Der Weg der Evangelischen Kirche am La Plata | Referat und Artikel Nº 062 | Lugar/Ort:Marienberg / Jülich | Fecha/Datum:1967 | | Resumen/Skopus: Vortrag gehalten auf dem Pfarrkonvent in Marienberg/Jülich im November 1967, veröffentlicht im Gemeindeblatt DER WEG Nr. 46 und 47 | | Der Weg Jahrgang 1967 12. und 19. November DER WEG DER EVANGELISCHEN KIRCHE AM LA PLATA. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir darin die Existenzberechtigung einer christl. Gemeinde, einer christlichen Kirche, sehen, daß sie den Auftrag ihres Herrn ausführt, "Salz der Erde, Licht der Welt" zu sein. Und eigentlich sollte das ganze gemeindliche und kirchliche Leben -ich meine das innergemeindliche und innerkirchliche Leben-, dazu dienen, diesen Auftrag zu sehen, zu erkunden und zu helfen, diesen Auftrag auch auszuführen. Wie sieht die Welt aus, in der unsere "Evangelische Kirche am La Plata" existiert? Die lateinamerikanische Situation mit wenigen Sätzen zu beschreiben ist unmöglich, so entgegengesetzte Verhältnisse und komplizierte finden wir vor: arm und reich, gut situiertes Bürgertum und asoziale Verbrecherkliquen, Industriearbeiter und einfachste, primitivste Landarbeiter, Demokratien, die in Revolutionen und Revolutiönchen durch Militärdiktaturen abgelöst werden, Hunger und ein unverantwortliches Prassen, Herren und Knechte. Unsere Kirche nimmt am La Plata Anteil an solchen Verhältnissen. sie arbeitet in den Staaten Argentinien, Uruguay und Paraguay. In manchen Gebieten dieser 3 Staaten sind allerdings die Verhältnisse nicht so ganz extrem entgegengesetzt. Nun pocht auch noch die moderne Zeit an unserer Tür, d.h. der soziale Umbruch mit Industrialisierung und Rationalisierung und Proletarisierung. Dieser soziale Umbruch fördert in den Städten einmal das Aufkommen einer sogenannten Wohlstandskultur und zum andern die Verbreiterung der Elendsviertel, während die Landbevölkerung in ihrer Arbeit, und in ihrer Lebensgestaltung sich gegenüber den Städtern benachteiligt fühlt und das Leben in der Stadt als das Leben im Paradiese ansieht. Dazu wird in naher Zukunft die Landwirtschaft sich nur in einer rationell geordneten Wirtschaft mit dem immer bedrohlicher werdenden Existenzkampf halten können, wenn sie sich auch technisch und rationell umstellt, was wiederum sehr viele neue Probleme aufwirft. Normalerweise muß man sagen, daß in unserem ganzen Gebiet alles und alle sehr schlecht oder sogar überhaupt nicht auf diese Zukunft vorbereitet sind. Schon heute sind viele Landbewohner, die mit dem Einkommen und dem Leben auf dem Lande nicht zufrieden waren und in die Stadt gingen, in den Elendsgebieten, den sogenannten "villas miserias", besonders der Hauptstadt Buenos Aires, gelandet. Diese "villas miserias" sind ein Problem für alle Städte Argentiniens, selbst für die kleinsten. In dieser Situation lebt die christliche Kirche, die das "Licht der Welt, das Salz der Erde" sein soll. Unter diesen Verhältnissen kann ich als Hilfe nicht ein bißchen Frömmigkeit oder Gottvertrauen verstehen, sondern nur konkrete Lebenshilfe, konkrete Hilfe zur Lösung der sozialen Fragen, der Fragen, die die industrielle Revolution, die im Anmarsch ist, aufwirft, Die Kirche existiert natürlich nicht als EINE Kirche, sondern in der Vielfalt der Denominationen. Rund 95 % der Bevölkerung des La Plata - Gebietes sind nominelle Glieder der römisch-katholischen Kirche. Aber der Mensch in diesem Gebiet erwartet von dieser Kirche, obwohl er zu ihr gehört, keine entscheidende Lebenshilfe mehr, weil sie, wie sie es jetzt selbst offen zugibt, in den letzten Jahrhunderten, seitdem sie durch die spanische Eroberung hier Fuß faßte, versagt hat. Sie hatte sich mit den Eroberern gegen die Bevölkerung verbündet, für die Reichen gegen die Armen, Es soll allerdings nicht vergessen werden, daß der Jesuitenorden