinschaft seiner deutschen evangelischen Kirche. Die evangelische Kirche in den La Plata-Staaten ist die Deutsche Evangelische La Plata-Synode. Sie ist mit ihren Gemeinden, Teilgemeinden, Predigtplätzen und Reisepredigtgebieten die kirchliche Heimat aller evangelischen Volksdeutschen in diesen Staaten." Diese Ordnung mit diesem Vorspruch war natürlich keine Hilfe, wie diese Ordnung es selbst erwartete, "daß unsere vielen Gemeinden in unserer Deutschen Evangelischen La Plata-Synode zu einer starken und einigen Kirche zusammenwachsen". Eine große Rolle spielte damals im Leben der Kirche die Beschäftigung mit Martin Luther, wenn auch nicht zu übersehen ist, daß es der "deutsche" Luther sein mußte. Wenn auch von 1939 an trotz des zweiten Weltkrieges das Gemeindeleben normal verlaufen konnte, so kam doch allmählich eine deutschfeindliche Stimmung in der Öffentlichkeit auf, die dazu führte, daß 1941 und 1942 keine Gesamtpfarrkonferenzen stattfanden. Die Synodaltagungen wurden immer wieder verschoben. 1942 wurde der Synode anti-argentinische Tätigkeit vorgeworfen und Einschränkung ihrer Betätigung gefordert. Da die Synodalordnung, die doch eigentlich für die Öffentlichkeit bestimmt sein sollte, nur in der deutschen Sprache vorhanden war und sich die Synode immer wieder mit ihren Zielen vor den argentinischen Behörden verantworten und verteidigen mußte, wurde unter schwierigen Verhältnissen 1943 eine Synodalversammlung in Buenos Aires einberufen, um eine Synodalordnung in spanischer Sprache zu verabschieden. Sie wollte nur eine Übersetzung der bestehenden deutschen Synodalordnung sein, aber in Wirklichkeit war sie eine vollständig neue Ordnung, da alles, was irgendwie an eine organisatorische Bindung an die Deutsche Evangelische Kirche erinnern konnte, wie sie ja in der Tat bestanden hatte, als nicht mehr bestehend erscheint. Diese neue Ordnung war vollständig an die "Reglementierung der Betätigung ausländischer Organisationen" des argentinischen Staates vom Jahre 1939 angepaßt. Die Synode verstand sich also schon 1943 unter dem Druck der politischen Verhältnisse als eine hiesige Organisation, die nur geistig und geistlich mit der Deutschen Evangelischen Kirche verbunden war, aber unabhängig in der Führung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Sie kennzeichnete sich nicht mehr als eine Filiale der Heimatkirche und wollte sich freihalten von allen politischen und ideologischen Tendenzen. Praktisch hat sich die Synode mit dieser spanischen Synodalordnung selbständig gemacht. Sie versteht sich als eine evangelische Kirche deutscher Sprache. Daß sie auch der Pflege des deutschen Volkstums zu dienen hatte, hat sie damit unter dem Druck einer gewissen Deutschfeindlichkeit aufgegeben. Damit war allerdings ein großer Schritt auf dem Wege der Kirchwerdung getan. In der Tat wurde gegen Ende des Krieges auch die Verbindung mit der Heimatkirche immer schwieriger. Mit Beendigung des Krieges 1945 begann für die Synode und ihre Gemeinden und für viele Gemeindeglieder die schwierigste Zeit. Durch den Zusammenbruch wurde zunächst die Verbindung mit Deutschland ganz unterbrochen. Bald aber konnte schon der Kontakt mit der Heimatkirche wieder aufgenommen werden. Allerdings war an eine Hilfe nicht zu denken. Die Synode blieb ganz auf sich selbst gestellt. Sie wurde als eine feindliche Organisation behandelt und unter Staatsaufsicht gestellt, denn der argentinische Staat hatte noch sechs Wochen vor Kriegsende Deutschland den Krieg erklärt und sich an die Enteignung allen deutschen Eigentums gemacht. Die Bewegungsfreiheit der hier wohnenden und arbeitenden Deutschen wurde erheblich eingeschränkt. Die deutschen Schulen, die oft mit den Gemeinden verbunden waren, wurden geschlossen und enteignet. Vielen Gemeinden wurde der Status einer juristischen Person entzogen. Es war eine schwere Zeit, die die Synode mit ihren Gemeinden zu bestehen hatte, ohne finanzielle Hilfe und ohne ausreichende Besetzung der Pfarrstellen. Viele Aufgaben konnten nicht ausgeführt worden; dazu fand ein Abwerben von Gemeindegliedern durch andere Kirchen und religiöse Gruppen statt. Auch konnte den neuen Einwanderergruppen (Menschen, die der Entnazifizierung in Deutschland auswichen, und zum anderen die, die im zerstörten Deutschland keine Zukunft mehr sahen) nicht in der nötigen Weise nachgegangen worden. Die staatliche Intervention der Synode wurde am 2. April 1947 wieder aufgehoben, und nach und nach erhielten die Gemeinden ihren Status als juristische Person wieder zurück. Trotz alledem ist es erstaunlich, daß die Gemeinden verhältnismäßig geordnet ihre Dienste haben ausführen können, ja, daß sogar zu einem synodalen Hilfswerk für das notleidende Deutschland aufgerufen wurde. Es dauerte nicht lange, daß sich nach dem Zusammenbruch in Deutschland die "Evangelische Kirche in Deutschland" bildete, die sich als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Evangelischen Kirche verstand und bereit war, durch das Kirchliche Außenamt die Verantwortung für die evangelischen Gemeinden deutscher Herkunft oder deutscher Sprache im Ausland wahrzunehmen. Aber an eine finanzielle Hilfe und an die Bereitstellung von Pastoren für den Dienst am La Plata war lange Zeit nicht zu denken. Bei seinem ersten Besuch im Jahre 1950 hat der damalige Leiter des Kirchlichen Außenamtes, Präsident Martin Niemöller, zum Ausdruck gebracht, wie sein Amt die Aufgabe unserer Synode gegenüber versteht: 1. Hilfestellung zur Kirchwerdung; 2. Hilfestellung zur Kirchwerdung am La Plata; 3. Hilfestellung zur Kirchwerdung innerhalb des ökumenischen Kontextes am La Plata. Diese Konzeption ließ keinen Raum mehr für eine Kirchwerdung, die unlösbar verbunden ist mit Deutschtumspflege und Verteidigung der deutschen Sprache. Sie fand auch ihren Niederschlag in dem neuen Auslandsgesetz der EKiD vom 18. März 1954 und wurde bis heute durchgehalten. Unsere Synode war nach dem Erleben und den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre bereit, den Weg dieser Konzeption der Kirchwerdung zu gehen und alle ihre Dienste daraufhin auszurichten. Es wurde bei der Ausarbeitung einer neuen Synodalordnung vom Jahre 1953 großes Gewicht darauf gelegt, nach einem jahrzehntelangen Prozeß des Sichklarwerdens über den Bekenntnisstand und dem Glaubensfundament unserer Synode eine breitere und genauere Grundlage zu geben. Es heißt dort: "Das Glaubensfundament ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es im Alten und im Neuen Testament der Heiligen Schrift gegeben ist. Durch die Anerkennung dieses Glaubensfundaments bekennt die Deutsche Evangelische La Plata-Synode ihren Glauben an den Herrn der einen, heiligen und apostolischen Kirche. Die Synode bekennt ihren Glauben in Übereinstimmung mit den Bekenntnissen der alten Kirche und der Kirche der Reformation, besonders mit dem Kleinen Katechismus Luthers und der Augsburger Konfession. Sie hat ihren besonderen