PSYCHOTHERAPIE und SEELSORGE | Referat Nº 044 | Lugar/Ort:Asunción/ Paraguay | Fecha/Datum:1960 | | Resumen/Skopus: Gesamtpfarrkonferenz 1960-8-7- | | Psychotherapie und Seelsorge. Referat von Karl Schwittay anläßlich der Pfarrkonferenz in Asunción 1960. Bei der naturwissenschaftlichen Schau des Menschen wird heute von der Zweiteilung des Menschen ausgegangen. Der Mensch besteht aus Seele und Körper. Beides muß je in besonderer Weise betrachtet werden, darf aber nicht getrennt werden. Beides ist in einer unlösbaren Weise verbunden und geht ineinander über, so wie das Innere nicht einfach eine Größe für sich ist, sondern immer das Innere eines Äußeren und das Äußere immer das Äußere eines Inneren ist. Seele und Körper stehen in einem gegenseitigen Kommunikationsverhältnis. Diese Schau ist nicht immer so gewesen. Es hat eine Zeit gegeben, da wurde ausschließlich der Körper als eine durch wissenschaftliche Forschung sich erschließende Größe angesehen. Dazu gehörte die genaue Erforschung alles dessen, was mit dem Körper zusammenhängt. Mit der immer besseren Kenntnis des Körpers selbst schritt die medizinische Wissenschaft immer weiter voran, die sich gegen die Gefahren, die diesen Körper bedrohen, stemmt und die Möglichkeiten einer Heilung dieses bereits durch Schäden gekennzeichneten Körpers aufzeigt. Man war bei diesem allem so eifrig bei der Arbeit, daß man keine Zeit hatte, sich mit der Seele zu beschäftigen, sie schließlich leugnete und alles als eine Funktion des Körpers betrachtete. Allerdings war dieses Letzte nur eine extreme Auswirkung der Betrachtung des Menschen ausschließlich unter dem Aspekt des Körpers. Sonst bezeichnete man allgemeiner Weise alles das vom Menschen, was sich der exakten wissenschaftlichen Forschung entzog, als Seele. Diese Seele wurde als der Bereich des Religiösen angesehen und auch der Religion überlassen. Von daher hat auch ursprünglich das Wort "Seelsorge" seine Bedeutung bekommen. Körper und Seele standen dabei nicht auf der gleichen Wertstufe, sondern die Seele wurde höher bewertet als der Körper. Das wurde als das höchste Glück bezeichnet, wenn sich die Seele aus der Gefangenschaft des Körpers befreien konnte. Die Seele war das, was den Wert eines Menschen ausmachte. Nun stehen wir bereits mitten in einer Entwicklung, die auch die Seele der naturwissenschaftlichen exakten Forschung öffnete, der Psychologie. In der Tiefenpsychologie sind uns früher unmöglich erscheinende wissenschaftliche Kenntnisse dieser Seele gegeben worden. Dieses ist mit den Namen Freud, Jung und Adler verbunden. Man spricht von der Freudschen Psychoanalyse, von Jungs analytischer Psychologie und von Adlers Individual-Psychologie. Es ist meines Erachtens nun nicht meine Aufgabe, diese Tiefenpsychologie hier zu entfalten. Das muß jeder für sich selbst in gründlicher Weise tun. Es ist jedenfalls eine Tatsache, daß heute auch die exakte Wissenschaft die Seele in ihren Griff bekommen hat und uns Kenntnisse von dieser Seele gibt, von denen wir früher keine Ahnung hatten. Sie zeigt uns Gesetzmäßigkeiten der Funktionen der Seele auf, die vieles heute in ein anderes Licht stellen. In der Seele eines jeden Menschen gibt es bewußte psychische Vorgänge und unbewußte. Die unbewußten Vorgänge haben einen entscheidenden Einfluß auf die bewußten psychischen Vorgänge. Störungen in diesen Vorgängen können zu seelischen Störungen, zu seelischen Krankheiten, zur Neurose, zur Psychose , bis hin zur Geisteskrankheit führen. Je intensiver unser menschliches Verhalten von bewußten Vorgängen bestimmt ist, desto normaler ist unser menschliches Verhalten. Neurotisch ist unser Verhalten, wenn wir hauptsächlich bestimmt werden von unbewußten seelischen Vorgängen. Vieles nun, was wir früher ausschließlich als zu dem religiösen Bereich zugehörig betrachtet haben und mit Dämonie oder Teufelsbesessenheit bezeichneten und als Folgen einer bewußten Schuld ansahen, muß heute in Zuge einer Erforschung der Seele als eine seelische Funktionsstörung gesehen werden, die mit Schuld vielleicht nichts zu tun hat. Ich habe es einmal von einem Betheler Psychiater auf einer Tagung von Ärzten und Theologen in Düsseldorf gehört, daß er sagte: Es kann durchaus sein, daß einem Menschen, der oft zu einem Pfarrer läuft und ihn dringend bittet, ihm zu helfen, damit er wieder glauben kann, -die Zweifel werden manchmal so groß, daß er sich das Leben nehmen möchte.