in den Anfangszeiten der Kolonialisierung sich bis an die Grenzen des Möglichen für die Urbevölkerung eingesetzt hat und oft von den katholischen Eroberern aus diesem Grunde vertrieben wurde. Den größten Raum unter den protestantischen Kirchen nehmen die Einwandererkirchen ein, die kaum eine Ausstrahlung auf die Umwelt ausübten, Sie lebten im Ghetto ihres nationalen, kulturellen, sprachlichen und religiösen Zirkels, nicht nur untereinander verfeindet, sondern sogar jeweils in sich selbst neigten sie zum Separatismus. Die Gemeinden dieser Kirchen hatten, wenn sie nicht von ihrem Heimatlande unterstützt wurden, alle Mühe, sich selbst finanziell zu erhalten und sahen die Notwendigkeit nicht ein, für außergemeindliche Aufgaben zu opfern. Allerdings dürfen wir dabei nicht vergessen, daß ihre Glieder als Kolonisten selbst sehr große Schwierigkeiten hatten, sich eine Existenz aufzubauen, die bei vielen bis heute noch nicht überwunden sind. Wenn wir die Frage beantworten müßten, ob denn in der Vergangenheit diese Kirchen den am Anfang genannten Auftrag des Herrn ausgeführt haben, könnte ich nicht wagen, mit einem Ja zu antworten. Das Höchste, das festgestellt werden könnte, wäre ein frommer Tanz um sich selbst. Obwohl diese Kirchen genauso wie die römisch-katholische Kirche in der Vergangenheit versagt haben, finden sie bei der Bevölkerung und in der Öffentlichkeit ein offenes Ohr, wenn sie einmal aus dem Ghetto ausbrechen. Das Verhältnis der römisch - katholischen Kirche zu diesen Kirchen ist wohl indifferent, aber nicht fanatisch feindlich gewesen. Eine im Ghetto lebende Kirche bildet für sie keine Gefahr. Das wird natürlich anders, wenn wir an die 3. Kirchengruppe denken, die sogenannten Missionskirchen, die sich speziell gerufen wissen, unter den nominell katholischen Christen zu arbeiten, sie zu Jesus zu führen -sprich: sie zu Gliedern ihrer Denomination zu machen-. Trotz ihres Missionseifers, der geprägt ist durch den Bekehrungsstil Nordamerikas, ist das Ergebnis dieser Arbeit aufs ganze gesehen gleich null. Zu ihnen könnte man die Methodisten, die Heilsarmee, die Jünger Jesu Christi, die Baptisten und die Pfingstler rechnen. Kennzeichnend ist die Entwicklung der Vereinigten Lutherischen Kirche von Argentinien. Sie hatte sich als eine Missionskirche verstanden. Nach einer jahrzehntelangen Arbeit ist aber nur das gemeindliches Leben festzustellen, wo sie sich von ihrer eigenen Zielsetzung entfernte und sich als Einwandererkirche, als Volkstumskirche verstand. Diese Missionskirchen vertreten im letzten Grunde neben den Sekten vor der Öffentlichkeit den Protestantismus und bekamen auch am meisten den Widerstand der katholischen Kirche und Öffentlichkeit zu spüren. Das Verhältnis der Missionskirchen zu den Einwandererkirchen war von einem gewissen Nasenrümpfen geprägt, gegenüber solchen, die den Auftrag des Herrn nicht ernst genug nahmen. Sie haben in der Tat den Einwandererkirchen etwas voraus: 1. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Umgebung und Umwelt. 2. Die soziale Verantwortung für die Umwelt. Der Erfolg blieb den Missionskirchen versagt und das führt augenblicklich zur Selbstprüfung und zur Überprüfung des zukünftigen Weges, Heute kann es schon passieren, daß sie neidisch auf die Einwandererkirchen schauen. Vielleicht müssen wir sagen, daß alle christlichen Kirchen am La Plata am Nullpunkt stehen, wenn es um den Auftrag "Salz der Erde" zu sein, geht. Wie sieht heute die konkrete Aufgabe der christlichen Kirchen und Gemeinden aus? l. Einsatz zur Überwindung der alten Gegensätze. 2. Die Parteinahme für die Armen und Rechtlosen. 3. Bereitschaft zur sozialen Hilfe. 