DIE LAGE IN DEUTSCHLAND | Referat Nº 026 | Lugar/Ort:Rosario-Gesamtpfarrkonf.. | Fecha/Datum:1955 | | Resumen/Skopus: Die Lage in der evangelischen Kirche Deutschlands. 9-7-1955 | | Die Lage in der Evgl. Kirche in Deutschland Es erwartet von uns Neuen ja wohl niemand, daß wir einen umfassenden Bericht über die Lage in Deutschland geben oder sogar im entferntesten überhaupt geben können. Was wir tun können, ist vielleicht dieses, daß wir das berichten, was gerade in der letzten Zeit in Deutschland bei unserem Dienst an Aufgaben, Fragen und Nöten auf uns einstürmten. Bevor wir nach Argentinien ausreisten, war ich 3 Jahre in Gelsenkirchen-Buer-Hassel als Vikar und gehörte damit zur Synode Gelsenkirchen und zur Westfälischen Landeskirche. Hier in Hassel war folgende Situation: Die Gemeinde am Nordrande des Ruhrgebietes, zählte 10-11.000 Gemeindeglieder. Sie war jahrelang nur von einem betreut worden, dem dann und wann ein Vikar zur kleinen Entlastung beigegeben worden war. Was das heißt, eine Großstadtgemeinde, die zum größten Teil aus Bergarbeitern bestand, mit ca. 11.000 Gliedern zu betreuen, wird wohl nur der verstehen, der selbst Pfarrer gewesen ist in einer Großstadt, wie die Brüder aus Buenos Aires. Der Großstadtpfarrer wird größtenteils von der sogenannten evangelischen Bevölkerung als Kultpriester verstanden und auch hingenommen. Nur ein Bruchteil findet den Weg zu den Gottesdiensten und sonstigen Veranstaltungen. Von einem besonderen Hunger nach dem Worte Gottes ist kaum etwas zu spüren. Aber bei Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen, sind die Leute da, dazu werden ja auch die Kirchensteuern bezahlt. Als ich dort in dieser Großstadtgemeinde anfing, eine evangelische Jugendgruppe zu sammeln, mußte ich lange suchen, bis ich den ersten Jungen fand, der mitmachen wollte. Nach 3-jähriger Arbeit war es dahin gekommen, daß ich mit Mühe und Not vielleicht 25 Jungen gesammelt hatte. Aber diese beiden Kreise als evangelische Jugend ansprecchen zu wollen, wäre vollständig verkehrt.Es geschieht auf allen Gebieten mühselige Pionierarbeit. Bei 11.ooo Mitgliedern eine Gottesdienstteilnahme von 300 und bei Bibelstunden 5-15 Mitglieder. Dort in Hassel war es besonders zu spüren, daß sich das Ruhrgebiet immer mehr nach Norden über die Lippe ausdehnt, eine Zeche nach der anderen, Kokereien und Fabriken entstanden. Hassel hatte noch vor 8 Jahren nur 4.ooo evangelische Gemeindeglieder, jetzt entsteht eine neue Siedlung nach der anderen. Das ist überhaupt das Kennzeichen im Ruhrgebiet, daß gebaut wird wie selten noch. Dieser Zustrom der Bevölkerung kann nur noch verglichen werden mit dem Zustrom um die Jahrhundertwende, wo die vielen Menschen aus dem Osten kamen, um die Industrie mit Arbeitskäften zu versorgen. Heute sind es zum größten Teil Flüchtlinge, die aus allen Gegenden Deutschlands herkommen. Ich habe in den Bergmannslagern, in denen zuerst die Leute untergebracht werden, Menschen wirklich aus ganz Deutschland angetroffen. Mit amerikanischen Geldern werden diese Siedlungen für die Bergarbeiter aufgebaut. Diese Siedlungen sind daher an die Zechen und Werke gebunden. Für die, die auf diesen Betrieben nicht arbeiten, besteht noch für lange Zeit keine Aussicht, eine Wohnung zu bekommen, trotzdem die vorhandenen Wohnungen die Zahl der vor den Bombenangriffen bestehenden Wohnungen in sehr hohem Maße übersteigt. Die Evangelische Kirche ist kaum in der Lage, bei der seelsorgerlichen Betreuung mit dieser Entwicklung mitzukommen. überall fehlen KIrchen, Gemeindehäuser und auch Pfarrer. Woher soll das Geld in diesen weiten Gemeinden für einen Kirchbau genommen werden, woher die vielen nötigen Pfarrer. Die Gemeinde Hassel wird nach den Planungen in 5 Jahren weitere 8.000, also insgesamt 19.000 Menschen zählen, das heißt innerhalb von 13 Jahren wird sich die evangelische Bevölkerung