Charakter in der Gemeinschaft des kirchlichen Lebens mit den angeschlossenen reformierten Gemeinden, in denen der Heidelberger Katechismus Gültigkeit hat. Die Synode weiß sich im Glauben mit der Evangelischen Kirche in Deutschland verbunden und mit allen Kirchen, die den Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennen." In unserer Kirchwerdung spielt dieses Glaubensfundament, das uns als uniert charakterisiert, eine große Rolle. Auf der gleichen Synodalversammlung, die die neuen Statuten 1953 verabschiedete, wurde zum ersten Mal in unserer Geschichte danach gefragt, "ob und wie im Land geborene junge Männer für den Pfarrdienst zu werben sind, um sie auf theologischen Schulen in Südamerika ausbilden zu lassen". Damit wurde ein notwendiges Problem in der Synode angesprochen, der Pfarrernachwuchs. Es ist auf die Dauer nicht normal, wenn eine werdende Kirche auf Pfarrer angewiesen ist, die nicht aus den eigenen Gemeinden kommen. Als mögliche Fakultäten sollten die in Buenos Aires und die in Sao Leopoldo in Brasilien in Frage kommen. Allerdings hat es noch bis 1958 gedauert, daß der erste Student an der neuen Lutherischen Fakultät in José C. Paz sein theologisches Studium beginnen konnte. Seit dem 1. April 1957 war Pfarrer Obermüller als Professor an diese Fakultät berufen worden, wo er seinen Dienst neben dem an der Evangelischen Fakultät jahrelang versehen hat. Von entscheidender Bedeutung für unsere Kirchwerdung war die Synodaltagung 1956 in Esperanza/Santa Fe. Es wurden Beschlüsse gefaßt, die den weiteren Weg unserer Synode bestimmten: 1. Durch eine Vereinbarung mit der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde die Selbständigkeit unserer Synode festgestellt und das gegenseitige Verhältnis geordnet. Dabei blieb das Hilfsversprechen der ehemaligen Mutterkirche, nunmehr Partnerkirche, uns auf dem Weg der Kirchwerdung weiterhin zu begleiten, und zwar mit der Hilfe da, wo es notwendig erscheint. 2. Es wurde der Antrag beschlossen, dem Ökumenischen Rat der Kirchen beizutreten, ebenfalls dem Argentinischen Bund Evangelischer Kirchen. Zu dem letzteren Antrag drückt der Vertreter dieses Bundes, Pfarrer Sosa, seine Freude in folgender Weise aus: "Die Einwanderer bilden eine eigene Kirche, aber die Enkel verlieren Sprache und Religion. Wenn die Einwandererkirche keine eigene Arbeit in der spanischen Sprache leistet, verliert sie ihre Glieder. Nur ein geringer Prozentsatz wird von den Kirchen, die in der Landessprache arbeiten, aufgefangen. Ich freue mich, daß auf dieser Synode das Sprachenproblem erfaßt wurde." 3. Das Sprachenproblem wird offiziell gesehen und soll auf der nächsten Synodaltagung behandelt werden. Zum ersten Mal gibt es im Gottesdienst zu der Synodaltagung neben der deutschen auch eine spanische Predigt. 4. Der Beitritt zum Lutherischen Weltbund wird abgelehnt, aber eine Mitarbeit im Argentinischen Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes und in der Lutherischen Fakultät befürwortet. 5. Die vom Synodalvorstand auszuarbeitende Pfarrgehaltsordnung wird für alle Gemeinden für verbindlich erklärt. Als Ergänzung gehört zu diesen Beschlüssen auch die nächste Synodaltagung im Jahre 1959 in Crespo unter dem Thema "Wir wollen Kirche werden!". Hier wurde offiziell die Notwendigkeit der Zweisprachigkeit unserer gesamten kirchlichen Arbeit anerkannt, aber auch die Problematik aufgezeigt. Pfarrer Hoppe sagte bei dieser Gelegenheit. "Wir werden uns gezwungen und gedrängt sehen, die Mauern unserer deutsch-kirchlichen Absonderung, die fast hundert Jahre bestanden hat, zu durchbrechen, um das Evangelium an die heranzutragen, die es nur in der Landessprache verstehen, und mit ihnen ehrlich Kontakt suchen." Ebenfalls wurde die so dringend notwendige neue Fassung der "Ordnung des kirchlichen Lebens" angenommen, die gleichfalls Abschied nahm von der Verbindung von Kirche und deutschem Volkstum. Selbstverständlich heißt das nicht, daß diese latente Gefahr nicht auch weiterhin vorhanden ist. Es begann nun eine Zeit, die wir als eine Zeit der inneren und äußeren Festigung bezeichnen können, die heute noch anhält. Neue Gemeinden entstanden und entstehen. Die Notwendigkeit diakonischer Werke wird eingesehen. Pfarrer aus Deutschland konnten wieder in die Synode entsandt werden, daneben läuft die Ausbildung einheimischer Pfarrer zunächst an der lutherischen Fakultät, später an der Evangelischen Fakultät (Instituto Superior Evangelico des Estudios Teologicos). Beide hatten sich zusammengeschlossen. Die finanziellen Hilfen der Heimatkirche und des Gustav Adolf Werkes ermöglichten den Bau von Gemeindezentren, Kirchen und Pfarrhäusern. Die Opferfreudigkeit der Gemeinden wuchs, wenn ihr auch immer wieder durch die wirtschaftliche Not starke Grenzen gesetzt wurden. Als im Jahre 1965 der Name Deutsche Evangelische La Plata-Synode in Evangelische Kirche am La Plata umgeändert wurde, hatte der 1843 bzw. 1899 begonnene Weg einen gewissen Abschluß gefunden, vielleicht anders als damals gedacht, aber doch so, wie er uns durch unseren Glauben vorgeschrieben war. Wir wurden zu einer evangelischen Kirche in dem Raum, der von uns zum Leben erwählt oder uns zugewiesen worden war, am La Plata. Dieses erreichte Ziel, das in der Namensänderung ausgedrückt wird, bedeutete allerdings nicht, daß die Kirchwerdung zum endgültigen Abschluß gekommen ist, sondern daß wir uns auch weiterhin auf diesem Wege wissen. Zu Recht sollten auch die folgenden Jahre von dem Bemühen geprägt sein, "herauszufinden, was das bedeutet, Kirche Jesu Christi zu sein und uns anzuschicken, das darzustellen, was wir sein sollen". Aus der Vergangenheit auf den neuen Weg. Jetzt sind wieder fast zwanzig Jahre vergangen. langst gehört die etwas abwertende Einstufung unserer Kirche als einer isolierten volkstumsgebundenen Einwandererkirche der Vergangenheit an, und wir finden uns als eine bodenständige, hier bereits verwurzelte Kirche, die sich mit anderen Kirchen zum Dienst gerufen weiß, wieder. Mit sieben weiteren Trägerkirchen (darunter die Lutherische, Reformierte, Waldenser, Methodistische, Anglikanische Kirche und Jünger Christi) wird die Verantwortung für die Evangelische Theologische Fakultät in Buenos Aires getragen, an der 1984 25 junge Männer und Frauen unserer Kirche sich für den pfarramtlichen Dienst ausbilden ließen. An dieser Fakultät versieht auch ein aus Deutschland entsandter Dozent seinen Dienst; ebenfalls hat ein einheimischer Pfarrer, der in Deutschland promoviert hat, einen begrenzten Lehrauftrag neben seinem Pfarramt übernommen. Eine Kommission dieser Trägerkirchen ist dabei, festzustellen, ob eine gegenseitige Anerkennung der Vikarsausbildung und der Ordination möglich ist. Die gemeinsame Ausbildung der Pfarrer dieser verschiedenen Kirchen an einer Fakultät mit einem Internat ist eine große Hoffnung nicht nur für ökumenische Kontakte, sondern auch für eine organisatorische Einheit dieser an