Karfreitag und Ostern bei den Wolgadeutschen | Reisebericht Nº 069 | Lugar/Ort:Besuch in General Alvear | Fecha/Datum:1969 | | Resumen/Skopus: Aus dem Buch AUF LUTHERS SPUREN IN LATEINAMERICA,
S. 81-82: "Karfreitag und Ostern bei den Wo;gadeutschen".
Reisebericht von Pfarrer Johannes Pfeiffer. | | KARFREITAG UND OSTERN Bericht aus dem Buch "Auf Luthers Spuren in Lateinamerika" von Johannes Pfeiffer Karfreitag und Ostern bei den Wolgadeutschen (im Jahre 1969) Ein grosser Teil der Russlanddeutschen, deren Vorfahren vor 2 Jahrhunderten dem Rufe Katha- rinas der Grossen gefolgt und nach der Wolga und nach Wolhynien ausgewandert waren, lebt heute in Argentinien. Als die russische Regierung das einst den Kolonisten gewährte Vorrecht auf Befreiung vom Militärdienst aufhob, die panslawistische Bewegung das Leben machte und Überbevölkerung eine Landnot verursachte, wanderte ein Teil der Wolgadeutschen nach Nor- und Südamerika aus, darunter auch nach Argentinien, wo die ersten in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eintrafen, um hier eine neue Heimat zu suchen. Die letzten aber kamen Ende der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts herüber, da die Lage in Russland immer unerträglicher geworden war. Diese deutschstämmigen Bauern haben bis heute nicht nur zäh an ihrer Muttersprache, sondern auch an ihrem evangelischen Glauben festgehalten. Das alte Gesangbuch der Wolgadeutschen mit 1176 (!) Liedern, unterdessen in Argentinien neu aufgelegt, wird heute noch weithin in den Gemein- den gebraucht. Schon in Buenos Aires hatte ich gelegentlich einer Passionsandacht in der Vorortgemeinde Villa Ballester Russlanddeutsche kennengelernt. Sie wa- ren wie so viele Argentinier, dem Sog der Haupt- stadt erlegen und hatten das flache Land verlassen, in der trügerischen Hoffnung, in der Stadt besser voranzukommen. Viele gingen dabei nur zu rasch ihrem Volkstum, ihrem Glauben und sich selbst verloren. Aber andere wieder schlossen sich in alter Treue ihrer neuen Gemeinde an . Nun aber sollte ich sie auf dem Lande selbst aufsuchen, um in Aldea Protestante, der ältesten Gemeinde von Entre Ríos mit insgesamt 8 Predigtstätten, in der Kar- und Osterwoche Gottesdienst zu halten. In 10 Stunden bringt uns der Bus von Buenos Aires über Rosario nach Santa Fe, am Westufer des Paraná. Schon vorher werden wir der gewaltigen Überschwemmungen des Paraná gewahr, von denen Wir bereits seit Tagen in den Zeitungen gelesen hatten. Während unser Bus vorsichtig auf erhöhter Strasse sich zur Landestelle der Fähre am Flussufer vorwärtstastet, erblicken wir zu beiden Seiten die weithin überschwemmten Wiesen, Felder und Gärten. Einzelne Häuser stehen schon unter Wasser, andere, etwas höher gelegene, sind gleich Inseln vorläufig noch von den Fluten verschont geblieben. Wir sehen Menschen, die auf Kähnen Vieh und Habe zu retten suchen, und andere, die dort, wo vor kurzem noch Land gewesen ist, jetzt unberührt von allem Unglück ihre Angelruten aus- legen. Mit der Fähre brauchen wir gut eine Stunde, um an das andere Ufer des Paraná zu gelangen. Die längste Zeit fahren wir in einem schmalen, sich zwischen 2 Inseln hindurchwindenden Nebenarm, zuletzt über den offenen Strom, der hier fast 3000 Meter breit ist. In der Stadt Paraná, die, hoch über dem Ufer, schon während der ganzen Fahrt uns grüsste, holte mich der Amtsbruder (Schwittay) von Aldea Pro- testante mit seinem Jeep ab. Inzwischen ist es rasch dunkel geworden, während uns der Weg immer tiefer in die flache Landschaft von Entre Ríos hineinführt. Zunächst ist die Landstrasse gut betoniert, als wir dann aber abbiegen, ist sie reiner, hart getrockneter Naturboden. In ihm hatten andere Wagen ihre Spuren gezogen, die auch wir benutzten, Nach einer guten