Probleme einer evangelischen Kirche deutscher Herkunft in Argentinien | Vortrag Nº 092 | Lugar/Ort:Gelsemkirchen | Fecha/Datum:1979 | | Resumen/Skopus: Vortrag gehalten auf der Pfarrkonferenz im Juli 1979 in Gelsenkirchen/Deutschland. | | Es ist keine Frage, daß auch unsere Kirche in ihren Anfängen die enge Verbindung zwischen Deutschtum und evangelischem Glauben verkörpert. Ihre Gemeinden, die zuerst ein direktes Verhältnis zum Preußischen Oberkirchenrat in Berlin hatten, sind aus den verschiedensten Motiven heraus gegründet worden, die ersten als Schulvereine. Die Gemeinde, zu der ich gehöre, rief nach 20-jährigem Bestehen erst Berlin um Hilfe an. In der Zwischenzeit hatte sie sich selbst durch Pseudopfarrer oder Gemeinschafsprediger seit der Einwanderung 1878 bedienen lassen. Erst der Einbruch der Adventisten brachte sie darauf, ihre Gemeindesituation zu ordnen. Diese Gemeinden am La Plata, die mit der Altpreußischen Union verbunden waren, bildeten um die Jahrhundertwende die Deutsche Evangelische La Plata - Synode. Sie war zunächst ein reiner Zweckverband, in dem keiner bereit war, um eines großen Zieles willen, etwas aufzugeben oder bei gemeinsamen Ausgaben mitzutragen. Aus diesem Zweckverband ist aber doch, wenn auch nur sehr mühsam, in Jahrhunderten etwas entstanden, was wir Kirche nennen können. Ein Meilenstein auf diesem Wege war im Jahre 1965 die Namensänderung, die gleichzeitig ein Programm bedeutete, in EVANGELISCHE KIRCHE AM LA PLATA. Wir wollten nicht mehr nur unseren Glauben in enger Verbindung mit dem Deutschtum sehen, sondern am La Plata eine evangelische Kirche sein, darum verstanden wir uns auch nicht mehr als Teil der deutschen Kirche. Wir traten dem Weltrat der Kirchen bei, den Beitritt zum lutherischen Weltbund lehnten wir ab, da wir die Erfahrung einer Kirche der Union nicht aufgeben wollten, obwohl wir von bestimmten Kreisen dazu ermuntert wurden. Das Verhältnis zur EKiD wurde neu durch eineen Partnerschaftsvertrag geregelt. Wir benutzen die Agenden der Kirche der Union, besonders auch die Dibelius-Agende, die auch ins Spanische übersetzt worden ist. An diesr Stelle auch recht herzlichen Dank denen, die über Superintendent Dr. Burba uns ihre Dibelius-Agende für die argentinischen Amtsbrüder zur Verfügung stellten. Dafür ist immer Bedarf vorhanden. Die Namensänderung mit dem neuen Programm veränderte auch die Ausrichtung der gesamten kirchlichen und gemeindlichen Arbeit. Es wurde die Isolierung, in der wir allein schon durch die ausschließliche Benutzung der deutschen Sprache lebten, gesprengt, indem wir die spanische Sprache in allen Diensten bevorzugten. Wir bekamen dadurch Kontakt mit unserer Umwelt und mit anderen protestantischen Denominationen, ja, selbst mit der römisch-katholischen Kirche. Vor 24 Jahren waren wir zu 16 Pfarrern, alle von Deutschland ausgesandt, jetzt gehen wir auf 50 zu, davon bereits 28 nationale Amtsbrüder. Das ist z.B. das Ergebnis, daß wir mit den Methodisten, Amglikanern, Lutheranern aus Nordamerika, aus Dänemark und Schweden, mit den Reformierten und Valdensern verschiedener Länder, uns verantwortlich wissen für die Evgl.Theol. Fakultät in Buenos Aires. Diese gemeinsame theologische Ausbildung legt bereits das Fundament für eine größere protestantische Kirche in Argentinien oder am La Plata. Jetzt wird versucht, gemeinsam mit anderen Kirchen Wege zur Erneuerung der Gemeinden zu suchen, die katechetische Arbeit wird