der Fakultät mitarbeitenden Kirchen. Ihre Präsidenten kommen regelmäßig zusammen, um gemeinsame Aufgaben zu sehen, anzupacken und abzusprechen. In den letzten ökumenischen Gesprächen mit der Vereinigten Lutherischen Kirche und der Waldenserkirche hat sich die Leuenberger Konkordie als sehr hilfreich erwiesen, die schon seit Jahren von den Waldensern akzeptiert worden war, von unserer Kirche im Jahre 1980. Im vergangenen Jahr begann zusammen mit der Vereinigten Lutherischen Kirche ein theologisches Gespräch mit der Römisch-katholischen Kirche. Es geht um die Bedeutung des Evangeliums in unseren Kirchen, aber auch darum, ob wir ebenfalls eine Abstimmung in der Frage der Mischehe und einer eventuell möglichen ökumenischen Trauung erreichen können. Eine weitere Kommission versucht, gemeinsam mit der Katholischen Kirche die Woche der Einheit vorzubereiten; neu hinzugekommen ist die Durcharbeitung der Konvergenzerklärung von Lima. Langsam scheint sich auch die Argentinische Bischofskonferenz der ökumenischen Frage zu öffnen. - Vor einigen Monaten begannen wir ein Gespräch mit der Evangelischen Kongregationalkirche, das zum Ziel hat, das etwas strapazierte gegenseitige Verhältnis aufzulockern und uns näher zu kommen. Während im Jahre 1955 in unserer Kirche 16 Pfarrer Dienst taten, die von Deutschland ausgesandt worden waren, sind es heute 60, von denen bereits zwei Drittel aus den eigenen Gemeinden kommen und hier ihre theologischen Studien absolviert haben. Unsere ersten Vikarinnen und Pfarrerehepaare, die beide Theologen sind, versuchen, in den Gemeinden akzeptiert zu werden. Seit 1980 haben wir einen bodenständigen Pfarrer als Kirchenpräsidenten und dazu ab 1983 auch als Vizepräsidenten, was sich als sehr hilfreich für die Kirche auf diesem Kontinent auswirkt. Unsere Kirche ist durch einen einheimischen Pfarrer vertreten im Lateinamerikanischen Rat der Kirchen und im Zentralausschuß des ökumenischen Rates der Kirchen. Der Präsident unserer Kirche wurde 1984 zum Vorsitzenden des Argentinischen Bundes Evangelischer Kirchen gewählt. Ohne größere Schwierigkeiten hat sich die Zusammensetzung der Pfarrerschaft verändert, in der nun die bodenständigen Pfarrer einen größeren Einfluß haben, aber die Zusammenarbeit von ausgesandten und einheimischen Pfarrern kann als sehr gut bezeichnet werden. Daran ist nun nicht mehr zu rütteln, daß die Aufgaben unserer Kirche heute nicht mehr so sehr mit der europäisch-nördlichen Brille gesehen werden, sondern mit den Augen derer, die hier auf dem südamerikanischen Kontinent leben, besser gesagt: hungern, leiden, unterdrückt und ausgenutzt werden und für ihre Nöte die Hilfe Jesu Christi brauchen. Dazu kommt, daß wir selbst als eine sogenannte Kirche des Mittelstandes zur Kenntnis nehmen müssen, wie sich durch die Entwicklung des Nord-Süd-Konflikts und in Verbindung mit den Militärdiktaturen eine große Verarmung auch großer Teile unserer Gemeindeglieder vollzogen hat und wir nicht mehr von außen all die Probleme und Schwierigkeiten auf diesem Kontinent betrachten können. Ob wir uns als Kirche, als Gemeinden und als evangelische Christen in den letzten Jahren im Prozeß des Ausbruchs aus dem Ghetto unseres Deutschtums, der deutschen Sprache und Kultur, bereits immer im Sinne unseres Herrn verhalten haben, besonders wenn es darum ging, den grausamen Verletzungen der Menschenrechte oder der Begeisterung für einen leichtfertigen Krieg zu widerstehen, wage ich nicht zu beantworten. Allerdings kann das gesagt werden, daß Vertreter unserer Kirche, nicht ohne eigene Gefahr, aber angefochten von anderen Gemeindegliedern oder vom Gemeindevorstand, in den verschiedenen ökumenischen Hilfsorganisationen a) für die vor der Militärdiktatur in Chile Geflohenen, b) für die in Argentinien während der Militärregierung Verschwundenen und ihre Angehörigen, c) für die in Paraguay politisch Verfolgten aktiv mitgearbeitet haben bzw. noch mitarbeiten. Unsere Kirche arbeitet ebenfalls verantwortlich in der ökumenischen Kommission mit, die in der Provinz Chaco in Argentinien den an den Rand gedrückten und um ihr Oberleben kämpfenden eingeborenen Tobastämmen nachgeht und mit ihnen an der Herstellung einer Existenzmöglichkeit arbeitet. Dazu hat sie einige Mitarbeiter für diese Aufgaben entsandt. In der Provinz Entre Ríos in Argentinien taten sich unsere Gemeinden zusammen, um durch eine längere Zeit hindurch denen zu helfen, die durch grosse Überschwemmungen Hab und Gut verloren haben. In einem Vorort von Buenos Aires hilft die evangelische der katholischen Gemeinde entscheidend, daß sie einen Mittagstisch für die im Umkreis einrichten kann, die buchstäblich nichts mehr zu essen haben. Eine Frauengruppe in einem anderen Vorort sorgt für Kinder von verschleppten Eltern. Diese Kinder haben neben der äußeren Not auch noch psychologische Schwierigkeiten und Probleme zu durchstehen. In der Hauptstadt Buenos Aires arbeitet ein evangelisches Sozialzentrum. Daneben liegen in der Gesamtverantwortung der Kirche oder in den Händen von einzelnen Gemeinden einige Kinder- und Schülerheime, eine Haushaltsschule, eine Schule für Altenpflege, zwei Altenkolonien und ein Altersheim und ein sehr gut in Anspruch genommenes evangelisches Krankenhaus. Bei solchen Aufgaben ist es ganz natürlich, daß die Ausbildung diakonischer Mitarbeiter ins Auge gefaßt werden mußte, die auch in Verbindung mit der Evangelischen Fakultät geschieht. Alle diese in Angriff genommenen Aufgaben nehmen uns voll und ganz in Anspruch und gehen bis an die Grenzen unserer Kraft. Sie waren überhaupt nicht denkbar, wenn wir nicht die Quelle hätten, aus der wir immer aufs neue Mut und Kraft und Freude schöpfen könnten: das Wort Gottes, das im Zentrum all unseres Tuns und Sagens steht. Manche Hilfestellung aus dem Raum unserer Heimatkirche, des Gustav Adolf-Werks, der Evangelischen Entwicklungshilfe und anderen Einrichtungen haben wir dabei erfahren, wofür wir sehr dankbar sind. Es gilt, dem Worte Gottes eine breite Entwicklungsbasis zu gewähren. Dazu dient auch das Bemühen, es in der spanischen Sprache zu verkündigen, zum Beispiel durch das Gemeindeblatt, ebenfalls durch die Herausgabe der täglichen Auslegungen zu den Losungen, die hier in einer ökumenischen Zusammenarbeit erarbeitet werden. Dazu kommt das Bestreben der Kirchenleitung, darauf hinzuwirken, daß alle unsere bodenständigen Pfarrer die deutsche Sprache erlernen, damit die Gemeindeglieder, die noch nicht voll der nationalen Sprache mächtig sind, das Evangelium in ihrer Muttersprache hören können. Dementsprechend ist es selbstverständlich, daß alle ausgesandten Pfarrer die spanische Sprache erlernen müssen. Das Wort Gottes ist es auch, das besonders die hier ausgebildeten Theologen und treuen Gemeindeglieder sowohl der katholischen wie auch der evangelischen Kirchen Südamerikas schon seit Jahren in eine heilvolle Unruhe versetzt hat und das in dem Worte Jesu zusammengefaßt werden kann: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinem Verstand. Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst". (Mat. 22, 37 - 39) Die junge Theologengeneration und viele junge Christen sind von der Frage bewegt, wie es möglich sein konnte, daß 2.000 Jahre lang die christliche Kirche und die gesamte Christenheit ihren Glauben fast ausschließlich vom ersten Teil des Doppelgebotes beeinflussen ließen und ordneten und den zweiten Teil nur en passant zur Kenntnis nahmen und praktizierten. Gilt das nur von Lateinamerika, daß wir als Christen, als Gemeinden und als Kirchen unsere Nächsten der Not, der Armut, der Krankheit, der Ausbeutung, der Quälerei und dem Tode überlassen haben und dazu noch glauben, treue Christen zu sein, obwohl wir die Liebe zum Nächsten von der Liebe zu Gott trennten? Wir kommen der Theologie der Befreiung ein ganzes Stück näher, wenn wir uns wirklich ernsthaft um die Beantwortung der Frage bemühen: Wie muß sich christliches Leben auf dieser Erde gestalten? Wie muß eine christliche Gemeinde oder Kirche aussehen, bis in die Kirchen- und christliche Lebensordnung hinein, die das Doppelgebot in seiner ganzen Fülle als Hilfe für das menschliche Leben in unserer Zeit annimmt und ernstnimmt? Unser Kirchenpräsident, Pfarrer Reinich, sieht es als dringend an, daß wir uns in Zukunft um "eine pfarramtliche integrale Arbeit bemühen müssen, die sich nicht erschöpft in Gottesdiensten und sonstigen traditionellen Diensten, sondern wo es gilt, die Gemeindeglieder, und nicht nur sie, zu begleiten und zu helfen in den Schwierigkeiten des täglichen Lebens". Damit greift er das auf, was heute auf den evangelischen Fakultäten und katholischen Priesterseminaren Südamerikas als Zielpunkt für die Kirche der Zukunft auf unserem Kontinent gesehen wird. In eine ähnliche Richtung weist die vor einigen Jahren im Zuge der Übersiedlung verarmter Bauern aus Brasilien nach Paraguay im "Programm für Christliche Hilfe" zusammen mit der Römisch-Katholischen Kirche begonnenen Arbeit. Auf dem uns von unserem Herrn gewiesenen Weg als sein Volk und seine Kirche liegt bereits eine weite Strecke mit Irrungen und Wirrungen, aber auch mit erfüllten Verheißungen, hinter uns. Allerdings sehen wir, daß mit uns und durch uns der Weg noch nicht zu seinem Ziel geführt hat, sondern weitergeht. Und wir sind der festen Überzeugung, daß der Herr, der uns bis hierher begleitet und auch bei uns vieles neu gemacht hat, uns auch nahe sein wird auf dem Weg in eine Zukunft, die sehr dunkel vor uns erscheint, die aber immer seine Zukunft und darum ebenfalls unsere Zukunft des Heils sein wird. Der Bericht über die Evangelische Kirche am La Plata wurde von Pfarrer Karl Schwittay, der ab 1955 Pfarrer in Argentinien und ab 1982 im Ruhestand ist, verfaßt. Das Heft wurde mit Hilfe der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union - Bereich Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West - Jebensstrase 3, 1000 Berlin 12, hergestellt. November 1985 Kirche auf dem Weg Als sich um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts die erste deutsche evangelische Gemeinde am La Plata, und zwar in Buenos Aires, bildete, der im Laufe der nächsten Jahrzehnte noch manche andere folgen sollte, ging es nicht ausschließlich und allein um das, was nach heutigem Verständnis das Zentrum einer christlichen Gemeinde ausmacht. Es ging nicht um das Evangelium von Jesus Christus allein. Es ging auch um die Erhaltung der Kultur, der Sitten und Gebräuche, für viele ebenfalls um die Bewahrung des deutschen Volkstums und der deutschen Sprache. Alle diese Werte, die im damaligen neuprotestantischen Weltverständnis eine gewisse religiöse Eigenbedeutung erhalten hatten, waren von den Einwanderern aus Europa mitgebracht worden und boten einen gewissen Schutz gegen eine anfänglich als fremd und sogar feindlich empfundene Welt. Diese Werte galt es auch für die Kinder zu erhalten. Darum war mit einer Gemeindegründung normalerweise auch die Gründung einer deutschen Schule verbunden. Von Anfang an wurden die so entstandenen und weiter entstehenden Gemeinden helfend begleitet von der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, und zwar finanziell und durch Zurverfügungstellung von Pfarrern. Auch die Hilfe durch das Gustav-Adolf-Werk war entscheidend für die Entwicklung der Gemeinden. Allerdings kam ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den hier entstandenen Gemeinden nur sehr schwer auf. Und noch Jahrzehnte nach der Gründung der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode im Jahre 1899, die nur nach Überwindung größter Schwierigkeiten zustande kam, konnte ernsthaft gefragt worden, ob diese Synode eine Kirchwerdung ermögliche oder nur einen religiösen und kulturellen Zweckverband darstelle. Rückblickend kann aber gesagt worden, daß in den Gemeinden der Deutschen Evangelischen La Plata-Synode, die die drei Länder Argentinien, Uruguay und Paraguay umfaßt, sich immer mehr das Wichtigste und das Zentrale durchsetzte. Der Weg, den wir beschritten hatten, führte uns zur Kirchwerdung. Die gefährliche Verbindung von Evangelium und Volkstum und Sprache und Kultur ist unter den besonderen Umständen der Einwanderung eine Hilfe dafür gewesen, daß Gleichgesinnte aus Europa sich zu einer Gesinnungsgemeinschaft zusammenschlossen und darum in einer oft unverstandenen Welt sich nicht verloren fühlten und vor allen Dingen in einer katholisch geprägten Welt die eigene evangelische Identität bewahrten. Die Deutsche Evangelische La Plata-Synode blieb nach ihrer Gründung weiterhin in engster Verbindung mit der preußischen Landeskirche, ja, sie verstand sich als ein Teil von ihr, was auch in der Bezeichnung "Synode" zum Ausdruck kam. In den folgenden Jahren intensivierte sich die Gemeindearbeit, und viele neue Gemeinden entstanden. Eine harte Prüfung mußte die ganze La Plata-Synode durchstehen, als der erste Weltkrieg ausbrach. Die helfenden Beziehungen zur Mutterkirche wurden unterbrochen. Die finanzielle Grundlage vieler Gemeinden, jetzt aller Hilfen beraubt, wurde aber trotzdem gefestigt und die Eigenverantwortung gestärkt. Die enge Verbindung zwischen Evangelium und Volkstum führte zu einer ernsten Krise. Da in den Gemeinden sich nach und nach Schweizer, Rußland- und Bessarabien-deutsche mit den direkt aus Deutschland Eingewanderten zusammentaten, konnte sich eine allgemeine Kriegsbegeisterung für Deutschland nicht breitmachen, zumal jede Gruppe an ihre jeweiligen Familien in den verschiedenen Ländern Europas dachte, die sich dort feindlich gegenüberstanden. Das führte allerdings zu keinem Bruch. Bald nach der Beendigung des Krieges wurden die Beziehungen mit der Heimatkirche wieder aufgenommen. Viele Gemeinden nahmen zahlenmäßig zu, und es wurden neue gegründet, und zwar durch die Einwanderung von solchen, die in dem verarmten Deutschland für sich und ihre Kinder keine Existenzmöglichkeit