Toyohiko Kagawa, geb. 1888 | Vortrag Nº 007 | Lugar/Ort:Gemeindekreis Unterbarmen | Fecha/Datum:1950 | | Resumen/Skopus: Toyohiko Kagawa geb. 1888 | | 1949 hatte sich ein Gast in Deutschland angekündigt, der schon in der ganzen weiten Welt viel Aufsehen erregt hatte. Es war der Japaner Toyohiko Kagawa. Alles war darauf eingerichtet, ihm einen feudalen offiziellen Empfang zu bereiten. Sein Schiff sollte in Hamburg einlaufen. Die Hamburger Stadtväter hatten für diese Ankunft eine ganze Kohorte schönster Kraftfahrzeuge zur Verfügung gestellt. Der Oberbürgermeister persönlich erschien in einer herrlichen Limousine, um Kagawa zu begrüssen und ihn zum Festessen zu bringen. Als das Schiff eintraf, suchte man nach einem Menschen im Staatsfrack, aber sie suchten vergebens, Kagawa ward nicht gefunden. So musste der Oberbürgermeister und all die anderen unverrichteter Dinge abziehen, das Festessen wurde abgeblasen. Eine Anfrage bei der Schiffsreederei und eine Einsichtnahme in das Fahrgästebuch zeigte aber, dass Kagawa an Land gegangen war. Man stand vor einem Rätsel. In ganz Hamburg wurde die Polizei in Bewegung gesetzt, um nach diesem Mann zu suchen, da, am Abend fand man ihn in den Trümmern Hamburgs bei den Ärmsten der Armen. Er hatte keinen Frack an, sondern war gekleidet mit einem ganz gewöhnlichen Strassenanzug. Er war von den Leuten, die er da in ihrem Elend besuchte, gar nicht zu unterscheiden. Er wurde zum Oberbürgermeister gebracht, der seine Verwunderung über sein Verhalten zum Ausdruck brachte. Da antwwortete Kagawa dem Oberbürgermeister: "Mein lieber Herr! Ich bin nicht nach Deutschland gekommen, um an feierlichen Empfängen und Festessen teilzunehmen und hohe Herren zu begrüssen, sondern ich bin gekommen; um die Elenden und Armen in ihren Baracken und Elendshütten zu besuchen und mit dem Arbeiter Fühlung zu nehmen. Auf Wiedersehen, mein Herr! " Was ist Kagawa für ein Mann? Er sagte einmal von sich, dass schon seine Geburt ein Wunder gewesen sei. Nach der herrschenden Moral hätte er nämlich gar nicht geboren werden dürfen. Er wurde am 10.Juli 1888 in Kobe geboren. Sein Vater war eine grosse politische Persönlichkeit und seine Mutter eine leichtfüssige Tänzerin, mit der sein Vater neben seiner Ehe unerlaubte Beziehungen hatte. Kagawa wurde unehelich geboren. Sein Vater adoptierte ihn und liess ihn von seiner rechtmässigen Frau erziehen. Das war für ihn eine grosse Leidenszeit, ohne Liebe, ohne Freude, ohne Kameraden. Aber doch wurde für sein Studium alles getan, was damals hatte getan werden können. Dann starb sein Vater und er kam in das Haus seines Onkels. Dort war das Leben noch grauenvoller und düsterer. Er verliess im fortgeschrittenen Alter dieses Haus und besuchte eine mittlere Knabenschule auf der Insel Shikoku. Hier zeigte es sich, dass durch die harte Leidenszeit Kagawa seinen Mitschülern weit voraus war. Sie hänselten ihn darum. Seine einzige Liebe war die Liebe zur Natur. Während dieser Zeit kam er in Berührung mit Missionaren. Sie boten ihm ein offenes Haus, eine wohltuende Atmosphäre und Familienanschluss. Hier kam er mit Jesus Christus in Verbindung und sagte zu ihm ein ganzes und klares JA. Sein Gebet: "O Gott, mache mich christusähnlich!" Als er las, dass ein gebildeter Engländer in den Slums Englands lebte, gab es für ihn nur eins: Sein Leben für die Armen. Sein Onkel forderte von ihm, dass er seinen christlichen Glauben aufgäbe. Aber er blieb standhaft und wurde daraufhin aus der Familie der Kagawas ausgestossen. Jetzt war er selbst arm. 1905 trat er in eine evgl. Hochschule in Tokio ein. Er bekam eine Freistelle. Dort