ökumenisch ausgerichtet. Es entsteht ein total neues christliches Liedgut, das einmal das englische und das deutsche Liedgut, das in seinen Melodien und oft schweren Texten nicht Ausdruck des Glaubens in Lateinamerika sein kann, ablösen wird. An diesem Punkte besteht sogar eine intensive Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Wir haben uns geöffnet für eine ökumenische Missionsarbeit unter den TOBA-Indianern im Chaco. Das alles bewirkt, daß die Gemeinden nicht so schnell mitkommen in diesem Ausbruch eines christlichen Ghettos, geprägt durch das Deutschtum und einer ausschließlich innerlichen persönlichen Frömmigkeit. Dieser Prozeß ist noch zu Gange. Noch schwerer wird es für die Gemeinden, zu verstehen, daß wir eine Aufgabe haben in und an unserer Umwelt, mit einer großen Verantwortung, aber auch da wächst langsam und stetig das Verständnis. Es war zum Beispiel nicht leicht, zu verstehen, daß unsere Kirchenleitung mit anderen Denominationen, trotz aller Gefährlichkeit, gegen die Einführung der Todesstrafe protestierte, oder unser Bezirk Entre Ríos, die EKiD um Vermittlung bei der Bundesregierung Deutschland bat, damit sie Fleischverträge zwischen Deutschland und Argentinien nicht einseitig von deutscher Seite gebrochen werden. Was nützt deutsche Entwicklungshilfe, wenn internationales Recht, wenn es um das eigene Interesse geht, außer Acht gelassen wird. Unsere Gemeinden In Entre Ríos waren stark an der Gründung der Ligas Agrarias Entrerrianas beteiligt, eine Gewerkschaft für Landarbeiter, kleine und mittlere Bauern, was uns kommunistisch verdächtig machte. Beim Militärputsch in Chile wurde unser Pfarrer in der Grenzstadtgemeinde Mendoza, außerordentlicher Repräsentant der UNO-Kommission für Chiles Flüchtlinge, danach wurde das Pfarrhaus wochenlang mit bis 50 Flüchtlingen belegt, und angegriffen vom Militär in Chile und mißtrauisch bewacht von argentinischen Sicherheitsstreitkräften. Der Pfarrer mußte unzählige Haussuchungen durchstehen. Welche Probleme kamen auf uns zu beim Militärputsch in Argentiunien vor 3 Jahren bis heute? Da wäre vieles zu sagen, aber nur dieses: Unsere Kirche ist haupttragendes Mitglied der Bewegung zur Verteidigung der Menschenrechte und viele Pfarrer dazu in anderen Kommissionen zur Verteidigung der Menschenrechte. Was das bedeutet in dem Lande, wo es fast 15.000 Verschwundene gibt. Diese letzten Jahre machten sich fast alle Kirchen, einschließlich der katholischen Kirche, verdächtig allein dadurch, daß sie zum Sprachrohr der Armen, Verfolgten und Unterdrückten wurden. Die letzte Spannung, die das Gemeindeleben total durcheinander brachte und viele Pfarrer und Priester und Bischöfe als Landesverräter abstempelte, waren die Kriegsvorbereitungen zwischen Argentinien und Chile, an denen sich die Kirchen der beiden Länder nicht beteiligten, sondern die Verantwortlichen bei jeder Gelegenheit und in gemeinsamen Gottesdiensten aufforderten, Vernunft anzunehmen. Diese Haltung hat meines Erachtens zu einer Verhinderung des Krieges geführt. So sind wir aus dem Ghetto ausgebrochen, sehen unsere Verantwortung und fangen an, sie wahrzunehmen, was nur langsam für die Gemeindeglieder und Gemeinden nachvollzogen werden kann, aber nur so können wir das Salz der Erde dort in Lateinamerika werden. Karl Schwittay Vortrag, gehalten auf der Pfarrkonferenz in Gelsenkirchen/Deutschland im Juli 1979.
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