mehr sahen. Eine weitere Einwanderung setzte ein, als in Deutschland der Nationalsozialismus die Regierung übernahm, eine Verfolgungswelle über seine Gegner einleitete und politisch Gleichgültige sich unter Druck gesetzt fühlten. Es war für sie nicht leicht, Zugang zu unseren Gemeinden zu finden, wo in ihnen wieder neu in Anlehnung an die Entwicklung in Deutschland Volkstumspflege und deutscher Nationalismus großgeschrieben wurden und eine allgemeine Begeisterung für die Entwicklung in der alten Heimat ihnen entgegenschlug. Diese Entwicklung wurde gefördert durch das Außenamt der neugegründeten Deutschen Evangelischen Kirche, das bald vom Oberkirchenrat der Altpreußischen Union die Aufgabe der Pflege der Verbindung mit den deutschen evangelischen Auslandsgemeinden übernommen hatte, wozu auch die Aussendung von Pfarrern in diese Gemeinden gehörte. In der Deutschen Evangelischen Kirche war der deutsch-christliche Pfarrer Ludwig Müller zum Reichsbischof gewählt worden, der nicht nur eine Synthese von Evangelium und deutschem Volkstum forderte, sondern auch das Evangelium der nationalsozialistischen Weltanschauung unterordnete. Das Außenamt forderte nun von den Gemeinden am La Plata einen formellen Anschluß an die Deutsche Evangelische Kirche, wenn sie auch in Zukunft von ihrem Außenamt betreut werden wollten. Alle Gemeinden stellten den Antrag, und der Anschluß wurde vollzogen. Das Programm des Außenamtes lautete nach den Worten seines Leiters, Bischof D. Heckel: "Das Außenamt will nichts anderes sein als Schützer, Helfer, Ratgeber und Förderer in der Verantwortung für evangelische Kirche und deutsches Volkstum." Es verhinderte bewußt, daß die Auseinandersetzung über die einzige Mitte unseres christlichen Glaubens und einer evangelischen Kirche anhand der Barmer Theologischen Erklärung vom Jahre 1934 offen ausgetragen wurde, die so nötig gewesen wäre. Diese bedeutende Erklärung wurde an keiner wichtigen Stelle am La Plata erwähnt. Das Fehlen dieser Auseinandersetzung ist noch heute in einer völlig anderen Situation und mit anderen Schwerpunkten für manche Gemeindevorstände und -glieder hinderlich, den Weg unserer Kirche zu verstehen und rechte Entscheidungen zu fällen (wie in diesen Wochen für einen Gemeindevorstand, der sich gezwungen sah, die Hakenkreuze auf einer Schlageter-Gedenktafel des Ehrenmals ihres Friedhofes zu entfernen, weil diese Hakenkreuze öffentliches Ärgernis erregt hatten und die Gemeinde deswegen angegriffen wurde). Die Neuordnung des Verhältnisses zur Deutschen Evangelischen Kirche hatte organisatorisch eine Vertiefung des Zusammengehörigkeitsgefühls zur Folge, wie die neue, am 29. Oktober 1934 beschlossene Synodalordnung aufweist. Allerdings kommt darin die geforderte Abhängigkeit zur Deutschen Evangelischen Kirche sehr stark zum Ausdruck. Aber es ist eine gute Sache gewesen, daß in der Synodalordnung fast wörtlich als Glaubensfundament der Text aus der Ordnung der Deutschen Evangelischen Kirche übernommen wurde, der in Deutschland der "Bekennenden Kirche" die gesetzliche Möglichkeit gegeben hatte, den Kirchenkampf gegen das deutsch-christliche Kirchenregiment zu führen. Dieser Text lautete so: "Der gemeinsame Glaubensgrund der Gemeinden der La Plata-Synode ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift offenbart und durch die Reformation neu ans Licht gebracht worden ist." Für unsere Synode bedeutete diese Beschreibung des Glaubensfundamentes einen großen Fortschritt. 1937 folgte die "Ordnung des kirchlichen Lebens", die eine Ordnung des "Lebens und der Sitte" der Synode und ihrer Gemeinden sein sollte, im Gegensatz zur Synodalordnung, die für die argentinische Öffentlichkeit bestimmt war. In dieser "Ordnung des kirchlichen Lebens" kommt die Verbindung zwischen christlichem Glauben und deutschem Volkstum und Sprache und Rasse sehr stark zum Ausdruck, wie zum Beispiel in der Präambel: "Es ist unserer Deutschen Evangelischen Kirche heiliger Dienst, allen evangelischen Christen deutscher Sprache. und deutschen Blutes im Inland und im Ausland mit Gottes Wort zu dienen und sie kirchlich zu betreuen. Wie jeder Deutsche im Ausland zur deutschen Volksgemeinschaft gehört, so steht jeder deutsche evangelische Christ außerhalb des deutschen Reiches in der Gemeinschaft seiner deutschen evangelischen Kirche. Die evangelische Kirche in den La Plata-Staaten ist die Deutsche Evangelische La Plata-Synode. Sie ist mit ihren Gemeinden, Teilgemeinden, Predigtplätzen und Reisepredigtgebieten die kirchliche Heimat aller evangelischen Volksdeutschen in diesen Staaten." Diese Ordnung mit diesem Vorspruch war natürlich keine Hilfe, wie diese Ordnung es selbst erwartete, "daß unsere vielen Gemeinden in unserer Deutschen Evangelischen La Plata-Synode zu einer starken und einigen Kirche zusammenwachsen". Eine große Rolle spielte damals im Leben der Kirche die Beschäftigung mit Martin Luther, wenn auch nicht zu übersehen ist, daß es der "deutsche" Luther sein mußte. Wenn auch von 1939 an trotz des zweiten Weltkrieges das Gemeindeleben normal verlaufen konnte, so kam doch allmählich eine deutschfeindliche Stimmung in der Öffentlichkeit auf, die dazu führte, daß 1941 und 1942 keine Gesamtpfarrkonferenzen stattfanden. Die Synodaltagungen wurden immer wieder verschoben. 1942 wurde der Synode anti-argentinische Tätigkeit vorgeworfen und Einschränkung ihrer Betätigung gefordert. Da die Synodalordnung, die doch eigentlich für die Öffentlichkeit bestimmt sein sollte, nur in der deutschen Sprache vorhanden war und sich die Synode immer wieder mit ihren Zielen vor den argentinischen Behörden verantworten und verteidigen mußte, wurde unter schwierigen Verhältnissen 1943 eine Synodalversammlung in Buenos Aires einberufen, um eine Synodalordnung in spanischer Sprache zu verabschieden. Sie wollte nur eine Übersetzung der bestehenden deutschen Synodalordnung sein, aber in Wirklichkeit war sie eine vollständig neue Ordnung, da alles, was irgendwie an eine organisatorische Bindung an die Deutsche Evangelische Kirche erinnern konnte, wie sie ja in der Tat bestanden hatte, als nicht mehr bestehend erscheint. Diese neue Ordnung war vollständig an die "Reglementierung der Betätigung ausländischer Organisationen" des argentinischen Staates vom Jahre 1939 angepaßt. Die Synode verstand sich also schon 1943 unter dem Druck der politischen Verhältnisse als eine hiesige Organisation, die nur geistig und geistlich mit der Deutschen Evangelischen Kirche verbunden war, aber unabhängig in der Führung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten. Sie kennzeichnete sich nicht mehr als eine Filiale der Heimatkirche und wollte sich freihalten von allen politischen und ideologischen Tendenzen. Praktisch hat sich die Synode mit dieser spanischen Synodalordnung selbständig gemacht. Sie versteht sich als eine evangelische Kirche deutscher Sprache. Daß sie auch der Pflege des deutschen Volkstums zu