fast verfünffacht haben. Im Zuge dieser Entwicklung sind von der westfälischen Kirche in den letzten Jahren für diese Gebiete fast 100 neue Pfarrstellen eingerichtet worden, aber man hat keine Pfarrer, um diese Stellen zu besetzen. Der Pfarrernachwuchs reicht kaum aus, um die alten Pfarrstellen voll zu füllen. Die Evangelische Kirche von Westfalen hat wohl zur Errichtung von Gemeindezentren in diesen Siedlungsgebieten schon viele Gelder ausgegeben, aber alles reicht nicht aus, um das zu tun, was nötig wäre. Es ist die Zeit der Gesamtverbände gekommen. Die Amtsbrüder gerade in den Industriestädten stehen fast vor dem seelischen und körperlichen Zusammenbruch. Die Arbeit frißt sie auf. Von Januar bis März dieses Jahres vertrat ich in Höntrop einen Pfarrer, der eine Gemeinde v.5000 Gliedern betreute. 5000 ist so die Stichzahl für einen Pfarrer, obwohl angestrebt wird, daß sie herabgesetzt wird auf 3.000. Diese Gemeinde war durch die weit ausgestreckten Siedlungen sehr ausgedehnt. Ihr Gebiet reichte von Wattenscheid bis Geldenkirchen und bis Bochum. Dieser Amtsbruder hatte einen völligen Nervenzusammenbruch und mußte unbedingt in ein Sanatorium. Er hatte den Eindruck, daß er seinen Dienst durch die Überfülle der Arbeit nicht mehr ausführen könnte, wie es sein Ordinationsgelübde von ihm erforderte. Nur Kultpriester zu sein, war ihm zu wenig. Diese Not hat ihn so zerfressen. daß er darüber psychisch und komplexhaft zusammenbrach und sich in psychisch-therapeutische Behandlung begeben mußte. Jede Gemeinde in der Gelsenkirchener Synode ist eine Mammutgemeinde. In den Pfarrkonferenzen kam immer wieder die erschütternde Not zu Tage, da allen Amtsbrüdern die Arbeit über den Kopf zusammenwächst. Viele Amtsbrüder haben schon jahrelang keine Zeit mehr für die Familie. Der Tagesablauf geht genau nach dem Terminkalender und man rast von einer Versammlung und von einer Stunde in die andere, zur rechten Predigtvorbereitung fehlt meistens die Zeit. Die größte Not der Amtsbrüder im Ruhrgebiet ist die Managerkrankheit. Auf einer Tagung für Zusammenarbeit von Medizin und Theologie, an der ich selbst teilnahm, stellte ein bedeutender Psychotherapeut fest, daß für ihn das Erschreckendste sei, daß in letzter Zeit eine große Anzahl von Pfarrern, die doch Seelenärzte sein sollen, sich in psychotherapeutische Behandlung begeben mußten. Ich sagte eingangs, daß der Pfarrer größtenteils als Kultpriester verstanden wird, bei Taufe, Konfirmation, Heirat und Beerdigung, dafür wird er ja bezahlt. Das macht von vornherein diese Amtshandlungen verdächtig, aber dennoch bleibt das oft die einzige Möglichkeit, mit den völlig unchristlichen Menschen und Kirchensteuerzahlern in ein Gespräch zu kommen und ihnen etwas vom Worte Gottes zu sagen. Darum nehmen in der neuen Kirchenordnung von Westfalen, das ist aber in den anderen Landeskirchen nicht anders, die Ordnung dieser Amtshandlungen einen großen Raum ein. Es sind sehr strenge Ordnungen herausgekommen, die oft einschneidend sind. Vor jeder Taufe muß ein ausführliches Gespräch mit den Eltern bzw. sogar mit den Paten über die Bedeutung der Taufe gehalten werden. Wer das ablehnt, dessen Kind wird nicht getauft. Die Paten müssen eine Patenwürdigkeitsbescheinigung ihres Ortspfarrers beibringen. Wer das nicht tut, wird als Pate nicht zugelassen. Ebenfalls wird die kirchliche Trauung verweigert, wenn ein ausführliches Traugespräch von den Brautleuten abgelehnt wird. Ist eine Ehepaar nicht konfirmiert, was heute in Deutschland sehr oft vorkommt, so kann diese Ehe erst getraut werden, wenn ein längere Zeit dauernder Nachkonfirmandenunterricht für Erwachsene mit anschließender Konfirmation besucht worden ist. An diesen Nachkonfirmationsgesprächen nehmen oft Männer und Frauen bis zu 45 Jahren teil. Auf diese Weise soll versucht werden, den Menschen mit dem Worte Gottes