4. Eine Vorbereitung vom Evangelium her auf die kommende industrielle Revolution und auf den kommenden Umbruch, Hilfe für die Planer und Verplanten zu sein. Es hängt von den christlichen Kirchen ab, ob auch am La Plata, ob auch in Lateinamerika die schweren Auseinandersetzungen zwischen Kapitalismus und Marxismus kommen oder bereits am Anfang überwunden werden. Normalerweise ist heute keine Kirche allein für sich zu diesen Aufgaben bereit und fähig, darum bedarf es größter gemeindlicher und kirchlicher Anstrengungen, sich auf diese Arbeit vorzubereiten, ja zunächst zu lernen, sie überhaupt als notwendig anzusehen. Meines Erachtens sind die christlichen Kirchen nur dann dazu in der Lage, wenn sie gemeinsam ihre Verantwortung nehmen, d.h. auch mit der römisch - katholischen Kirche, die nach dem Konzil dazu bereit zu sein scheint. Alle 3 Gruppen von Kirchen bringen Voraussetzungen und Erfahrungen, wenn auch negativer Art, mit, daß sie sich gegenseitig in der Ausführung des Auftrages und der Aufgabe entscheidend helfen könnten. Ich würde es auch durchaus für richtig halten, daß um des Auftrages willen Kontakte mit Sekten-Kreisen (wie z.B. die Adventisten) aufgenommen werden. Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, daß beim neuerlichen Versagen der christlichen Kirchen sie keine Zukunft am La Plata mehr haben, Die Situation würde noch schlimmer sein als die Situation in Europa und Nordamerika. Unsere "Evangelische Kirche am La Plata", die bis November 1965 noch Deutsche Evangelische La Plata - Synode hieß, ist eine deutsche Einwandererkirche. Sie entstand dadurch, daß sich deutsche und schweizerische Einwanderer lutherischen, reformierten und unierten Bekenntnisses zu "evangelischen" Gemeinden und diese später zur Deutschen Evangelischen La Plata - Synode zusammentaten. Selbstverständlich spielte das Deutsche in der Vergangenheit eine große Rolle, manchmal konnte durchaus der Eindruck entstehen, daß das Deutsche wichtiger war als das Evangelische. Der Zusammenschluß der Gemeinden zur Synode konnte man auch nur, wenn man es nüchtern sieht, als eine Gründung eines Zweckverbandes beurteilt werden. Allerdings darf gesagt werden, daß im Laufe der Jahrzehnte im ernsten Ringen und intensiver Auseinandersetzung mit dem Evangelium so etwas wie ein kirchliches Selbstbewußtsein entstanden ist. Unsere Evangelische Kirche am La Plata gehört also mit zu den Einwandererkirchen, von denen wir am Anfang sagten, daß sie an ihrer eigentlichen Aufgabe vorbei lebten, Durch das Ghetto des Nationalen, des Sprachlichen und Kulturellen nahm die Umwelt von uns nur als von einem Fremdkörper Notiz. Das Missionarische fehlte, lag überhaupt nicht im Gesichtsfeld. Man beschränkte sich zunächst nur auf die Deutsch-Sprechenden, später auch auf Spanisch-Sprechende deutscher Herkunft, Es gibt keine Krankenhäuser, keine Gemeindeschwestern, keine Altersheime, keine Schulen, keine soziale Arbeit. Der Blick zum notleidenden Bruder war nicht vorhanden. Das bestehende Waisenhaus von Baradero mit 50 Jungen kann nur von der großen Gemeinde Buenos Aires getragen werden, die anderen Gemeinden der Kirche zusammen sind dazu nicht in der Lage. Eine soziale Verantwortung der Christen innerhalb der Gemeinden wird bis heute noch nicht verstanden, erst recht nicht eine soziale Verantwortung für die Umwelt ohne Rücksicht auf Hautfarbe, Nationalität oder Religion. Überall stößt man sogar auf vollkommenes Unverständnis. Vor dem Elend und der Not und der Grausamkeit der "villas miserias" schließt man einfach die Augen. Es wird ungeheurer Anstrengungen aller christlichen Gemeinden und Kirchen bedürfen, wenn etwas geschehen soll, von heute auf morgen scheint mir das unmöglich zu sein. Die angeführten Aufgaben werden also nur gesamtchristlich zu bewältigen sein, nur im Miteinander aller Christen und aller Denominationen könnte den Menschen von heute und von morgen entscheidende Lebenshilfe angeboten werden, konfessionelle Schranken dürften neu nicht wieder aufgerichtet werden. Aus verschiedenen Gründen könnte unsere Evangelische Kirche am La Plata eine Brücke bilden in diesem Miteinander: 1. Unser gutes Verhältnis zur römisch - katholischen Kirche, 2. Unsere bisherige konfessionelle Offenheit. 