fand man ihn fast Tag und Nacht in der Bücherei. Bald kannte er viele auswendig. und wurde seinen Lehrern unangenehm, weil er die Dinge besser kannte als sie selbst. Dennoch suchte er auch dauernd nach praktischer Betätigung: a) Er rettete eine ausgestossene Katze aus der Gosse und nahm sie in sein Zimmer auf. b) Er hatte Mitleid mit einem hässlichen verlassenen Hund und nahm ihn als sein Schützling an. c) Er teilte sein Zimmer mit einem Bettler. d) Er gab sein karges Taschengeld, seine Schuhe und Kleider vom Leib und trug selbst Lumpen. e) Er setzte sich für soziale Grundsätze ein. Das Studium der Schriften von Tolstoi machte ihn zum glühenden Anhänger der Gewaltlosigkeit und zom Kriegsdienstverweigerer. Er wurde darum von seinen Mitstudenten als Landesverräter verschrieen. Eines nachts lockten sie ihn auf den Sportplatz und schlugen ihn mit dem Ruf:"Pazifist, Verräter" nieder. Überall, wo er ging und stand und mit Menschen in Berührung kam, verkündigte er Jesus Christus. Im 2. Jahr seines Studiums erkrankte er schwer an Lungentuberkulose. Er verlässt die Schule und sucht in einem Fischerdorf Erholung. Aber hier blieb er nicht ruhig liegen, sondern ging in die Häuser und verkündigte den Menschen den Heiland und hier schrieb er auch sein erstes Buch "Jenseits der Todeslinie", heute "Auflehnung und Opfer". Ohne geheilt zu sein verliess er wieder das Dorf und kehrte zum Studium zurück. Er nahm keine Rücksicht auf seine Krankheit, sondern arbeitete am Tag für sein Studium, am Abend und in der Nacht betätigte er sich als Strassenprediger in den Elendsvierteln. Kagawa antwortete einmal auf die Frage "Wo wir Gott finden?" folgendermassen: "Gott wohnt unter den einfachsten Menschen. Er sitzt auf dem Schutthaufen, unter den Schuldigen im Gefängnis. Mit den jugendlichen Verbrechern steht er an der Tür und bittet um Brot. Er ist unter den Kranken. Er steht in einer Reihe mit den Arbeitslosen vor den Pforten des Büros für Arbeitsnachweis. Deshalb lasst den, der Gott begegnen will, zuerst in die Gefängniszellen gehen, bevor er ins Gotteshaus geht. Bevor er zur Kirche geht, soll er das Krankenhaus besuchen. Bevor er die Bibel liest, soll er dem Bettler helfen, der an seiner Tür steht. Welcher die Arbeitslosen vergisst, vergisst Gott." Darin kommt die ganze Haltung Kagawas als Christ zum Ausdruck. Mit 21 Jahren siedelt er um, von seiner Studentenbude weg, mitten in die berüchtigsten Viertel der Stadt. Dort haben die Verbrecher ihren Treffpunkt, dort hausen die Huren. Hier waren 10 Tausende von Menschen in Papierhäusern 1,80 m x 1,80 m gross, untergebracht, keine Fenster, eine gemeinsame Küche, ein Wasserausguss, ein gemeinsames Klosett diente den Bedürfnissen von ungefähr 20 Familien. Die Strassen waren von dem Inhalt der Klosetts überschwemmt. Die Bevölkerung bestand aus Strassenreinigern, Lastträgern, Tagelöhnern, Fabrikarbeitern, Korbmachern, Wahrsagern, Spielern, Bettlern, Dieben und Mördern. Die Strassen wurden bevölkert von Schwärmen unterernährter Kinder. Die Kindersterblichkeit betrug 50 %. Kagawas Plan war, sein Leben, das nach seiner Meinung nur noch kurz bemessen war, ganz dem Dienste an diesen Menschen hinzugeben. Er schlief, lebte und bewegte sich mitten unter Krätze, der Pest, der Tuberkulose und Syphilis. Weihnachten 1909 zog er in seine Hütte ein. Bald blieb er nicht allein, der erste ein mit Krätze behafteter Mann, sodass Kagawa bald auch zu den sich Kratzenden gehörte, der zweite war ein hungernder Trunkenbold, und der dritte ein Mörder. Die Reihe derer,die er aufnahm, nahm nicht mehr ab. Er holte sich von einem Bettler, mit dem er sein