wenigstens da zu erreichen, wo sie noch irgendeine Berührung mit der Kirche haben. Ich glaube schon, daß diese Art, trotz anfänglichen Murrens der Pfarrer und der Gemeinde, sich doch nach und nach zum Segen auswirkt. Fast alle Synoden der Landeskirchen haben sich in den letzten Jahren mit der Neuorientierung der Kirchenordnung beschäftigt. Jede Landeskirche ist ja im Gegensatz zu früher (Altpreußische Union) eine selbständige Kirche mit völliger Selbstverwaltung. Oft wurde da um jeden Paragraphen gefeilscht und gekämpft, zum Beispiel sollte der Präsestitel durch den Bischofstitel ersetzt werden. Nun war es in Westfalen ein direktes Aufatmen als es im vergangenen Jahre hieß, die Kirchenordnung ist fertig, jetzt wenden wir uns dem EIGENTLICHEN der Evangelischen Kirche zu, der Verkündigung des Wortes Gottes HEUTE. Auf allen Kreissynoden wurde daran mitgearbeitet. Die Kirchenleitung hat dazu ein besonderes Proponendum ausgearbeitet. Der Präses hat dazu eine ganze Reihe von Fragen zur Beantwortung den Superintendenten zugeschickt, um sich einmal um den Zustand der Verkündigung zu orientieren. Auf den Synoden der Westfälischen Landeskirche kam von Anfang an die Not der Evgl. Kirche in Deutschland schon bei den Beratungen um die Grundartikel der westfälischen Landeskirche. Es ist ja kein Geheimnis mehr,daß in der deutschen evangelischen Kirche ein restauriertes Luthertum den Führungsanspruch erhebt. Alle Schlüsselpositionen versuchen sie in ihre Gewalt zu bekommen. So geschieht ja schon seit vielen Jahren das Treiben der VELKD, das Kirchliche Außenamt in ihre Gewalt zu bekommen. Es hat vor wenigen Jahren ein führender Mann der lutherischen Kirche gesagt: "Die Deutsche Evangelische Kirche muß eine Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche werden, in der die Reformierte Kirche wohl eine Daseinsberechtigung hat." So versucht die lutherische Kirche auch in Westfalen die lutherisch gesinnten Pastoren in sogenannte Lutherische Konvente zu sammeln, die die Aufgabe haben, bei den Verhandlungen um die Kirchenordnung von Westfalen dahin zu wirken, die unierte Einheit der Evgl. Kirche von Westfalen zu sprengen. In harter Auseinandersetzung mußte überhaupt geklärt werden, ob die westfälische Kirche, die sich zusammensetzt aus evangelisch-lutherisch, evangelisch reformiert und evangelisch-unierten Gemeinden, überhaupt eine Kirche sei. Unter der Direktive de VELKD sucht der Luth. Konvent die Verneinung dieser Frage durchzusetzen, um damit von vornherein den unierten Charakter der westfälischen Kirche zu sprengen und aus ihr eine lutherische Kirche zu machen mit einem reformierten Anhängsel. Das, was jetzt in der Gesamtkirche Deutschlands versucht wird, die Einheit zu sprengen, das wurde schon vorher von innen her versucht in den einzelnen unierten Landeskirchen. Man ging sogar in Westfalen so weit, daß ein Antrag eingereicht wurde, für die Lutheraner in Westfalen einen Bischof zu wählen und für die Reformierten einen Präses. Überhaupt ist es die Taktik der lutherischen Kirche immer nur mit lutherisch und reformiert zu argumentieren, die Tatsache des Unionscharakters ist ihnen ein Ärgernis und wird oft einfach ignoriert. Allerdings konnten nach schweren Auseinandersetzungen der lutherischen Konvente, diese nichts anderes tun, als den unierten Charakter der westfälischen Kirche anzuerkennen und sie auch als EINE Kirche anzusehen, obwohl heute wieder auch in Westfalen verschiedene Lesarten vorhanden sind darüber, was KIRCHE sei. Im Grundartikel der Kirchenordnung vom 1. Dez. 1953 heißt es jetzt: "Auf dem Boden des Evangeliums von Jesus Christus sind in der Evangelischen Kirche von Westfalen evangelisch-lutherische, evangelisch-reformierte und evangelisch-unierte Gemeinden in Verantwortung vor ihrem Bekenntnisstand in EINER Kirche verbunden, die gerufen ist, Jesus Christus einmütig zu