Kirche! Wozu? | Documento Nº 019 | Lugar/Ort:Männerkreis Buer-Hassel | Fecha/Datum:1953 | | Resumen/Skopus: Kirche! Wozu? | | Wenn wir so fragen, "Kirche! Wozu?" dann hat es schon eine gewisse Berechtigung, denn seit jeher ist die Kirche eine "fragwürdige" Grösse gewesen, mit der man im allgemeinen nichts Rechtes anzufangen wusste. Es kommt in der Hauptsache wohl auch daher, dass das, was Kirche ist, niemals recht eingeordnet werden kann. Wenn wir hier von der SPD oder CDU oder von der KPD sprechen würden, dann brauchten wir über das Wesen dieser menschlichen Gemeinschaft nicht lange zu sprechen, ihre Programme sind gut ausgearbeitet und jeder weiss, was für Ziele dahinter stehen. Im Grossen und Ganzen mögen in solchen Parteien auch die Menschen kommen und gehen, die Ziele und Bestrebungen sind doch in ihren Grundrissen festgelegt und nicht so sehr von einzelnen Menschen abhängig. Es wurden zu allen Zeiten Stimmen laut, die auch die Kirche zu einer Gemeinschaft machen wollten, mit bestimmten Programmen und Zielen. Leider ist es im Laufe der Geschichte solchen Bestrebungen oft geglückt, der Kirche von diesen Zielen her das Gepräge zu geben. Und wir müssen wirklich erkennen, dass in einer langen Geschichte der Verkettung von Thron und Altar die Kirche ihr Gepräge bekommen hat und sie zur Verteidigerin des nationalen Gedankens wurde. Es wurde Christlichkeit mit Nationalismus in einer unauflöslichen Gemeinschaft gesehen. Ja, es kamen dann Männer in der Kirche hoch, nicht nur erst die Deutschen Christen im Nationsozialismus, die die Stärkung des Volkstums als Punkt 1 des Programmes der Kirche ansahen. Oder denken wir daran, wie auf Grund der bürgerlichen Struktur, die ja auch die Kirche so beeinflusste, dass sie zu ihrem Wesen wurde, dann, als durch die Industrialisierung der neue Stand des Arbeiters entstand, diese Kirche verständnislos vor diesen neuen Aufgaben stand und einfach in Bürgerlichkeit weitermachte. und der Arbeiter die Verbindung zur Kirche verlor. So konnte es dann geschehen. dass die Kirche als eine Verdummungsanstalt angeshen wurde, die die Arbeiter dahinbringen sollte, sich willenslos vom Kapitalismus ausbeuten zu lassen. Es ist schon Schuld der Kirche, wenn Parolen wie RELIGION IST OPIUM FÜR DAS VOLK und dergleichen mehr, auftauchten. Hier sind nur die beiden Beispiele der Verknüpfung von Thron und Altar und dem verständnislosen Zuschauen der Arbeiterfrage angeführt, dass die Kirche sich niemals von Weltanschauungen, Programmen und Zielen leiten lassen darf. Und dabei spielt es wirklich keine Rolle, was für Programme das sind. Nun kann leicht die Frage kommen, ob es denn überhaupt eine menschliche Gemeinschaft gibt, die ohne Programme und Prinzipien auszukommen vermag. Wohin wir schauen, wir könnten eine solche Gemeinschaft nicht entdecken. Allerdings dürfen wir sagen, dass die Kirche eine solche prinzipienlose Gemeinschaft sein sollte und müsste. Ja, warum denn? Während alle Gemeinschaften dieser Erde durch den Willen der Menschheit sich gebildet haben, steht in der Kirche eine Gemeinschaft vor uns, die entstanden ist auf Grund des Willens des HERRN, unseres GOTTES. In dieser von Gott unter uns Menschen gestifteten Gemeinschaft gilt EINZIG UND ALLEIN NUR DER HERR JESUS CHRISTUS. Und dieser Herr hat uns keine Prinzipien an die Hand gegeben, nach denen alles geschehen soll, auch die Gebote können und dürfen nicht so verstanden werden, sondern das Handeln in der Kirche liegt allein in dem ständig gegenwärtigen Handeln des HERRN, dieses HERRN. Die Kirche hat also nicht zu handeln nach einzelnen Programmpunkten, die erstrebt und erreicht werden können, sondern sie hat zu jeder Zeit und in allen Lagen wieder neu ihren Herrn zu fragen: Was willst DU, HERR, dass ich tun soll? Also keine Grundsätze sind für das Handeln der Kirche bestimmend, sondern allein die Weisung des Herrn der Kirche. Darin sollte sich ja die rechte christliche Kirche von der katholischen unterscheiden, die zum grössten Teil