- nicht geholfen werden kann durch Gebet, sondern durch mehrmaligen Elektroschock. Dieses Nichtglaubenkönnen lag einfach an einer seelischen Funktionsstörung, an einer aufkommenden Geisteskrankheit und hat mit Schuld nichts zu tun. Ich war damals nicht wenig über diese Äußerung eines bewußt evangelischen Arztes entsetzt: Elektroschock statt Gebet, statt Evangelium. Hier lag bereits ein schwerer Fall vor. Auf dem Gebiete der Neurose und der Psychose, also der seelischen Störungen, die zu Fehlhandlungen des Menschen führen, ist es die Psychotherapie, die Wege aufzeigt auf Grund der Kenntnisse der Psychologie bzw. Psychoanalyse zur Gesundung der Seele. Im Zuge dieser neuen Psychologie entdeckte man auch die enge Verbindung von Körper und Seele. Seelische Störungen finden ihren Ausdruck in körperlichen Krankheiten, die nur dann geheilt werden können, wenn die seelischen Störungen behoben werden und umgekehrt können auch körperliche Krankheiten ihren seelischen Ausdruck in Störungen, in Komplexen finden. Auf diesem Gebiete der seelischen und körperlichen Entsprechung ist es direkt zu einer neuen medizinischen Wissenschaft gekommen, der psychosomatischen Medizin. Von daher finden wir ganz neue Ansätze zu einer neuen Anthropologie, die die Ganzheit des Menschen in den Vordergrund rückt. In dem theologischen Nachdenken dieser ganzen neuen Entwicklung, besonders der Anthropologie, ist man zu der erstaunlichen Feststellung gelangt, daß die ganze biblische Anthropologie ja diese Ganzheit des Menschen betont. Der Mensch ist nicht einfach nur Seele und ist auch nicht nur einfach Körper, auch nicht nur einfach die Summe von Körper und Seele, sondern er ist das göttlich gewollte Geheimnis der Person, das in der Kommunikation von Seele und Körper liegt. Diese ganzheitliche Person, ohne Abstriche, ist der Partner, den sich Gott zu seinem Gegenüber gewählt hat. Ihr, dieser ganzheitlichen Person, gilt sein Wort, sein Evangelium. Nach Thurneysen ist Seelsorge "die Ausrichtung des Wortes Gottes in der Kirche an den Einzelnen" und in gleicher Weise ist nach Asmussen die Seelsorge "die Verkündigung des Wortes Gottes an den Einzelnen; sie hat es immer mit der Begnadigung des Sünders zu tun." In diesem Verständnis hat Seelsorge im eigentlichen Sinne nichts mehr mit der Seele zu tun, wie sie in früheren Zeiten gesehen wurde, als dem Bereich für das Religiöse. In dieser Hinsicht ist meines Erachtens das Wort "Seelsorge" ein Wort, das nicht mehr die Sache trifft, um die es geht. Es geht in der Seelsorge gar nicht mehr um die Seele des Menschen, die als göttlicher Anknüpfungspunkt gesehen wurde, sondern es geht um den ganzen Menschen, um seine personale Existenz. Gott ruft ihn in seine Gnade und in sein Gericht. Er schenkt ihm sein Wort dieser Gnade und dieses Gerichtes. Und mit dem Begriff Seelsorge -wenn auch falschem Begriff- ist dann die Ausrichtung des Wortes speziell an den einen bestimmten Menschen in seiner personalen Existenz gemeint, im Unterschied zur Ausrichtung des Wortes Gottes in der Predigt usw. an die Vielen. Wir sehen, daß so Seelsorge und Psychotherapie eine grundverschiedene Sache ist. Hier ist Gottes Wort auf dem Wege zu einem ganz bestimmten Menschen, das ihn in seiner ganzen Existenz treffen will und dort der Versuch der Rettung von psychischen kreatürlichen Störungen und Erkrankungen. Beides hat in seinem eigentlichen akzentuierten Anliegen nichts miteinander zu tun. Dieses Anliegen darf nicht verwischt, sondern muß unter allen Umständen fein säuberlich auseinandergehalten werden. Der Seelsorger ist kein Psychotherapeut und der Therapeut ist kein Seelsorger. Und doch ist es enorm wichtig, daß beide voneinander ein fundiertes Wissen haben und bereit sind, eben weil die jeweils verschiedene Aufgaben haben, Hand in Hand zu arbeiten. Immer wieder geschieht es, daß der Psychotherapeut in seinen Sitzungen bei seinen Patienten auf seelische Störungen stößt, deren eigentliche Ursache eine begangene Schuld ist. Einem ungläubigen Psychotherapeut genügt es, wenn er seinen Patienten diese Vorgänge sichtbar gemacht hat und sich damit die Komplexe lösen und die seelischen Störungen verschwinden. Wir aber in der Seelsorge wissen, daß es hier keine personelle existenzielle endgültige Lösung geben wird ohne das Wort Gottes von der Vergebung. Mancher von solchen Patienten findet sich