dienen hatte, hat sie damit unter dem Druck einer gewissen Deutschfeindlichkeit aufgegeben. Damit war allerdings ein großer Schritt auf dem Wege der Kirchwerdung getan. In der Tat wurde gegen Ende des Krieges auch die Verbindung mit der Heimatkirche immer schwieriger. Mit Beendigung des Krieges 1945 begann für die Synode und ihre Gemeinden und für viele Gemeindeglieder die schwierigste Zeit. Durch den Zusammenbruch wurde zunächst die Verbindung mit Deutschland ganz unterbrochen. Bald aber konnte schon der Kontakt mit der Heimatkirche wieder aufgenommen werden. Allerdings war an eine Hilfe nicht zu denken. Die Synode blieb ganz auf sich selbst gestellt. Sie wurde als eine feindliche Organisation behandelt und unter Staatsaufsicht gestellt, denn der argentinische Staat hatte noch sechs Wochen vor Kriegsende Deutschland den Krieg erklärt und sich an die Enteignung allen deutschen Eigentums gemacht. Die Bewegungsfreiheit der hier wohnenden und arbeitenden Deutschen wurde erheblich eingeschränkt. Die deutschen Schulen, die oft mit den Gemeinden verbunden waren, wurden geschlossen und enteignet. Vielen Gemeinden wurde der Status einer juristischen Person entzogen. Es war eine schwere Zeit, die die Synode mit ihren Gemeinden zu bestehen hatte, ohne finanzielle Hilfe und ohne ausreichende Besetzung der Pfarrstellen. Viele Aufgaben konnten nicht ausgeführt worden; dazu fand ein Abwerben von Gemeindegliedern durch andere Kirchen und religiöse Gruppen statt. Auch konnte den neuen Einwanderergruppen (Menschen, die der Entnazifizierung in Deutschland auswichen, und zum anderen die, die im zerstörten Deutschland keine Zukunft mehr sahen) nicht in der nötigen Weise nachgegangen worden. Die staatliche Intervention der Synode wurde am 2. April 1947 wieder aufgehoben, und nach und nach erhielten die Gemeinden ihren Status als juristische Person wieder zurück. Trotz alledem ist es erstaunlich, daß die Gemeinden verhältnismäßig geordnet ihre Dienste haben ausführen können, ja, daß sogar zu einem synodalen Hilfswerk für das notleidende Deutschland aufgerufen wurde. Es dauerte nicht lange, daß sich nach dem Zusammenbruch in Deutschland die "Evangelische Kirche in Deutschland" bildete, die sich als Rechtsnachfolgerin der Deutschen Evangelischen Kirche verstand und bereit war, durch das Kirchliche Außenamt die Verantwortung für die evangelischen Gemeinden deutscher Herkunft oder deutscher Sprache im Ausland wahrzunehmen. Aber an eine finanzielle Hilfe und an die Bereitstellung von Pastoren für den Dienst am La Plata war lange Zeit nicht zu denken. Bei seinem ersten Besuch im Jahre 1950 hat der damalige Leiter des Kirchlichen Außenamtes, Präsident Martin Niemöller, zum Ausdruck gebracht, wie sein Amt die Aufgabe unserer Synode gegenüber versteht: 1. Hilfestellung zur Kirchwerdung; 2. Hilfestellung zur Kirchwerdung am La Plata; 3. Hilfestellung zur Kirchwerdung innerhalb des ökumenischen Kontextes am La Plata. Diese Konzeption ließ keinen Raum mehr für eine Kirchwerdung, die unlösbar verbunden ist mit Deutschtumspflege und Verteidigung der deutschen Sprache. Sie fand auch ihren Niederschlag in dem neuen Auslandsgesetz der EKiD vom 18. März 1954 und wurde bis heute durchgehalten. Unsere Synode war nach dem Erleben und den Erfahrungen der zurückliegenden Jahre bereit, den Weg dieser Konzeption der Kirchwerdung zu gehen und alle ihre Dienste daraufhin auszurichten. Es wurde bei der Ausarbeitung einer neuen Synodalordnung vom Jahre 1953 großes Gewicht darauf gelegt, nach einem jahrzehntelangen Prozeß des Sichklarwerdens über den Bekenntnisstand und dem Glaubensfundament unserer Synode eine breitere und genauere Grundlage zu geben. Es heißt dort: "Das Glaubensfundament ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es im Alten und im Neuen Testament der Heiligen Schrift gegeben ist. Durch die Anerkennung dieses Glaubensfundaments bekennt die Deutsche Evangelische La Plata-Synode ihren Glauben an den Herrn der einen, heiligen und apostolischen Kirche. Die Synode bekennt ihren Glauben in Übereinstimmung mit den Bekenntnissen der alten Kirche und der Kirche der Reformation, besonders mit dem Kleinen Katechismus Luthers und der Augsburger Konfession. Sie hat ihren besonderen Charakter in der Gemeinschaft des kirchlichen Lebens mit den angeschlossenen reformierten Gemeinden, in denen der Heidelberger Katechismus Gültigkeit hat. Die Synode weiß sich im Glauben mit der Evangelischen Kirche in Deutschland verbunden und mit allen Kirchen, die den Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennen." In unserer Kirchwerdung spielt dieses Glaubensfundament, das uns als uniert charakterisiert, eine große Rolle. Auf der gleichen Synodalversammlung, die die neuen Statuten 1953 verabschiedete, wurde zum ersten Mal in unserer Geschichte danach gefragt, "ob und wie im Land geborene junge Männer für den Pfarrdienst zu werben sind, um sie auf theologischen Schulen in Südamerika ausbilden zu lassen". Damit wurde ein notwendiges Problem in der Synode angesprochen, der Pfarrernachwuchs. Es ist auf die Dauer nicht normal, wenn eine werdende Kirche auf Pfarrer angewiesen ist, die nicht aus den eigenen Gemeinden kommen. Als mögliche Fakultäten sollten die in Buenos Aires und die in Sao Leopoldo in Brasilien in Frage kommen. Allerdings hat es noch bis 1958 gedauert, daß der erste Student an der neuen Lutherischen Fakultät in José C. Paz sein theologisches Studium beginnen konnte. Seit dem 1. April 1957 war Pfarrer Obermüller als Professor an diese Fakultät berufen worden, wo er seinen Dienst neben dem an der Evangelischen Fakultät jahrelang versehen hat. Von entscheidender Bedeutung für unsere Kirchwerdung war die Synodaltagung 1956 in Esperanza/Santa Fe. Es wurden Beschlüsse gefaßt, die den weiteren Weg unserer Synode bestimmten: 1. Durch eine Vereinbarung mit der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde die Selbständigkeit unserer Synode festgestellt und das gegenseitige Verhältnis geordnet. Dabei blieb das Hilfsversprechen der ehemaligen Mutterkirche, nunmehr Partnerkirche, uns auf dem Weg der Kirchwerdung weiterhin zu begleiten, und zwar mit der Hilfe da, wo es notwendig erscheint. 2. Es wurde der Antrag beschlossen, dem Ökumenischen Rat der Kirchen beizutreten, ebenfalls dem Argentinischen Bund Evangelischer Kirchen. Zu dem letzteren Antrag drückt der Vertreter dieses Bundes, Pfarrer Sosa, seine Freude in folgender Weise aus: "Die Einwanderer bilden eine eigene Kirche, aber die Enkel verlieren Sprache und Religion. Wenn die Einwandererkirche keine eigene Arbeit in der spanischen Sprache leistet, verliert sie ihre Glieder. Nur ein geringer Prozentsatz wird von den Kirchen, die in der Landessprache arbeiten, aufgefangen. Ich freue mich, daß auf dieser Synode das Sprachenproblem erfaßt wurde." 3. Das Sprachenproblem wird offiziell gesehen und soll auf der nächsten Synodaltagung behandelt werden. Zum ersten Mal gibt es im Gottesdienst zu der Synodaltagung neben der deutschen auch eine spanische Predigt. 