von solchen Prinzipien lebt. So ist also der Satz zu verstehen, dass die Kirche schlecht in bestimmte Kategorien von Gemeinschaften eingestuft werden kann, eben deshalb, weil man den Herrn der Kirche nicht einfach nach Masstäben einordnen kann. Jesus Christus als der souveräne Herr der Kirche herrscht in völliger Freiheit über sie, sodass sie, die Kirche, selbst nicht weiss, was sie morgen zu tun hat, sie weiss nur das Eine, dass sie morgen und auch übermorgen und in alle Zeiten hinein diesem ihrem Herrn gehorsam zu sein hat. Die Kirche ist also kein Verein frommer Seelen, die sich selbst genug sind, sondern sie ist eine Vereinigung, die sich auf einen Wink ihres Herrn hin in Bewegung setzt. Nun stehen wir alle nur zu leicht in der Gefahr, dass wir sagen, ja das ist alles gut und schön, das erkenne ich an, ich warte jetzt auf das, was der Herr der Kirche dieser Kirche sagt und dass sie mir dann weitersagt, was ich heute in dieser Situation tun soll, wir wollen ja treue Schafe unserer Kirche sein. Aber so geht das allerdings nicht: Wer ist denn Kirche? Von wem erwarten wir denn in der Kirche ein Wort, einen Befehl, den der Herr uns mitgeteilt hat? Erwarten wir von den Synoden Gewissheiten, die wir handgreiflich fassen können, um unser Handeln einzurichten? Warten wir wieder auf das, was Niemöller sagt oder möchten wir wieder, wie in der katholischen Kirche, einen Papst haben, der genau festlegt, was Gottes Willen ist oder nicht? Es braucht ja auch nicht unbedingt ein Papst zu sein, es kann dies ja auch schon eine Bischofskonferenz tun. Auf keinen Fall können wir so denken, dass wir meinen, die anderen wären die, die das Wort empfangen und wir haben dann nur zu gehorchen. Nein, so geht das nicht, die Kirche ist die Schar derer, die in ihrem Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung gekommen sind. Wir selbst sollen und dürfen diese Kirche sein. Wir dürfen und sollen unseren Herrn fragen: Was sollen wir tun? Andre, die neben uns in dieser Kirche stehen, können uns raten, können uns Wege weisen, aber die letzte Verantwortung für den Gehorsam gegenüber unserem Herrn der Kirche tragen wir ganz persönlich selbst. Schon in dem Thema unserer Besprechung KIRCHE! WOZU? liegt beschlossen, dass die Kirche Jesu Christi nicht fromme Gefühle hegen und pflegen soll, sondern wo Kirche ist, da gibt es Dienst. Kirche ist immer in Bewegung, immer im Vollzug des Gehorsams gegen Gottes Willen. Wenn also die Kirche Jesu Christi wir alle miteinander sind, dann sollen auch wir in einer ständigen Bewegung sein. Wohin soll aber diese Bewegung gehen? Die Bewegung der Kirche geht nicht, und darf es auch nicht, ins Leere gehen. Sie hat auch ihre Stellungnahme gegenüber all den vielen scheinchristlichen und entchristlichten Weltanschauungen nicht als ihre eigentliche Aufgabe anzusehen, sondern Kirche Jesu Christi, oder besser gesagt, wir als Christen, sollen ständig auf dem Wege zum Nächsten, zu dem Bruder an unserer Seite, zu dem, der ein menschliches Antlitz trägt wie wir, sein. Dieser Herr der Kirche, Jesus Christus, öffnet uns die Augen für den armen Lazarus, der vor unserer Türe liegt. Überall da, wo Menschen in Not sind, hat sich die christliche Kirche in Bewegung zu setzen zu diesen Menschen hin. Aller Dienst in der Kirche kann nur diesem armen Lazarus geschehen. Daher war es mehr als nur eine blosse Geste, dass bei den furchtbaren Unwetterkatastrophen in Holland die westfälische Kirche als erster diesen Menschen ihre Hilfe anbot. Die Hilfe, die die Kirche den Menschen, die in Not geraten sind, anbietet, ist nicht an irgendeine Bedingung oder an irgendeinen Berufsstand geknüpft. Diese Hilfe erstreckt sich auf alle Gebiete des menschlichen Lebens. Wir hören heute so oft die Meinung, die Kirche müsse sich besonders für den Arbeiter einsetzen und es könnte dann ganz konkret die Frage der MITBESTIMMUNG genannt werden. Wenn wir auch wissen, dass die Kirche einst versagt hat, wenn es um den Arbeiter ging, als Jesus