bezeugemn und seiner Sendung in die Welt gehorsam zu sein. ............. In allen Gemeinden wird die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche von Barmen als eine schriftgemäße, für den Dienst der Kirche verbindliche Bezeugung des Evangeliums bejaht." Damit ist in aller Klarheit der unierte Charakter der westfälischen Kirche festgehalten, sogar mit der ausdrücklichen Anerkennung der Barmer Theologischen Erklärung als für alle Gemeinden und für alle verbindliche Bezeugung des Evangeliums. Ich möchte dann noch darauf hinweisen, daß vor einiger Zeit man allen Ernstes vor der Frage stand, die Verbindung der Kirchen aus der ehemaligen altpreußischen Union aufzuheben, da ja jetzt jede Landeskirche selbständig sei. Aber dann war man einmütig der Auffassung, daß die verschiedenen Unionskirchen des Westens und des Osten doch zusammengehen sollten: 1. Um den Bruderkirchen im Osten dadurch zu helfen. Man hat auf die politische Lage Rücksicht genommen und sie nicht mehr die Kirche der Altpreußischen Union genannt, sondern sie heißt jetzt Kirche der Union. 2. Es hat sich herausgestellt, daß durch die lange Verbindung in der Altpreußischen Union doch so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl herausgestellt hat in den verschiednesten Fragen der Gottesdienstordnung, der Sakramente usw.. Man weiß, wir gehören zusammen. 3. Wollte man bewußt zusammenstehen, um nicht in den Sog der lutherischen Kirche hineinzugeraten, die versucht, die EINE DEUTSCHE EVANGELISCH-LUTHERISCHE KIRCHE aufzubauen. Gerade in dem Kampf der Bekennenden Kirche, in dem letzten Endes, so wage ich es zu sagen, die lutherische Kirche auf der ganzen Linie versagt hatte, haben die Kirchen und Männer der Kirche der Altpreußischen Union die Hauptlast des Kampfes getragen und sie sehen durch die Restauration der lutherischen Kirche, die nichts aus aus dem Kirchenkampf hat lernen wollen, das Geschenk Gottes in dieser Zeit verraten und verkauft. Die Kirche der Union mit ihren 6 Landeskirchen ist das größte Hindernis für die lutherische Kirche, ihren Machtkampf durchzusetzen. Zu den Kirchen der Union kommen noch einige unabhängige Unionskirchen. Männer der Union, die heute einen bedeutenden Namen haben, sind: Kirchenpräsident Niemöller, Hessen; Präses Wilm. Westfalen; Präses Held, Rheinland; Propst Grüber aus dem Osten; Prof. Heinrich Vogel, Berlin; Prof. Beckmann, Düsseldorf; Prof. Iwand, jetzt Bonn; Prof. Gollwitzer in Bonn; der von den Lutheranern auf der letzten Generalsynode auf ein unfäre Weise gestürzte ehemalige Präses der Evgl. Synode von Deutschland, Dr. Heinemann, u.a. Wenn ich auf die theologische Situation sehe, so ist das Feld der theologisch-exegetischen Arbeit bestimmt durch das PRO und CONTRA gegenüber Bultmann und das Feld der theologisch-dogmatischen Arbeit durch das PRO und CONTRA gegenüber Karl Barth. Ich kann nichts anderes sagen, als daß die beste theologische Arbeit sowohl exegetisch als auch dogmatisch da geschieht, wo sie ausgeht von den Ansatzpunkten beider Männer. Die beiden, die so grundverschieden sind, ergänzen sich doch in wunderbarer Weise. Gerade auch die luth. Kirche mit ihrer theologischen Arbeit erschöpft sich geradezu im ANTI gegen diese beiden Männer und derer, die ihre Ansatzpunkte aufgenommen haben. Es fehlte nicht mehr viel, dann hätten sie von der lutherischen Kirche ein Ketzergericht, aus Bischöfen bestehend, gegen Bultmann durchgeführt. Jedenfalls tut man so, als ob Bultmann gar nicht mit seiner theologischen Arbeit vorhanden wäre, man kommt aber im letzten Grunde an Bultmann nicht vorbei. Bei meinem Studium kamen oft Kommilitonen zu mir, die an Bultmann mit seiner überall kritischen Handlungsweise gegenüber dem NT zu zerbrechen drohten. Bultmann zerschlägt wirklich einem alles, was man an der Bibel an EWIGEN Werten zu besitzen glaubte, aber sagt nicht Jesus Christus gerade: "Selig sind, die da geistlich arm sind."