oft nach 2 - 3 Jahren wieder beim Psychotherapeuten ein mit einem anderen Komplex, aber der selben Ursache, der unvergebenen Schuld. Ein Psychotherapeut, der um seine Grenzen weiß und um die Aufgabe der Seelsorge, wird solch einen Patienten an einen erfahrenen Seelsorger überweisen, oder, wenn er selbst Christ ist, dieses Wort von der Vergebung ausrichten. In der Psychotherapie und unter den Psychotherapeuten wird immer mehr das Anliegen der Seelsorge gesehen und die ungeheure Bedeutung für manchen ihrer Patienten. Aber auch die Seelsorger müßten um ihr eigentliches Anliegen in der Seelsorge und ihre Grenzen wissen und um die Möglichkeiten, die einem Psychotherapeuten gegeben sind. Stößt der Seelsorger nicht immer wieder in seiner seelsorgerlichen Praxis auf Ratsuchende, die mit Glaubens- und Zwiefelsnöten zu ihm kommen, ja, die voller Schuldgefühle sind, und sie finden doch keinen Trost und hören nicht und vermögen nicht das Wort der Vergebung zu hören. Wie gut, wenn er das bald erkennt und einen Psychotherapeuten zu Rate zieht, der die verschlungenen Pfade des Unbewußten der Seele offen legt und damit vielleicht alle Schuldgefühle, Zweifels- und Glaubensnöte zum verschwinden bringt, ohne das Wort von der Vergebung, weil diese Nöte ihre Ursache in erlittenen Kindheitserlebnissen ohne eine Schuld hatten. Oder der Psychotherapeut deckt auf, daß die Zweifel, mit denen jemand zum Seelsorger kommt, gar nicht von der Schuld herrühren, die er gebeichtet hat, sondern von einer unterdrückten Schuld, die schon jahrzehntelang zurückliegt. Und der Seelsorger bekommt nun erst die Möglichkeit, seinem Gemeindemitglied in Vollmacht das Wort der Vergebung zuzusprechen. Ja, in gewissen Fällen muß sogar ein Psychiater herangeholt werden, weil die Störung im Glaubensleben ein Zeichen einer beginnenden Geisteskrankheit ist. Das Idealste wäre, wenn Seelsorger und Psychotherapeut eine Person wäre. Weil das aber nur ausnahmsweise zutrifft, wird es wichtig sein, daß Seelsorger und Psychotherapeuten gegenseitig ihre Arbeiten und Anliegen respektieren, wozu natürlich gehört, daß sie die elementarsten Grundlagen des andern kennen und Hand in Hand arbeiten. Ich will nicht verhehlen, daß bei manchen Psychotherapeuten Schwierigkeiten bestehen, weil gerade von Freud her die Psychotherapie kein sehr offenes Ohr hat für das, was Schuld und was Vergebung heißt. Allerdings ist der Widerstand von vielen Seelsorgern, die ihren Dienst als "Seel"-sorger im alten Sinne verstehen, gegen die Psychotherapie nicht geringer, obwohl an der einmal vorhandenen wissenschaftlichen Tatsache nicht mehr zu rütteln ist. Aus einem anderen Grund noch erscheint mir die Kenntnis der elementarsten Grundbegriffe der Psychologie, Psychoanalyse und Psychiatrie für einen Seelsorger ungemein wichtig. In seinem Auftrag der Seelsorge hat er das Wort dem Einzelnen auszurichten. Wie kann er aber das Wort an den Einzelnen ausrichten, wenn er nicht fähig ist, den Einzelnen in seiner seelisch und körperlich bedingten Situation zu erkennen. Gerade in der Seelsorge geht es um die Verkündigung des Wortes an den einen bestimmten Menschen, der in aller seiner körperlichen Not, seinen seelischen Verklemmungen, seiner Ratlosigkeit und seiner Schuld Gottes froh- und freimachendes Wort hören darf. Das kann nicht im Ablaufen einer Grammophonplatte geschehen, sondern im Eingehen auf seine Umwelt, seine körperliche Verfassung -was uns selbstverständlich erscheint-, sondern auch auf seinen seelischen Zustand. Gottes freimachendes Wort ist es wert, daß wir als Seelsorger alles tun, was menschlich möglich ist, damit es einen Menschen wieder zum fröhlichen Kind Gottes macht. Literatur dazu: Hans Joachim Thilo "Der ungespaltene Mensch" 1957; Paul Tournier "Unsere Maske und wir" 1955; John Sutherland Bonnel "Psychologie für Pfarrer und Gemeinde" 1959; Lawrence S. Kubie "Psychoanalyse ohne Geheimnis" 1956; Werner Kemper "Der Traum und seine Bedeutung" 1955; C. G. Jung "Bewußtes und Unbewußtes"; Sigm. Freud "Totem und Tabu" und "Der Witz u. seine Beziehung z. Unbew."; Hans Asmussen "Die Seelsorge" 3. Aufl. 1935; Thurneysen "Die Lehre von der Seelsorge" 1948 u. "Psychother. u. Seelsorge" Vortrag 1950; Zellweger "Beichte u. Vergebung"1959; Wolfg. Böhme "Beichtlehre f. evgl. Christen" 1956; Max Thurian "Evangelische Beichte"1958.
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