eigenes Bett teilte, eine ganz furchtbare Augenkrankheit, wodurch er fast blind wurde. Es dauerte nur kurze Zeit, so wurde er Zielscheibe des Hasses und Gespötts dieser Menschen. Er wurde unzählige Male überfallen = ohne sich zu verteidigen. Er wurde geplündert und ausgeraubt und betrogen. Aber seine Liebe zu diesen Verkommenen blieb, denn sie war ihm ja von Jesus Christus eingegeben. Er besuchte die Kranken und Armen und Sterbenden; er half, wo er helfen konnte. Er hatte fast nichts mehr am Leibe. Alles hatte er weggeschenkt. Schliesslich musste er mit einem verschlissenen Frauenkleid herumlaufen, das ihm eine alte Frau geschenkt hatte, weil er sonst nichts mehr anzuziehen hatte. Hier in der Höhle der Armut setzte er sich in einem Buch damit auseinander und plötzlich sammelten sich um ihn die Arbeiter und es entstand die erste Arbeiterbewegung in Japan. Kagawa sagte einmal: "Es gibt Menschen, die behaupten,dass christliche und soziale Bewegungen 2 ganz verschiedene Dinge sein müssen. Dies sagen aber nur Menschen, die das Evangelium nicht als eine das ganze Leben berührende Macht anzusehen vermögen. Beides gehört zusammen." Er entdeckte, dass das Elend daher kommt, dass die Arbeiter durch die Arbeitgeberschaft falsch behandelt werden, dass die Polizei alle Arbeitervereinigungen verbietet. Er kümmerte sich aber nicht um das Verbot. Von der Polizei wurde er auf die schwarze Liste gesetzt und auch verhaftet. Bei seiner Freilassung wurde er wie ein Held gefeiert und in einem Triumpfzug nach Hause geleitet. Bei allem sich Einsetzen für die Arbeiter, lehnte er doch den Klassenkampf ab. Für die Arbeiter forderte er: Recht auf Arbeit, Recht auf eine Wohnung, Recht auf die Möglichkeit, sich zu entwickeln und seine Persönlichkeit zu entfalten, Recht auf Freiheit zur Eheschliessung, Recht auf Erholung, Recht auf Redefreiheit, Recht auf Organisation, Recht auf religiöse Freiheit. Kagawa bleibt aber nicht nur beim Arbeiter stehen, er selbst, der auf dem Lande gross geworden ist, kennt die Knechtschaft des Landmannes. Fast alle sind dem Grundbesitzer verschuldet. Sie suchen in der Stadt Hilfe und verkommen dort. Kagawa will helfen, dass der Landmann so leben kann, dass er keine Lust verspürt, in die Stadt zu gehen, um dort zu verkommen. 1921 wird in der Hütte Kagawas im Beisein einer Gruppe von Bauern der erste Bauernbund in Japan organisiert. Er reist nun im Land umher, um die Verhältnisse an Ort und Stelle genau kennenzulernen und seinen Hilfeschrei in alle Welt hinauszuschreien. Unterwegs wird er von der Polizei bespitzelt und einige Male verhaftet und eingesperrt. So wird er nach und nach in Japan bekannt, den einen als Symbol der Hilfe, und den anderen als Quelle des Hasses. Woher schöpft Kagawa die Kraft dazu? Er sagt selbst: "Christi Narr! Den Menschen eine Zielscheibe des Spottes! Wahrhaftig, das bin ich. 40 Jahre, die Hälfte des mir zugewiesenen Lebens habe ich als Narr Christi zugebracht. Der Kehrichthaufen der menschlichen Gesellschaft wurde mir Heimat. Als ein Mensch mit beschränktem Geist und mit einem eigensinnigen Willen, ein geeignetes Objekt, sich lächerlich zu machen, so habe ich Tag für Tag in Tränen von meinem Kalender abgestrichen.Ich wurde von der Bühne der Freude abgerufen, um am Fusse des Kreuzes meinen Stand zu nehmen. Ich bin unter die Zahl derer gerechnet worden, die man als Heuchler, als Landesverräter, als Antinationalist abstempelt, aber selbst in den internationalen Kreisen fand ich kein Willkommen. Aber diese Dinge alle ärgern mich nicht. Ich bin ein Gefangener Jesu Christi, ein Sklave des Kreuzes, ein Narr der Welt." In