4. Der Beitritt zum Lutherischen Weltbund wird abgelehnt, aber eine Mitarbeit im Argentinischen Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes und in der Lutherischen Fakultät befürwortet. 5. Die vom Synodalvorstand auszuarbeitende Pfarrgehaltsordnung wird für alle Gemeinden für verbindlich erklärt. Als Ergänzung gehört zu diesen Beschlüssen auch die nächste Synodaltagung im Jahre 1959 in Crespo unter dem Thema "Wir wollen Kirche werden!". Hier wurde offiziell die Notwendigkeit der Zweisprachigkeit unserer gesamten kirchlichen Arbeit anerkannt, aber auch die Problematik aufgezeigt. Pfarrer Hoppe sagte bei dieser Gelegenheit. "Wir werden uns gezwungen und gedrängt sehen, die Mauern unserer deutsch-kirchlichen Absonderung, die fast hundert Jahre bestanden hat, zu durchbrechen, um das Evangelium an die heranzutragen, die es nur in der Landessprache verstehen, und mit ihnen ehrlich Kontakt suchen." Ebenfalls wurde die so dringend notwendige neue Fassung der "Ordnung des kirchlichen Lebens" angenommen, die gleichfalls Abschied nahm von der Verbindung von Kirche und deutschem Volkstum. Selbstverständlich heißt das nicht, daß diese latente Gefahr nicht auch weiterhin vorhanden ist. Es begann nun eine Zeit, die wir als eine Zeit der inneren und äußeren Festigung bezeichnen können, die heute noch anhält. Neue Gemeinden entstanden und entstehen. Die Notwendigkeit diakonischer Werke wird eingesehen. Pfarrer aus Deutschland konnten wieder in die Synode entsandt werden, daneben läuft die Ausbildung einheimischer Pfarrer zunächst an der lutherischen Fakultät, später an der Evangelischen Fakultät (Instituto Superior Evangelico des Estudios Teologicos). Beide hatten sich zusammengeschlossen. Die finanziellen Hilfen der Heimatkirche und des Gustav Adolf Werkes ermöglichten den Bau von Gemeindezentren, Kirchen und Pfarrhäusern. Die Opferfreudigkeit der Gemeinden wuchs, wenn ihr auch immer wieder durch die wirtschaftliche Not starke Grenzen gesetzt wurden. Als im Jahre 1965 der Name Deutsche Evangelische La Plata-Synode in Evangelische Kirche am La Plata umgeändert wurde, hatte der 1843 bzw. 1899 begonnene Weg einen gewissen Abschluß gefunden, vielleicht anders als damals gedacht, aber doch so, wie er uns durch unseren Glauben vorgeschrieben war. Wir wurden zu einer evangelischen Kirche in dem Raum, der von uns zum Leben erwählt oder uns zugewiesen worden war, am La Plata. Dieses erreichte Ziel, das in der Namensänderung ausgedrückt wird, bedeutete allerdings nicht, daß die Kirchwerdung zum endgültigen Abschluß gekommen ist, sondern daß wir uns auch weiterhin auf diesem Wege wissen. Zu Recht sollten auch die folgenden Jahre von dem Bemühen geprägt sein, "herauszufinden, was das bedeutet, Kirche Jesu Christi zu sein und uns anzuschicken, das darzustellen, was wir sein sollen". Aus der Vergangenheit auf den neuen Weg. Jetzt sind wieder fast zwanzig Jahre vergangen. langst gehört die etwas abwertende Einstufung unserer Kirche als einer isolierten volkstumsgebundenen Einwandererkirche der Vergangenheit an, und wir finden uns als eine bodenständige, hier bereits verwurzelte Kirche, die sich mit anderen Kirchen zum Dienst gerufen weiß, wieder. Mit sieben weiteren Trägerkirchen (darunter die Lutherische, Reformierte, Waldenser, Methodistische, Anglikanische Kirche und Jünger Christi) wird die Verantwortung für die Evangelische Theologische Fakultät in Buenos Aires getragen, an der 1984 25 junge Männer und Frauen unserer Kirche sich für den pfarramtlichen Dienst ausbilden ließen. An dieser Fakultät versieht auch ein aus Deutschland entsandter Dozent seinen Dienst; ebenfalls hat ein einheimischer Pfarrer, der in Deutschland promoviert hat, einen begrenzten Lehrauftrag neben seinem Pfarramt übernommen. Eine Kommission dieser Trägerkirchen ist dabei, festzustellen, ob eine gegenseitige Anerkennung der Vikarsausbildung und der Ordination möglich ist. Die gemeinsame Ausbildung der Pfarrer dieser verschiedenen Kirchen an einer Fakultät mit einem Internat ist eine große Hoffnung nicht nur für ökumenische Kontakte, sondern auch für eine organisatorische Einheit dieser an der Fakultät mitarbeitenden Kirchen. Ihre Präsidenten kommen regelmäßig zusammen, um gemeinsame Aufgaben zu sehen, anzupacken und abzusprechen. In den letzten ökumenischen Gesprächen mit der Vereinigten Lutherischen Kirche und der Waldenserkirche hat sich die Leuenberger Konkordie als sehr hilfreich erwiesen, die schon seit Jahren von den Waldensern akzeptiert worden war, von unserer Kirche im Jahre 1980. Im vergangenen Jahr begann zusammen mit der Vereinigten Lutherischen Kirche ein theologisches Gespräch mit der Römisch-katholischen Kirche. Es geht um die Bedeutung des Evangeliums in unseren Kirchen, aber auch darum, ob wir ebenfalls eine Abstimmung in der Frage der Mischehe und einer eventuell möglichen ökumenischen Trauung erreichen können. Eine weitere Kommission versucht, gemeinsam mit der Katholischen Kirche die Woche der Einheit vorzubereiten; neu hinzugekommen ist die Durcharbeitung der Konvergenzerklärung von Lima. Langsam scheint sich auch die Argentinische Bischofskonferenz der ökumenischen Frage zu öffnen. - Vor einigen Monaten begannen wir ein Gespräch mit der Evangelischen Kongregationalkirche, das zum Ziel hat, das etwas strapazierte gegenseitige Verhältnis aufzulockern und uns näher zu kommen. Während im Jahre 1955 in unserer Kirche 16 Pfarrer Dienst taten, die von Deutschland ausgesandt worden waren, sind es heute 60, von denen bereits zwei Drittel aus den eigenen Gemeinden kommen und hier ihre theologischen Studien absolviert haben. Unsere ersten Vikarinnen und Pfarrerehepaare, die beide Theologen sind, versuchen, in den Gemeinden akzeptiert zu werden. Seit 1980 haben wir einen bodenständigen Pfarrer als Kirchenpräsidenten und dazu ab 1983 auch als Vizepräsidenten, was sich als sehr hilfreich für die Kirche auf diesem Kontinent auswirkt. Unsere Kirche ist durch einen einheimischen Pfarrer vertreten im Lateinamerikanischen Rat der Kirchen und im Zentralausschuß des ökumenischen Rates der Kirchen. Der Präsident unserer Kirche wurde 1984 zum Vorsitzenden des Argentinischen Bundes Evangelischer Kirchen gewählt. Ohne größere Schwierigkeiten hat sich die Zusammensetzung der Pfarrerschaft verändert, in der nun die bodenständigen Pfarrer einen größeren Einfluß haben, aber die Zusammenarbeit von ausgesandten und einheimischen Pfarrern kann als sehr gut bezeichnet werden. Daran ist nun nicht mehr zu rütteln, daß die Aufgaben unserer Kirche heute nicht mehr so sehr mit der europäisch-nördlichen Brille gesehen werden, sondern mit den Augen derer, die hier auf dem südamerikanischen Kontinent leben, besser gesagt: hungern, leiden, unterdrückt und ausgenutzt werden und für ihre Nöte die Hilfe Jesu Christi brauchen. Dazu