? Wenn man als Student das erkannt hat, daß auch der bloße Besitz der Bibel und seine wissenschaftlich-exegetischen Handhabung noch lange nicht ein HABEN aufweisen kann, sondern daß es das größte Geschenk für uns Studenten war, als wir erkannten, daß gerade da, wo uns alles HABEN zerschlagen wird, Gott erst anfangen konnte. Wir sind Bettler, das ist wahr. sagte schon Martin Luther. Zu diesem gesegneten echt evangelischen Bettlerdasein auch als Theologe, kann uns keiner besser führen als Rudolf Bultmann. Das möchte man offiziell in der lutherischen Kirche nicht wahrhaben und doch ist dort auch langsam das Bewußtsein eingekehrt, daß man nicht mehr an ein Buch glauben kann, das evtl. noch vom Himmel gefallen ist. Die Absage an die Verbalinspiration der Missourier ist verkraftet worden, aber mehr aufzugeben will man nicht, aber da man doch erkennt, wissenschaftliche Arbeit ist nichts anders möglich als mit den Maßstäben von Rudolf Bultmann. Man wendet sich von der Exegese, die nach ihrer Meinung durch Bultmann so fragwürdig geworden ist, weg, und macht in Liturgismus. Ja, es gibt Bestrebungen Im Luthertum, die zu einem gewissen Mönchstum treiben. Die Predigt wird nicht mehr die Hauptsache, sondern das, woran nach ihrer Meinung keine Bibelkritik heran kann. Was über aller Wissenschaft steht, das sind die Sakramente. Kann man sich schon des Besitzes der Bibel nicht mehr freuen, dann sollen es wenigstens die Sakramente sein. Schöne liturgische Gottesdienste mit dem Sakrament im Mittelpunkt, das befreit uns davor, uns in echter Weise mit Bultmann auseinanderzusetzen. Ich habe ein Buch von dem lutherischen Professor Hahn durchgearbeitet: "Gottesdienst und Opfer Christi", in dem steht zu lesen, nachdem er erklärt hat, daß der ganze Gottesdienst der Gemeinde ein Sakrament sei: "Das Wachen über einen sachgemäßen Kultus der Gemeinde ist eine der kritischen Aufgaben der Theologie. Dabei ist es nicht mit einem schlichten Biblizismus getan, der die Liturgie am neutestamentlichen mißt. Gregory Dix weist darauf hin, daß die Liturgie der Urchristenheit älter ist als das Neue Testament, denn die neutestamentlichen Schriften setzen den urchristlichen Gottesdienst mit Schriftlesung, Gebet, Sakramenten und Liturgie voraus. In diesem Sinne steht die Tradition neben der Schrift." Darin kommt die Skepsis des lutherischen Theologen zum Ausdruck und derVersuch, doch noch ein HABEN des Christen aufzuweisen, das eben nicht am WORT DER SCHRIFT gemessen werden braucht. Tradition und Schrift wird gleichgestellt. Wir stehen tatsächlich in der Theologie vor der Frage, entweder wir kapitulieren gegenüber dem Zusammenbruch vieler Welten, die wir meinten in der Frage der Bibel zu besitzen und warten darauf, daß Gott uns einen Weg zeigt, um in neuer Freudigkeit seine Verkündiger zu sein. Ich glaube jedenfalls, daß uns dieser Weg durchaus gezeigt wird. Oder wir flüchten uns in einen Sakramentalismus und eine Liturgie, indem wir Vogel-Strauß-Theologie betreiben und dann endlich in der katholischen Kirche landen. So ist zum Beispiel der Professor des NT, Heinrich Schlier, an der Theologie Bultmanns gescheitert und im Liturgismus und Sakramentalismus der katholischen Kirche gelandet und offiziell zur katholischen KIrche übergetreten. Nach meiner Meinugn sind die theologischen Auffassungen über Gottesdienst, Liturgie und Sakramente von Stählin und Asmussen und Hahn nicht mehr weit von der katholischen Kirche entfernt. Das mag nur eine kurze Andeutung fïr die theologische Situation in Deutschland sein. Ich könnte ähnliches auch über das Verhältnis zu Karl Barth sagen, aber das würde im Rahmen dieses Berichtes zu weit führen. Karl Schwittay Rerferat, gehalten auf der Gesamtpfarrkonferenz in Rosario am 9-7-1955
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