halben Stunde erreichten wir unser Ziel, wo ich von einer alteingesessenen Bauersfamilie freundlich als Gast aufgenommen wurde. Am nächsten Morgen finde ich mich in einem richtigen alten deutschen Dorf vor! Zu beiden Seiten der breiten, aber ungepflasterten Dorf- strassen, die bei Regen sich in einen unergründ- lichen Morast verwandeln sollten, reiht sich Bauernhof. Einige Hektar Land, teils mit Getreide bestellt, teils Weideland für das Rindvieh, um- fasst der bäuerliche Besitz. Es gibt wohlhabende, aber kaum wirklich reiche Bauern. Durch Geflügelzucht, das Halten von Angora-Kaninchen oder durch andere Nebeneinnahmen versucht man, den Lebensstandard zu erhöhen. Jung und alt spricht gleichermassen Deutsch, wie man gleich beim Gruss auf der Strasse merkt, denn an der angestammten Sprache, oder richtiger: dem an gestammten hessischen Dialekt, hat man zäh festgehalten, wie auch an dem angestammten evangelischen Glauben. Freilich wird auch, besonders in der jüngsten Generation, das Sprachenproblem spürbar. In der staatlichen Dorfschule wird natürlich nur in der spanischen Landessprache unterrichtet. Deutsch lernen die Kinder nur zu Hause, vom Religions- unterricht abgesehen, der dann auch zugleich Sprachunterricht ist. Der schlichte saalartige Kirchbau und das nicht minder bescheidene Pfarrhaus von Aldea Protestante gehören aber nicht mehr der Stammgemeinde! Anfang der zwanziger Jahre hatte der Ortspfarrer einen befreundeten Lehrer aus dem Posenschen herüberkommen lassen, um ihm zu einer] neuen Existenz zu verhelfen. Währen d eines Heimaturlaubs des Pfarrers machte sich dieser selbst zum Pastor und spaltete die Gemeinde! Diese Spaltung dauert bis heute fort. Nach einigem Hin und Her hat die abgespaltene Gemeinde schliesslich losen Anschluss bei den Kongregatio- nalisten gefunden, die -wie auch die Missouri- Luteraner, die Metodisten und die Baptisten- Gemeinden unter den Russlanddeutschen g3gründet haben. Zu weit überwiegendem Teil aber gehören diese der Evangelischen La Plata-Kirche an. Inzwischen hat die Stammgemeinde begonnen, sich eine eigene, geräumige, moderne Kirche zu errich- ten. Während meines Aufenthalts wurden die Gottesdienste noch in der Werkstatt eines Schrei- ners gehalten, die jeweils behelfsmässig dazuj hergerichtet wird. Am Abend des Gründonnerstag veranstaltete hier die Pfarrfrau eine Aufführung der Lukas-Passion von Otto Riethmüller und dem Kirchenchor, zu dem die Gemeindejugend des Dorfes fast geschlossen gehört. Die junge Frau des Schreiners begleitete dazu auf dem Behelfs-Harmonium. Die schlichte Verkündigung verfehlte nicht ihren tiefen Eindruck auf die Gemeindeglieder, zumal ihnen ausserhalb der Kirche kaum etwas Geistiges Künstlerisches geboten wird. Das Ganze aber war eine b ewundern swerte Leistung der Pfarrfrau, wenn man allein schon an die sprachlichen Schwie- rigkeiten denkt, die sie dabei zu überwinden hat- te. Auch beim Gottesdienst am Karfreitagmorden war der Raum wieder fast bis zum letzten Platz von ungefähr 140 Gemeindegliedern gefüllt, von denen auch die Hälfte das Heilige Abendmahl nahm. Man darf wohl sagen, dass von den etwa 400 Seelen dieser Gemeinde während der Festtage beinahe jedes Gemeindeglied mindestens einmal zu einem Gottesdienst kam. Und was für Aldea Protestante gilt, gilt auch für die anderen, noch kleineren Gemeinden. Nach monatelanger Dürre, die sich schon zu einer landwirtschaftlichen Katastrophe auszuwirken begann, hatte es in der Karwoche wiederholt geregnet. Auch am Karfreitag war der Himmel dicht verhangen, dennoch wagten wir nach Tisch die nur gut halbstündige Fahrt zum Nachbardorf Camarero. Rings um die Kirche herum stand Wagen neben Wagen, teils urältesten Modells, dazwischen auch manch offenes Pferdegespann. Die