kommt, daß wir selbst als eine sogenannte Kirche des Mittelstandes zur Kenntnis nehmen müssen, wie sich durch die Entwicklung des Nord-Süd-Konflikts und in Verbindung mit den Militärdiktaturen eine große Verarmung auch großer Teile unserer Gemeindeglieder vollzogen hat und wir nicht mehr von außen all die Probleme und Schwierigkeiten auf diesem Kontinent betrachten können. Ob wir uns als Kirche, als Gemeinden und als evangelische Christen in den letzten Jahren im Prozeß des Ausbruchs aus dem Ghetto unseres Deutschtums, der deutschen Sprache und Kultur, bereits immer im Sinne unseres Herrn verhalten haben, besonders wenn es darum ging, den grausamen Verletzungen der Menschenrechte oder der Begeisterung für einen leichtfertigen Krieg zu widerstehen, wage ich nicht zu beantworten. Allerdings kann das gesagt werden, daß Vertreter unserer Kirche, nicht ohne eigene Gefahr, aber angefochten von anderen Gemeindegliedern oder vom Gemeindevorstand, in den verschiedenen ökumenischen Hilfsorganisationen a) für die vor der Militärdiktatur in Chile Geflohenen, b) für die in Argentinien während der Militärregierung Verschwundenen und ihre Angehörigen, c) für die in Paraguay politisch Verfolgten aktiv mitgearbeitet haben bzw. noch mitarbeiten. Unsere Kirche arbeitet ebenfalls verantwortlich in der ökumenischen Kommission mit, die in der Provinz Chaco in Argentinien den an den Rand gedrückten und um ihr Oberleben kämpfenden eingeborenen Tobastämmen nachgeht und mit ihnen an der Herstellung einer Existenzmöglichkeit arbeitet. Dazu hat sie einige Mitarbeiter für diese Aufgaben entsandt. In der Provinz Entre Ríos in Argentinien taten sich unsere Gemeinden zusammen, um durch eine längere Zeit hindurch denen zu helfen, die durch grosse Überschwemmungen Hab und Gut verloren haben. In einem Vorort von Buenos Aires hilft die evangelische der katholischen Gemeinde entscheidend, daß sie einen Mittagstisch für die im Umkreis einrichten kann, die buchstäblich nichts mehr zu essen haben. Eine Frauengruppe in einem anderen Vorort sorgt für Kinder von verschleppten Eltern. Diese Kinder haben neben der äußeren Not auch noch psychologische Schwierigkeiten und Probleme zu durchstehen. In der Hauptstadt Buenos Aires arbeitet ein evangelisches Sozialzentrum. Daneben liegen in der Gesamtverantwortung der Kirche oder in den Händen von einzelnen Gemeinden einige Kinder- und Schülerheime, eine Haushaltsschule, eine Schule für Altenpflege, zwei Altenkolonien und ein Altersheim und ein sehr gut in Anspruch genommenes evangelisches Krankenhaus. Bei solchen Aufgaben ist es ganz natürlich, daß die Ausbildung diakonischer Mitarbeiter ins Auge gefaßt werden mußte, die auch in Verbindung mit der Evangelischen Fakultät geschieht. Alle diese in Angriff genommenen Aufgaben nehmen uns voll und ganz in Anspruch und gehen bis an die Grenzen unserer Kraft. Sie waren überhaupt nicht denkbar, wenn wir nicht die Quelle hätten, aus der wir immer aufs neue Mut und Kraft und Freude schöpfen könnten: das Wort Gottes, das im Zentrum all unseres Tuns und Sagens steht. Manche Hilfestellung aus dem Raum unserer Heimatkirche, des Gustav Adolf-Werks, der Evangelischen Entwicklungshilfe und anderen Einrichtungen haben wir dabei erfahren, wofür wir sehr dankbar sind. Es gilt, dem Worte Gottes eine breite Entwicklungsbasis zu gewähren. Dazu dient auch das Bemühen, es in der spanischen Sprache zu verkündigen, zum Beispiel durch das Gemeindeblatt, ebenfalls durch die Herausgabe der täglichen Auslegungen zu den Losungen, die hier in einer ökumenischen Zusammenarbeit erarbeitet werden. Dazu kommt das Bestreben der Kirchenleitung, darauf hinzuwirken, daß alle unsere bodenständigen Pfarrer die deutsche Sprache erlernen, damit die Gemeindeglieder, die noch nicht voll der nationalen Sprache mächtig sind, das Evangelium in ihrer Muttersprache hören können. Dementsprechend ist es selbstverständlich, daß alle ausgesandten Pfarrer die spanische Sprache erlernen müssen. Das Wort Gottes ist es auch, das besonders die hier ausgebildeten Theologen und treuen Gemeindeglieder sowohl der katholischen wie auch der evangelischen Kirchen Südamerikas schon seit Jahren in eine heilvolle Unruhe versetzt hat und das in dem Worte Jesu zusammengefaßt werden kann: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinem Verstand. Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst". (Mat. 22, 37 - 39) Die junge Theologengeneration und viele junge Christen sind von der Frage bewegt, wie es möglich sein konnte, daß 2.000 Jahre lang die christliche Kirche und die gesamte Christenheit ihren Glauben fast ausschließlich vom ersten Teil des Doppelgebotes beeinflussen ließen und ordneten und den zweiten Teil nur en passant zur Kenntnis nahmen und praktizierten. Gilt das nur von Lateinamerika, daß wir als Christen, als Gemeinden und als Kirchen unsere Nächsten der Not, der Armut, der Krankheit, der Ausbeutung, der Quälerei und dem Tode überlassen haben und dazu noch glauben, treue Christen zu sein, obwohl wir die Liebe zum Nächsten von der Liebe zu Gott trennten? Wir kommen der Theologie der Befreiung ein ganzes Stück näher, wenn wir uns wirklich ernsthaft um die Beantwortung der Frage bemühen: Wie muß sich christliches Leben auf dieser Erde gestalten? Wie muß eine christliche Gemeinde oder Kirche aussehen, bis in die Kirchen- und christliche Lebensordnung hinein, die das Doppelgebot in seiner ganzen Fülle als Hilfe für das menschliche Leben in unserer Zeit annimmt und ernstnimmt? Unser Kirchenpräsident, Pfarrer Reinich, sieht es als dringend an, daß wir uns in Zukunft um "eine pfarramtliche integrale Arbeit bemühen müssen, die sich nicht erschöpft in Gottesdiensten und sonstigen traditionellen Diensten, sondern wo es gilt, die Gemeindeglieder, und nicht nur sie, zu begleiten und zu helfen in den Schwierigkeiten des täglichen Lebens". Damit greift er das auf, was heute auf den evangelischen Fakultäten und katholischen Priesterseminaren Südamerikas als Zielpunkt für die Kirche der Zukunft auf unserem Kontinent gesehen wird. In eine ähnliche Richtung weist die vor einigen Jahren im Zuge der Übersiedlung verarmter Bauern aus Brasilien nach Paraguay im "Programm für Christliche Hilfe" zusammen mit der Römisch-Katholischen Kirche begonnenen Arbeit. Auf dem uns von unserem Herrn gewiesenen Weg als sein Volk und seine Kirche liegt bereits eine weite Strecke mit Irrungen und Wirrungen, aber auch mit erfüllten Verheißungen, hinter uns. Allerdings sehen wir, daß mit uns und durch uns der Weg noch nicht zu seinem Ziel geführt hat, sondern weitergeht. Und wir sind der festen Überzeugung, daß der Herr, der uns bis hierher begleitet und auch bei uns vieles neu gemacht hat, uns auch nahe sein wird auf dem Weg in eine Zukunft, die sehr dunkel vor uns erscheint, die aber immer seine Zukunft und darum ebenfalls unsere Zukunft des Heils sein wird.
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