welcher Form ist Kagawa Sozialist? Er vertritt einen Kommunismus, aber den Kommunismus der ersten Christen, im Gegensatz zu dem von Karl Marx. An Stelle des Klassenkampfes setzt er die Bruderliebe, an Stelle der Gewalt die Gewaltlosigkeit. Sein Grundsatz: Die Arbeiterbewegung, die Bauernbewegung, jede Art von sozialer Bewegung muss eine Bewegung sein, die auf Jesus Christus aufgebaut ist. Von dorther löst er die Frage des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers. Bald muss er in seiner Arbeiterbewegung ankämpfen gegen die Anhänger von Karl Marx, der rote Flügel gab eine Flugschrift heraus: "Begrabt Kagawa, den Scheinheiligen, der unaufhörlich uns zu táuschen versucht. Dieser falsche Menschenfreund verbirgt sich, um über uns den Vorteil zu erringen hinter dem schönen Begriff der Religion und streut tödlich wirkende Betäubungsmittel unter uns aus. Hier in Kobe erscheint er in der Gestalt eines Heilandes, aber seine Botschaft hat keine Beziehung zu dem Leben der besitzlosen Klasse. Während wir durch seine Religion irregeführt werden, schlafen die Kapitalisten ruhig in ihren Daunenbetten. In den Augen eines wahren Kämpfers ist Kagawa ein hassenswerter Feind. Reisst ihm die Maske herunter, verbannt ihn aus unserer Mitte." Auch der Bauernbund wird durch die rote Propaganda auseinadergerissen. Er kümmert sich aber weniger darum, er führt jetzt den Kampf gegen die Slums. Unaufhörlich bombardiert er die Presse mit Bildern aus den Elendsvierteln, Buch auf Buch wird geschrieben. Langsam dringt seine Stimme bis nach oben. Auf sein Einwirken hin macht sich 1926 die Regierung an die Arbeit, die Slums in den 6 grössten Städten Japans zu beseitigen und stellt 2 Millonen Mark zur Verfügung. Nach dem Erdbeben 1923, das die Hauptstadt des reichen Yokohama, zu 2/3 zerstört, wird Kagawa in die Kommission zur Linderung der Not berufen. 1925 wurde das Gesetz gegen die Arbeitervereinigungen aufgehoben. Im Winter 1930/31 wird Kagawa zum Leiter des Wohlfahrtsamtes in Tokio berufen. Er hat nun die Möglichkeit, umfassender zu helfen. Er errichtet 11 neue soziale Siedlungen. 5 Monate nach seinem Amtsantritt bereitet er einen Plan für eine Arbeitslosenversicherung vor, der Plan wird angenommen. 1928 als Vertreter der Gewaltlosigkeit gründete er eine japanische Antikriegsliga. Er wird offiziell als japanischer Volksverräter verschrieen, verhaftet und wieder freigelassen und wieder verhaftet. Kagawa grösste Aufgabe allerdings ist und bleibt die Verkündigung des Evangeliums. Von den Christen erwartet er grösste Aktivität. Er behauptet, dass die Kirche eine Institution geworden sei und sich nur noch in Theorien und formaler Lehre ergehe, während die Zeit schreit nach einer Botschaft, die lebendig wird in Persönlichkeiten, die von der Liebe besessen sind und im Dienen und sich für Jesus Christus opfern. Er weist ein müdes, farbloses, verdünntes Christentum als unecht zurück. Als in Japan der letzte Krieg zu Ende ging, holte man ihn aus dem Gefängnis wieder heraus und bat ihn, eine neue Regierung zu bilden. Er bemühte sich darum und brachte auch eine Regierung zustande. Als man ihm allerdings sagte, er solle auch nun Regierungschef, der Ministerpräsidente der Regierung, werden, sagte er: "Danke schön!" ich habe jetzt wichtigeres zu tun und ging anschliessend auf eine grosse angelegte Evangelisationsreise, um seinem japanischen Volk, das am Boden lag, zum Teil durch eigene Schuld, das Evangelium zu verkündigen. Vortrag, gehalten von Karl Schwittay, im Jahre 1950, in einem Gemeindekreis in Wuppertal-Unterbamen.
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