Kirche war auch hier fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Ein stattlicher Kirchenchor, von der Leiterin auf der Ziehharmonika begleitet, erfreute durch ein- gängige Lieder auf deutsch und spanisch. Gerade als ich mit der Predigt begann, ging mit ununterbrochenem Blitzen und Donnern ein schwerer Gewitterregen nieder, der bei offener Tür seinen Eingang auch in das Kirchlein selbst fand. Trotz- dem blieb die Gemeinde bis zum Schluss des Gottesdienstes beisammen. Inzwischen hatte der Regen fast aufgehört, aaber wie sah es jetzt draussen aus! Die Kirche stand inmitten eines einzigen Morastes! Ein Wagen, der unmittelbar vor dem Eingang der Kirche geparkt hatte, musste erst aus dem Dreck herausgehoben werden, um überhaupt fahren zu können. Die eben noch sonntäglich gekleideten Gemeindeglieder, Männer und Frauen, hatten dazu rasch Schuhe und Strümpfe ausgezogen und wateten nun b arfuss im tiefen Schlamm. Aber der Wagen war wieder flott! Wir selbst in unserem modernen, gut geschützten Jeep kamen trotz der klebrig-schlüpfrigen Masse. in die die Strasse sich verwandelt hatte, zunächst noch gut voran. So überholten wir noch einen weiteren steckengebliebenen Wagen.Aber der Weg wurde je länger desto schlechter. Durch eine Schlucht, die auf der Hinfahrt noch trocken gewe- sen war, sich aber inzwischen in einen reissenden Fluss verwandelt hatte, kamen wir noch überraschend gut hindurch. Aber schliesslich erhaschte es auch uns. Trotz aller Balancier- künste meines Amtsbruders, uns in der Mitte der Strasse zu halten, rutschten wir schliesslich doch ab und sassen im Graben fest. Hier versagte selbst die Geländegängigkeit des Jeep! Aber glücklicherweise passierte uns das in Sichtweite eines Hofes, der einsam auf weiter Flur stand. Wir hupten nach Kräften, So dauerte es nicht allzu lange, bis der Bauer, ein Gemeindeglied, auf seinem Trecker den Hof verliess und sich tapfer zu uns hindurchkämpfte. Dann wurden wir an die Kette gelegt, und mit einem Ruck waren wir wieder auf der Fahrbahn in der Mitte der Strasse. Der Trecker folgte uns noch eine Weile, und das war gut so. Denn kurze danach sass unser Jeep beim Versuch, eine steile Kurve zu nehmen, erneut fest. Noch einmal wurden wir durch den Trecker in Gang gebracht, und dann ging es mit eigener Kraft, wenn auch mit dauerndem Hin- und Hergeworfenwerden, nach Hause. Diese Rückfahrt hatte über anderthalb Stunden gedauert...... Den dritten Gottesdienst zu halten, der für den Abend noch im Nachbarort Reffino vorgesehen war, war völlig unmöglich. Auch die Gemeindeglieder hätten bei diesem Zustand der Strassen nicht kom- men können. Da diese Gemeinde aber bereits am Sonnabend vor Palmsonntag die Lukas-Passion hatte erleben dürfen, war sie dennoch nicht ohne Ver- kündigung geblieben. Ostersonnabend strahlte die Sonne wieder am wolkenlosen Himmel. Bald waren die Wege so weit getrocknet, dass wir am Abend zum Gottesdienst nach Diamante fahren konnten. Diamante ist eine kleine Stadt, malerisch auf steilem Ufer hoch über dem Paraná gelegen. Die kleine Gemeinde von etwa 30 Familien hat sich mit Hilfe des Gustav- Adolf-Werkes ein schmuckes modernes Kirchlein erbaut. Der Gottesdienst sollte um 19.30 Uhr beginnen, aber es wurde gegen 20 Uhr, ehe die Gemeinde versammelt war. Paciencia, Geduld, gehört ja zu den meist gebrauchten Worten der spanischen Sprache, und in Diamante ist Spanisch auch vorwiegend die Gottesdienstsprache. Da, gerade als wir endlich doch anfangen wollten, ging das elektrische Licht aus! Erneeut galt es, paciencia zu üben. Nach 20 Minuten vergeblichen Wartens beschlossen wir, eine Gaslampe zu organisieren. Auf einem Kleiderständer schräg vor dem Altar gestellt, erleuchtete sie das Gottes Haus so weit, dass wir schliesslich mit