Christus den Auftrag gab, sich der Arbeiter anzunehmen, so ist das auf keinen Fall eine Selbstverständlichkeit, dass die Frage des Arbeiters in seiner Lebensexistenz und Lebensmöglichkeit das Hauptproblem heute noch ist. Und von daher ist es keine Selbstverständlichkeit, dass die Kirche sich unbedingt für das Selbstbestimmungsrecht der Arbeiter in der Form, wie es gewünscht wird, einsetzen muss. Es kann sein, dass uns in dieser Hinsicht unser Herr ganz andere Aufträge gibt. Damit will ich nicht leugnen, dass das durchaus der Fall sein könnte, aber es braucht das nicht unbedingt sein, dass der Arbeiter immer der arme Lazarus ist. Es könnte sein, dass der Herr der Kirche unseren Blick weg vom Arbeiter, um den sich Gewerkschaften und Parteien intensiv bekümmern und ihm die Hilfe geben, die er nötig hat, weglenkt zu einer anderen Berufsgattung, die heute in einer noch grösseren Bedrängnis steckt als der Arbeiter. Ich denke da besonders an die vielen Menschen, die als kleine Beamte und Angestellte der Bahn oder Post oder als Lehrer vielleicht jahrelang mit der Hälfte dessen auskommen müssen, was ein Durchschnittsbergmann verdient, und die darum innerlich und äusserlich verkommen und zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel haben. Vielleicht ist es das Gebot der Stunde für die Kirche, sich für diese Menschen einzusetzen. Ich würde falsch verstanden werden, wenn jemand meinte, ich würde behaupten, dass der Arbeiter zu viel verdiene und dass es ihm zu gut gehe, nein, das ist nicht die Frage, sondern es geht darum, dass wir den armen Lazarus erkennen, den unser Herr uns zeigt. Das ist auch ein Beispiel dafür, dass die Kirche niemals prinzipiell handeln darf, als ob immer alle Nöte zu allen Zeiten dieselben wären. In einer ähnlichen Weise würde das gelten in einem anderen Fall. Es könnte sein, dass sich die Kirche heute für einen Menschen einsetzen, von dem wir ganz genau wissen, dass er als alter Kämpfer in der Nazizeit vielen Menschen das Leben zur Hölle gemacht hat, der aber jetzt irgendwo als armer Lazarus an der Tür sitzt und auf unsere Hilfe angewiesen ist. Jesus Christus sagt nicht, der arme Lazarus ist nur der,der früher kein alter Kämpfer gewesen ist. Er sagt auch nicht, der arme Lazarus, der auf unsere Hilfe angewiesen ist, darf kein Kommunist sein. Wenn ich nur kurz verschiedene konkrete Dinge streifte, so sollte damit nicht gesagt sein, dass Jesus Christus für uns nicht ungezählte Aufgaben bereit hält, die alle auf Durchführung warten. Wieviel Not wartet bei den Flüchtlingen aus der Ostzone schon darauf, dass wir helfend einspringen. Aber es kommt ja jetzt auch nicht darauf an, die verschiedensten Beispiele zu bringen -das können wir in der kommenden Aussprache tun-, sondern es kommt alles darauf an, dass wir als Männer der Kirche bereit sind, da unserem Herrn gegenüber gehorsam sind, wo er unseren Gehorsam haben will. Wir brauchen ja nicht nur an die grösseren Probleme und Nöte denken, die vielleicht weit von uns entfernt liegen, sondern wir sehen doch so viele Aufgaben, die uns der Herr hier in Buer-Hassel vor die Füsse gelegt hat. Am nächsten und übernächsten Sonntag werden wieder über 100 Kinder unserer Gemeinde konfirmiert. Haben wir als Kirche und als Männer dieser Gemeinde nicht eine ungeheure Aufgabe zu erfüllen? Oder denken wir daran, welch ein kleiner Prozentsatz der Männer, die zu uns gehören, zu den Gottesdiensten kommt. Haben wir schon einmal daran gedacht, selbst treu zum Gottesdienst zu kommen und unsere Nachbarn und Arbeitskameraden mit- einzuladen. Wir können nicht die einzelnen Dinge aufzählen, jedenfalls steht das eine für uns fest, der Herr der Kirche, Jesus Christus, hat auch für jeden einzelnen von uns eine Aufgabe, die uns in Beschlag nehmen will. Auf die Frage KIRCHE! WOZU? kann es nur eine Antwort geben: Herr, sende mich, ich bin bereit. Vortrag, gehalten von P. K. Schwittay in der Bergarbeitergemeinde in Gelsenkirchen-Buer-Hassel im Männerkreis im Jahre 1953.
|
|