3. Die Bereitschaft, aus dem Ghetto einer Einwandererkirche auszubrechen. 4. Der gute Ruf in der argentinischen Öffentlichkeit. Eine große Sorge habe ich allerdings. In Lateinamerika sind starke Kräfte am Werk, nicht vordringlich die eben angeführten Aufgaben zu meistern, sondern das Luthertum der verschiedensten Prägungen zu sammeln und ihm im christlichen Raum lateinamerikas eine gewichtige Stimme zu erkämpfen. Unsere Kirche ist leider in diesen Sog hineingeraten, wie Jahre vorher die verschiedenen Kirchen deutscher Herkunft in Brasilien. Einer Gruppe ist es auf der letzten Synodalversammlung 1965 in Rosario gelungen, in einer Überrumplungsaktion unsere Kirche auf den lutherischen Weg zu bringen, indem in einem neu formulierten Glaubensfundament der Satz: "Sie hat ihren besonderen Charakter in der Gemeinschaft des kirchlichen Lebens mit den angeschlossenen reformierten Gemeinden, in denen der Heidelberger Katechismus Gültigkeit hat." eliminiert wurde und jetzt nur noch die Augsburgische Konfession und der Kleine Katechismus Luthers zählt, ohne daß die Gemeinden die Möglichkeit hatten, darüber zu beraten und obwohl die reformierten Gemeinden mit dem Heidelberger Katechismus bestehen und Glieder unserer Kirche sind. Des Ziel dieser Aktion lag darin: l. Nun endlich im Luthertum ernstgenommen zu werden, an seiner Sammlung mitzuarbeiten und in ihm eine wichtige Rolle übernehmen zu können. 2. Die Wege zu einer Fusion mit der Vereinigten Lutherischen Kirche von Argentinien zu ebnen. Der Heidelberger Katechismus stand solch einem Bemühen im Wege. Die Vereinigte Luth. Kirche steht augenblicklich einmal in der Krise ihrer ganzen Zielsetzung und zum andern in der finanziellen Not, da die Beihilfen aus Nordamerika drastisch gekürzt werden und ohne Hilfe kann sie nicht leben. Der Vietnamkrieg und die Rassenkämpfe haben die Opferwilligkeit in Nordamerika stark gemindert. 3, Die Möglichkeit zu schaffen, daß vielleicht die Luth. Fakultät José C. Paz/Buenos Aires von Deutschland her hauptsächlich unterstützt wird, wenn unsere Kirche als luth. Kirche sie in ihre Treuhänderschaft nimmt. In diesem Rechnungsjahr wurde von Nordamerika der Rechnungsvoranschlag dieser Fakultät ebenfalls bis auf ein Drittel gekürzt. Professor Trillhaas sagte auf der luth. Konf. in Lima, daß diese Gründung neben der schon bereits bestehenden Evangelischen Fakultät in Buenos Aires eine traurige Fehlgeburt des Luthertums gewesen sei.- Nach meinem Dafürhalten ist auch das Überschwenken unserer Evangelischen Kirche am La Plata eine doppelte konfessionelle Lüge. Vor den Lutheranern sind wir Lutheraner, obwohl wir reformierte Gemeinden und Gruppen mit den Heidelberger Katechismus haben und vor den Unierten sind wir Unierte (obwohl unser Glaubensfundament lutherisch ist), weil wir auf diese tatsächlich bestehenden reformierten Gemeinden hinweisen können. Das Wichtigste aber ist, daß wir durch das Engagement für das konfessionelle Luthertum die Ausführung unseres Auftrages "Salz der Erde, Licht der Welt" am La Plata zu sein, aus den Augen verlieren müssen, weil wir dann mit anderen Fragen beschäftigt sind. Unsere Kräfte sind nur gering. Es ist zu hoffen und zu wünschen, daß wir den Blick für die eigentliche Aufgabe nicht verlieren und daß über die Eleminierung des Heidelberger Katechismus im Glaubensfundament noch nicht des letzte Wort gesprochen ist. Karl Schwittay Vortrag, gehalten auf dem Pfarrkonvent in Marienberg/Jülich-Deutschland im November 1967. veröffentlicht im Gemeindeblatt DER WEG-Nr. 46 und 47/1967.
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