einstündiger Verspätung den Gottesdienst beginnen konnten. Zehn Minuten später flammten auch die elektrischen Glühbirnen wwieder auf...... In Diamante wird der ganze Gottesdienst auf spanisch gehalten, einschliesslich der Predigt, mit einer kurzen deutschen Wortverkündigung als Ergänzung. Hier, in der Stadt, macht es sich schon sehr bemerkbar, dass die Jugend kaum noch Deutsch versteht, geschweige spricht, während die Älteren durchaus an der deutschen Sprache festhalten möchten, aber natürlich auch Spanisch sprechen und verstehen. Diesmal machten wir es umgekehrt; ich hielt eine deutsche Predigt, der der Amtsbruder eine spanische Kurzpredigt folgen liess. Wie überall zur Festzeit schloss sich die Feier des Heiligen Abendmahls an, nachdem bereits in der Eingangsliturgie ein Kind getauft worden war. Der Pfarrer kann ja nur einmal im Monat zum Gottesdienst kommen. So fand der Gottesdienst erst nach 22 Uhr sein Ende, für Latein-Amerika allerdings keine sehr späte Zeit. In diesem Gottesdienst erlebte die Gemeinde noch eine freudige Überraschung. Der bereits eingeweihten Kirche fehlte, ausser den Altargeräten, vor allem noch ein Instrument. Nun war dem Pfarrer soeben ein gebrauchtes, aber sehr gutes Harmonium zu einem verhältnismässig billigen Preis angeboten worden. Aber woher jetzt noch das Geld nehmen, nachdem die kleine Gemeinde für ihren Kirchbau wirklich geopfert hatte? Da erklärte sich ein Bauer, der jetzt in Diamante seinen Ruhestand verlebt und den man um ein Darlehn für dem Instrumentenkauf gebeten hatte, sofort bereit, auf seine Kosten das Harmonium für die Gemeinde zu kaufen. Ostersonntag ging es früh beizeiten hinaus gen Grabschental, durch die weite, ein wenig hügelige Landschaft, bei strahlendem Sonnenschein. Grabschental ist kein geschlossenes Dorf, sondern eine "Kolonie", d.h. eine Siedlung, bei der die Bauern alle weit verstreut auf ihren Höfen inmitten ihres Besitzes wohnen. So lieegt auch das Kirchlein einsam auf einer Anhöhe. Auch hier umgab eine kleine Wagenburg die Kirche, und eine Gemeinde von 40 Personen erwartete uns. Achtzehn Familien, teilweise persönlich noch verfeindet, haben es fertiggebracht, sich dieses Kirchlein zu errichten. Am frühen Nachmittag wiederholte sich dann diese Fahrt in die Weite der Landschaft nach einer anderen Kolonie: Meroú. Um 1914 herum war eine Spaltung der ursprünglichen Gemeinde erfolgt. Da- mals gab es keine eigenen Gottesdienste in Meroú, und ausserdem sollten die Eltern ihre Kinder den weiten Weg nach Aldea Protestante zum Konfirmandenunterricht schicken, was sie ablehnten. So ging ein grosser Teil der Gemeinde mit Bethaus und Friedhof zur lutherischen Missouri-Synode über, die heute an Ort und Stelle einen Pfarrer wohnen hat und hier ihre grösste Gemeinde in ganz Entre Ríos besitzt. Aber ein Teil der Gemeinde blieb der angestammten Kirche treu und hat sich vor zwanzig Jahren einen eigenen kleinen Betsaal errichtet, der weithin in der Landschaft sichtbar ist. Auch hier war der Gottesdienstbesuch mit einer Zahl von 40 bei insgesamt 20 Familien wieder überraschend gut. Am Abend hielt ich dann den dritten und letzten Gottesdienst wieder in Aldeda Protestante, wo sich zum dritten Male innerhalb von 4 Tagen hundert aufgeschlossene Besucher eingefunden hatten. Als altem Berliner Pfarrer aber ging einem in diesen Tagen die Frage durch den Kopf, wie wohl die Gottesdienste an den Festtagen in Berlin aussehen müssten, wenn sie ähnlich stark besucht würden wie hier in Argentinien bei den Russland- deutschen. Dann wären nicht nur alle Berliner Kirchen überfüllt, sondern Tausende und Abertausende von Kirchgängern müssten sich noch auf den Strassen und Plätzen vor den Kirchen drängen.
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